21. April 2024
Nicht ganz rund

Viel zu lange ist es schon wieder her, dass ich mit Findus draußen war. Viel zu lange konnte ich nicht so bei mir sein, wie ich es aus tiefstem Herzen eigentlich brauche. Doch das Wetter wollte oft nicht so, wie ich es gern gehabt hätte. Zu kalt war es, zu nass und immerzu viel zu windig. Die letzten Wochen, unterstützt nicht nur von kalten Temperaturen, sondern ebenso von düsteren und toxischen Gedanken meinerseits, zogen sich so elendig lang dahin und fütterten stetig eine ungewollte und lähmende Abwärtsspirale. Doch heute bleiben mir endlich ein paar Stunden und die möchte ich nutzen.

Die Sonne scheint, der Himmel zeigt sich blau und auch wenn die Temperaturen für Ende April noch immer stark zu wünschen übrig lassen, sind heute nach diesem ewigen Winter auch mal wieder diverse andere Segler unterwegs. Neuerdings halte ich auf dem Wasser Ausschau nach diversen Charteryachten, für deren Stützpunkt ich seit einigen Monaten tätig bin. Es ist irgendwie ein schönes Gefühl, die mir mittlerweile nicht nur vom Namen, sondern oft auch von innen und außen geläufigen Boote nicht nur müde am Steg liegen zu sehen, sondern sie nun auch mit bekannter oder unbekannter Crew beim Segeln aus der Ferne zu erleben. Komischer Weise baue ich in der Tat eine Art Beziehung zu diesen überwiegend doch recht modernen Yachten auf. Nicht das sie auch nur die geringste Konkurrenz für Findus darstellen könnten, doch es sind nun mal Boote die ich kenne und deren vorübergehender Crew ich am Steg in der Marina begegnet bin.

Es tut gut draußen zu sein. Durchzuatmen. Bewusst zu werden. Ich selbst zu sein. Wie sehr habe ich das vermisst. Wie sehr fehlt mir dieses Sein, wenn ich gefangen in der Maschinerie des Alltags bin. Die letzten Wochen habe ich extrem viel mit mir gehardert und jeglicher Sinn war mir abhanden gekommen. Alles war nur noch dunkel und trist und nicht selten hat eine tiefe Traurigkeit Besitz von mir genommen. Das Leben bringt nun mal immer wieder Veränderungen und somit auch teilweise erschreckende Dunkelheit mit sich. Nicht immer sind die Wege und Entscheidungen, die wir beschreiten auch die richtigen. Einmal falsch abgebogen gilt es, diesen Pfad wieder zu verlassen, doch hier und da gibt es nicht wirklich rechtzeitig die Möglichkeit woanders hin abzubiegen und so davon zu kommen. An Land verlaufen die Kurse nunmal oft anders wie auf See und auf meiner aktuellen Route gibt es gerade nicht sehr viel Licht, was mir als Wegweiser dient.

Umso wichtiger ist es heute mit Findus ein paar Stunden draußen zu sein. Doch bereits beim Setzen des Großsegels ist irgendwas anders. Das Großfall ist markiert, wo es in der Klemme festsitzen soll, doch es lässt sich nicht richtig durchsetzen. Irgendwas stimmt hier nicht. Es geht nur schwer hoch und das letzte Stück will einfach gar nicht mehr. Habe ich mittlerweile so viel an Kraft verloren? Sofortige Selbstzweifel setzen ein, doch mein Verstand meldet mir direkt zurück, dass es nicht an mir liegt. Die Winsch dreht einfach durch und das Süll, auf dem sie montiert ist, hebt sich bereits leicht, sodass ich auf noch mehr Druck augenblicklich verzichte.  Nein, es liegt nicht an mir und meiner Kraft und auch wenn ich noch nicht weiß, was gerade das Problem an Bord ist, so bin ich doch sicher, ich bin es nicht.

Findus segelt schlicht wie ein Sack Nüsse, was nicht nur am nicht ordentlich stehenden Großsegel liegt. Mein Boot kommt einfach nicht aus dem Quark und das Ruder will immer wieder nach Lee auswandern und reagiert nur bei weit mehr Druck als gewöhnlich. Dabei spielt es keinen Unterschied, auf welchem Bug ich fahre, Findus dreht sich einfach weg vom Wind, als wolle er heute nicht segeln. Auch der Autopilot kann mein Schiff nicht bei Laune halten und fährt seine Schubstange bis zum Anschlag aus, um dann aufzugeben und Findus‘ sich selbst zu überlassen. Irgendwie ist heute der Wurm drin. „Wie sollte das mit dem Segeln klappen, wenn alles andere bei dir gerade nicht so läuft“, so oder ähnlich hat es mal jemand mir gegenüber vor ein paar Jahren ausgedrückt. Und das stimmt. Wie soll meine Energie auf Findus übergehen, wenn ich sie selbst kaum spüre?

Doch es ist so schön hier draußen und eigentlich möchte ich weiter. Möchte wieder dort hin, wo ich schon einmal war. Ich sehne mich so nach der See mit ihrer blauen Kimm, diesem unerreichbaren Horizont vor meinem Bug, und dieser unermesslichen Freiheit voll und ganz ich selbst zu sein. Ich möchte so gern leben und bin es so leid, mich in quälende Rollen drücken zu müssen, nur um der Gesellschaft angepasst im Strom des Überlebens zu schwimmen. Hier draußen ist Fühlen und Spüren, hier draußen ist Tiefe und Sein. Doch der Sog, der mich an Land erwischt, die Oberfläche, das Künstliche, das Vorgetäuschte, macht alles Schöne und Natürliche kaputt und vereitelt das Wesentliche. Meine Gedanken driften ab und gehen zu tief und ich werde das Gefühl nicht los, am Ende eben doch alleine mit ihnen zu bleiben. Sind wir also am Ende doch wirklich alleine?

Der zarte Wind hat nun gänzlich nachgelassen und Findus steht unbeweglich auf dem Wasser. Schwerfällig und behäbig fühlt es sich an und es hat heute einfach keinen Sinn mehr. Ich starte den Motor, ziehe das Vorsegel rein und drehe Findus in den Wind, um das Großsegel runter zu holen. Doch beim Lösen des Falls passiert nichts. Das Segel bleibt stehen und nichts rührt sich. Auch ein kräftiges Ziehen am Segeltuch bringt keinerlei Erfolg. Meine Augen folgen dem Fall, um zu sehen, wo es haken könnte und werden schnell fündig. Es ist eingeklemmt in der Rolle des Blocks, am dem es zum Umlenken nach achtern verläuft. Ein Ziehen und Rucken bringt keine Veränderung und ich bin einfach nur froh, dass wir Flaute und keine 20 Knoten Wind haben.

Das Ende des Falls von achtern hole ich vor zum Mast und nun bekomme ich es frei, im dem ich es verkehrt herum durch den Block führe und erneut daran zerre. Das Segel kommt augenblicklich runter und ich zurre es erstmal nur provisorisch fest.

Ich habe Glück. Oder vielleicht ist es einfach meiner vorausschauenden Art geschuldet, denn ich habe einen Ersatzblock in entsprechender Größe im Bauch meines Schiffes liegen und schäkel diesen fest. So ganz richtig ist dieses Konzept nicht, denn das Fall verläuft nicht wirklich mittig der Rolle und auf Dauer kann das so nicht bleiben. Ich wundere mich etwas darüber, denn über sechs Jahre lang ist mir nicht aufgefallen, dass hier eine potentielle Fehlerquelle liegt, die so nicht sein sollte.

Kurzfristig hisse ich erneut beide Segel und drehe noch eine kleine winzige Runde. Fürs Erste ist alles in Ordnung, doch ich muss mich wieder mehr zusammennehmen und mehr für mich und mein Schiff tun. Findus braucht wieder mehr Pflege und ich brauche wieder mehr mein Schiff. Ich hoffe inständig, dass ich die Kraft dazu finde.

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