Um 2:45 Uhr treffen wir uns zur abschließenden Lagebesprechung auf dem Steg. Die Bedingungen sind gut. Aktuell zeigt der Windmesser acht bis zehn Knoten Wind. Auch die Vorhersagen sind auf unserer Seite. Die Strömung ist auf der gesamten Strecke mit 0,7 bis 1,5 Knoten mit uns.
Um Punkt drei Uhr in der Nacht verlassen wir den Hafen. Nordöstlich färbt sich der Himmel bereits in einem dunklen Orange und über mir strahlt der Himmel in blau. Es ist verrückt. Die Mondsichel leuchtet am Firmament und doch ist es in Teilen bereits taghell.
Unter Maschine geht es per Vollspeed erstmal raus. Kurz darauf ziehe ich die Genua zur Stabilisierung. Es dauert keine viertel Stunde, da kommt Emma schlaftrunken aus ihrer Koje gestürzt. Ein Alptraum. Das Schiff habe ein Loch und wir würden untergehen. Im gedämpften Rotlicht sitzt sie im Niedergang, während ich sie beruhige. Findus springt derweil fröhlich mit bis zu sieben Knoten durch die Wellen.
Die ersten Meilen vergehen wie im Flug. Mir ist gar nicht wirklich bewusst, wie früh es eigentlich noch ist. Eine Stunde habe ich die Nacht über geschlafen. Zu viele Gedanken. Dann piepte das Handy um Mitternacht. Zusätzlich hatte ich am Abend vergessen das Fall fest zu setzen. Der aufkommende Wind schleuderte es gnadenlos an den Mast. Es half nichts. Ich musste noch mal raus.
Bis zum Sonnenaufgang dauert es noch über eine Stunde. Ich sehe mich um und bin fasziniert von dem, was ich gerade erlebe. Ich fliege übers Wasser. Bin auf mich allein gestellt. Emma ist zum Glück schnell wieder eingeschlafen und ich kann all das, was gerade passiert zu 100% in mich aufnehmen. Die Stimmung. Die Farben. Die Wellen. Das Licht. Es ist ein unglaubliches Gefühl, was sich da in mir breit macht. Ich bin glücklich.
Gegenüber über Sjælland geht ganz langsam die Sonne auf. Ein dunkler Wolkenstreifen zieht sich entlang des Horizonts, doch grell leuchtende orange Streifen kündigen den riesigen Feuerball an.
Ich durchquere die Passage zwischen Fyn und Ramsø. Wie eine schwarze schlafende Riesenschildkröte liegt die Insel da. Ein paar Ankerlieger stehen drum rum. Ansonsten liegt der Storebælt wie ausgestorben da. Keiner ist unterwegs. Nicht mal ein Fischerboot ist anzutreffen. Außer Lille Bjørn und Findus sind keine Boote unterwegs.
Die Meilen verstreichen. Die Zeit vergeht. Viel zu schnell verändern sich die Bilder. Ich möchte festhalten, was ich sehe. Es an mich heran lassen.
Ich bin froh hier sein zu dürfen. Bin froh und dankbar, dieses Wunder hier und jetzt erleben zu dürfen. Ich bin auf See. Wieder auf See. Ich bin da, wo ich glücklich bin. Hier gehöre ich irgendwie hin. Hier will ich sein.
Ich liebe diese Farben. Ich liebe dieses tägliche Erwachen. Seit Jahrmillionen geschieht es und doch ist es jeden Tag neu. Jeden Tag einzigartig. Demütig sehe ich zu. Lausche. Halte inne. Und lasse mich dabei tragen von meinem kleinen Boot.
7,80 Meter Plastik und damit genug um mich zufrieden zu stellen. Ich brauche nicht viel. Hier draußen braucht es generell nur wenig. Keine Luxusgüter, keine materiellen Werte können auch nur ansatzweise ersetzen, was das hier draußen in mir bewirkt. Leben. Sein. Mit nichts zu vergleichen.
In der Ferne tauchen die Windräder von Samsøs Südküste auf. Hier oben scheint alles so nah und doch liegt es in weiter Ferne.
Mein Herz wird schwer und eine gewisse Wehmut überkommt mich. Mein Blick ist zum Horizont gerichtet, da wo Himmel und Wasser miteinander verschmelzen. Genau dort liegt das Glück. Zum Greifen nah und doch in unendlicher Ferne und für den Moment unerreichbar.
Hier draußen liegen ohnehin Glück und Melancholie so dicht beieinander. Mein Herz tobt vor Freude und doch ist da eine unsagbare Traurigkeit in mir. Dieses Bild, was meine Augen wahrnehmen, kann ich nicht teilen. Ich bin damit alleine. Niemand außer mir wird genau dieses Bild sehen können. Wer vor oder hinter mir ist, sieht es aus einem anderen Blickwinkel, aus einer anderen Perspektive.
Auch wenn es so scheint als sähe hier draußen alles gleich aus, so ist doch jeder Moment einzigartig. Keine Welle gleicht der vorigen. Augenblicklich und unaufhörlich ändert sich ihr Bild. Wassermassen rollen mal schnell und mal langsam auf mein Boot zu. Träge, aber beständig ziehen sie unter meinem Boot durch, um auf der anderen Seite rauschend wieder hervor zu kommen.
Ich habe die Nordostspitze von Fyn erreicht und lege meinen Kurs nun Richtung west. Die Wellen kommen jetzt von Achtern und schubsen Findus vorwärts. Mein Boot schaukelt und ich steuere permanent gegenan um es einigermaßen konstant zu halten. Emma schläft noch.
Ich erreiche Æbelø. Ab jetzt geht es südlich. Fort von dem was ich liebe. Fort vom Offenen. Fort von der unerreichbaren Weite. Meinem Herz versetzt es einen Stich. Ich spüre das Bedürfnis Musik zu hören. Das ist selten auf See der Fall. Ich möchte festhalten was ich denke und fühle und Filme diesen einzigartigen Moment.
Um Æbelø geht es rum und dann Kurs Bogense. Das Wetter ist hier schlechter. Die Sonne versteckt sich nun hinter grauen Wolken. Als würde auch sie in irgendeiner Form Abschied nehmen.
Auch der Wind lässt nach. Schwarze Wolken kommen nun von überall. Der angekündigte Regen wird bald da sein. Wir haben das Wetterfenster perfekt genutzt. Zeit und Bedingungen richtig eingeschätzt.
Die letzten Meilen geht es jetzt ohne Wind mit Motor Richtung Hafen. Die Ruhe vor dem Sturm ist beängstigend still. Und doch ist es faszinierend, wie sich das Wetter ändert.
Rechtzeitig erreiche ich die Hafeneinfahrt. Bogense ist groß und freie Plätze sind ausreichend vorhanden.
Pünktlich zum Anleger kommt der Wind wieder. Hafenmanöver sind nicht meine Stärke und nichts voran ich wirklich Spaß habe. Sie sind ein notwendiges Übel, mit dem ich mich noch nicht so richtig anfreunden oder arrangieren konnte.
Dennoch bin ich fest. Habe es geschafft. Stehe fest und sicher im Hafen. Emma schläft noch immer. Fast acht Stunden waren wir unterwegs. Immer darauf bedacht auch Lille Bjørn nicht aus den Augen zu verlieren und lieber etwas langsamer zu sein. Beide Boote stehen nun nebeneinander und warten auf das, was sich über ihnen zusammen braut.
Die Welt geht kurzzeitig in Form von heftigen Regenschauern unter. Es prasselt und peitscht und ich bin froh im Hafen unter meiner Kuchenbude zu sitzen.
Es folgen weitere Hafentage. Das war abzusehen und der Grund für den nächtlichen Aufbruch. Hier ist es einfach schöner wie im vorigen Hafen. Hier finde ich Natur und habe einen perfekten Blick auf ein paar traumhafte Sonnenuntergänge.
Ich bin fast rundum zufrieden. Habe viel erreicht. Meinem ganz persönlichen Horizont erweitert, in dem ich alleine diese Schläge der vergangen Tage bewältigt habe. Und doch ist da diese innere Einsamkeit, die mir jetzt im Hafen zu schaffen macht. Ich kann meine Eindrücke nicht teilen. Der große Nachteil beim allein unterwegs sein.
Ich gehe spazieren und denke nach. Draußen auf dem Meer allein zu sein ist wunderschön. Das Erleben, die Eindrücke, das Gefühl. Doch eine Lücke im Herzen wird immer bleiben.
Liebe Marion, die Beschreibung dessen, was du auf diesem ersten Törntag(Nacht) erlebt und empfunden hast, ist sehr schön und nachzuempfinden. Auch die Fotos untermalen das Geschriebene.
Freu mich schon auf die kommenden Zeilen.
Fair winds
Liebe Grüße Katrin
Liebe Marion,
die tiefe Freude, das als heilsam erlebte Meer und das Glück auf dem Wasser sind mir so geläufig, die Fülle im Dasein- ebenso wie dieses Gefühl von Einsamkeit, wenn ich so etwas alleine, ohne „Du“ erlebe….. und damit sind wir vielen, vermutlich alle Menschen letztendlich einsam (die meisten sogar mit Partner *in)……was Dich unterscheidet, ist der Mut, dies Alleine anzugehen…. Klasse !!!! Ich mache viel Alleine, beim Segeln komme ich bisher über die Jolle noch hinaus…. Schöne Zeit wünsche ich dir! 🙃🌺⛵
Anja