Und wieder ist einer dieser viel zu seltenen Tage, an denen der Wind mit der Wintersonne harmoniert und beide es gut mit mir meinen. Nur das mit Reif überzogene und dadurch rutschige Deck muss ich noch enteisen. Dann lege ich ab. Bei fast siebzig cm erhöhtem Wasserstand ist es gar nicht so einfach auf‘s dennoch rutschige Boot zu kommen. Doch es gelingt mir.
Draußen ist wie erwartet nichts los. Ich bin allein. Welch ein Glück, denn genau so wollte ich es heute haben. Ich merke an Bord immer öfter, dass ich gern allein und für mich unterwegs bin. War mir anfangs meiner Segelei oft aufgrund geringer Erfahrung eher nach Gesellschaft an Bord, so bin ich nun froh, alles für mich und nach meinen eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen organisieren und ausführen zu können.
Ich mag die Stille und das Schweigen. Hier muss ich mich nicht verstellen. Hier kann ich einfach sein. Ich muss niemanden etwas beweisen und treffe meine Entscheidungen ausschließlich für mich. Hier draußen bin ich frei und unabhängig.
Ich kann lachen oder weinen ohne einen Grund angeben zu müssen. Ich kann laut oder leise sein. Ich kann singen oder Selbstgespräche führen. Ich kann still genießen oder mein Glück einfach hinaus posaunen. Wonach mir gerade ist, entscheide ich ganz allein. Das ist Freiheit. Das ist Unabhängigkeit. Das ist Selbstbestimmtheit.
Und in diesem Zustand des glücklichen Alleinseins, sind meine Sinne geschärft für das, was in Gesprächen oft nur schemenhaft und am Rande wahrgenommen wird. Die Welt um mich herum.
Mit ihren Farben. Ihren Töne und ihren Geräusche. Ich nehme es auf. All das, was jetzt so deutlich und zum Greifen nahe ist. Heute sind es besonders die Farben. Dieses Orange ist das pure Leben. Warm und zärtlich beleuchtet es alles an Bord um mich herum.
Gemütlichkeit, trotz der Temperaturen um den Nullpunkt. Mit mehr Wind wäre es wohl grenzwertig, doch so, mit drei, vier Knoten Fahrt ist es für diese Jahreszeit nahezu perfekt. Farben und Kontraste, gestaltet von einer unsichtbaren Macht. Eine Macht, die weder Jubelrufe, noch Lob verlangt. Eine Macht, die nichts verlangt und die ihr Können vollkommen umsonst darbietet.
Südwestlich steht die Sonne in grellem Orange bereits sehr tief und gegenüber färbt sich nun der Himmel in zarten Pastelltönen.
Ich weiß eigentlich gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. Möchte beides. Möchte es halten und bestaunen. Doch es ist vergänglich und kostbar, weshalb ich mich diesem Akt voll und ganz widme. Zum Glück bin ich langsam genug und die Förde ist leer. Ich kann Findus einfach laufen lassen und die kleine Welt um mich herum genießen.
Keine Boote, keine Fischerfähnchen und niemand, auf den ich achten muss. Meine Sinne haben Zeit sich voll und ganz auf meine Umgebung zu konzentrieren. Sie in einer Ebene wahrnehmen, die aus den Bildern und der Stille heraus Kraft und Energie aufnehmen kann.
Die Sonne sinkt tiefer. Jetzt wird es auch richtig kalt. Ich gehe an Deck hin und her und finde hier und da noch in Orange getauchtes Licht. So unfassbar, wie schön es heute hier draußen ist.
So langsam will ich aber nun doch zurück. Etwas über eine Stunde werde ich mit Sicherheit noch brauchen, bis ich wieder im Hafen sein werde.
Der sinkenden Sonne entgegen werden meine Fingerspitzen langsam empfindlich kalt. Heinrich steuert und ich wärme meine Hände in den Hosentaschen.
Sie ist verschwunden. Die Sonne. Für heute scheint das tägliche Naturschauspiel vorbei zu sein. Blauer Himmel und ein Übergang von Gelb zu Orange. Mit sämtlichen Schattierungen. Ich kann mich nicht sattsehen. Ich wiederhole mich. Wie so oft und gern. Aber ich liebe dieses Licht.
Ob voraus oder achtern. Der Himmel ist gigantisch. Die Natur ist gigantisch und ich winziger Teil des großen Ganzen darf hier und jetzt daran teilhaben. Demut überkommt mich. Was für eine wunderbare Welt in der wir leben.
Es wird dunkel. Mir ist kalt und ich habe keine Lust mehr. Ich nehme Kurs auf den Hafen und bin froh, wenn die Segel gleich eingepackt sind und ich vor der Heizung sitze. Mein weltlicher Luxus.
Doch plötzlich erfährt der Plan eine Änderung. Denn ich drehe mich um und erschrecke. Über dem Festland steht prall und rot ein riesiger Mond. So voll und wunderschön. Leider zu weit entfernt für meine Handykamera. Ich ärgere mich, keinen richtigen Fotoapparat dabei zu haben. Stattdessen stehe ich staunend im Cockpit und grinse breit vor mich hin. Irre. Einfach irre was ich hier gerade sehe.
Ich wende noch einmal. Dem Vollmond entgegen. Der Mondschein auf dem Wasser wird von Orange zu Gelb, bevor er das typische weiße Licht annimmt. Ein Traum. So viel Schönheit an nur einem Tag. In ein paar Stunden auf dem Wasser. Was gibt es Schöneres?
Doch jetzt friere ich wirklich. Meine Fingerspitzen sind fast taub und die Hosentaschen helfen auch nicht mehr viel. Ich drehe um und fahre jetzt zackig unter Motor Richtung Hafen.
Es ist dunkel. Und wunderschön. Ich bin froh heute alleine hier draußen zu sein und doch fehlt mir heute jemand, der ebenso hier draußen empfindet und mit dem ich teilen kann.
So nehme ich die Bilder und Momente, die Gedanken und Gefühle der letzten vier Stunden nur für mich mit. Doch ich halte sie fest, um sie eines Tages wieder hervor zu holen und mich zu erinnern.
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