Ich muss raus. Ich brauche eine gesunde und energiespendende Portion meines Selbst, um dem hiesigen Wahnsinn, dem ich aktuell ausgesetzt bin, weiterhin standhalten zu können. Hin und wieder erwischen sie mich nämlich doch noch, diese Tage und Situationen, deren Forderungen und Verpflichtungen, mich an den Rand meiner Kräfte bringen. Existenzielle Zukunftsängste, finanzielle Sorgen und berufliche Unorientiertheit prägen zur Zeit meinen Alltag und sähen Zweifel, wo im eigentlichen Sein doch völlige Klarheit steht.
Da ist es nur gut, dass Findus gemächlich in seiner Box liegt und mir nicht nur geduldig zuhört, sondern es obendrein auch immer wieder schafft mich zu erden. Verrückt eigentlich, von Erdung zu sprechen, wo ich mich doch auf dem Wasser erst so richtig finde.
Es ist Mitte / Ende November und die Temperaturen steigen nun nur in der Mittagssonne noch ein wenig an. Wo das Thermometer im windgeschützen Cockpit zwar 7°C anzeigt und es für die Jahreszeit fast noch gemütlich ist, da ist das Deck auf der Sonnenabgewandten Seite doch mit gefrorener Feuchtigkeit überzogen und mancher Stelle gar gefährlich glatt.
Doch ich überlege nicht lange. Die letzten Tage waren wieder überwiegend Grau und nass und permanenter Nieselregen lag in der Luft. Ein Trauerspiel zu all meinen nicht ad hoc lösbaren Sorgen. Doch heute bietet sich endlich wieder ein kurzes Zeitfenster zwischen dunklem Grau und mütterlichen Verpflichtungen und genau dieses kurze Zeitfenster nutze ich jetzt und verlasse in windeseile den Hafen.
Wie schön das ist. Ich schließe meine Augen und atme. Fast schon hätte ich es vergessen. Ich muss wohl wirklich etwas aufpassen, dass mich meine Sorgen, mit all ihren dunklen Gedanken im Gepäck, nicht übermannen. Es ist gerade wirklich nicht leicht all dem standzuhalten, was da aktuell ziemlich komprimiert und in einer erdrückenden Schwere auf mich einwirkt und mich von mir selbst versucht zu trennen.
Die Segel stehen und Findus schaukelt seicht und geruhsam vor sich hin. Zwei oder drei Knoten Fahrt, vielmehr ist heute nicht drin. Wind ist nicht wirklich hier draußen, doch das ist mir egal. In den Wintermonaten ziehe ich es ohnehin eher vor, nur langsam und gemächlich voran zu kommen. Je steifer die Brise, desto kälter ist es schließlich auch.
Nein, viel mehr genieße ich es, mich zurückzulehnen, mir die helle Wintersonne ins Gesicht scheinen zu lassen und keinem weiteren Segler auf der Förde zu begegnen.
So langsam sind nämlich auch die letzten von ihnen im Winterhafen angekommen und ihre zumeist alten und kleinen Yachten stehen nun unscheinbar und verlassen in den Boxen. Die Stege sind jetzt häufig nass und rutschig und hier und da liegen neben unansehnlichem Möwendreck auch einzelne Krabbenteile oder Muschelschalen. Die Hafenanlage gerät nun dort wo keine Menschen mehr sind, in die Fänge der Wasservögel, die sich wie in jedem Winter auf den Holzbohlen niederlassen und sie für sich beanspruchen.
Auch Findus ist jetzt nicht mehr gepflegt. Grüne Ablagerungen zieren das Teak im Cockpit und Schmutz und Dreck breiten sich in Tauwerk und Persenning aus. Ein äußerlich sauberes Schiff ist rar im Winter, doch wie heißt es schließlich so schön? Es sind die inneren Werte, auf die es ankommt. Und zumindest auf Findus trifft das für mich voll und ganz zu.
Dieses wunderbare kleine Boot schafft es immer wieder, mich nach Hause zu bringen. Nach Hause zu mir selbst. Dieser eine Ort, der lange Zeit so unendlich weit entfernt und unerreichbar schien und doch all die Jahre immer in mir war. Wenn mir auch hin und wieder Zweifel an verschiedenen Entscheidungen in meinem Leben kommen, so ist das hier draußen immer wieder der Ort, wo ich spüre, dass alles genau richtig war und auch immer noch ist.
This is the place where I belong.
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