15. März 2025
Einhand mit einer Hand

Oder auch: das Leben muss ja irgendwie weitergehen..

Wie im Freeze Zustand fühle ich mich zur Zeit. Festgefroren und unfähig meinen Ideen, Wünschen und auch meiner Sehnsucht wirklich nach kommen zu können. Ich bin gebunden und viel zu oft von der Hilfe, der Unterstützung und auch dem Wohlwollen meiner Umwelt abhängig. Meine kaputte Hand lässt so vieles noch nicht wirklich wieder zu, was zuvor so selbstverständlich erschien. Es ärgert mich einfach, nicht Herr meiner Lage zu sein und irgendwelche alten Muster in mir wollen diesen Zustand so auch nicht wirklich akzeptieren.

Da ist zum Beispiel dieses tiefe Bedürfnis allein an Bord ein paar Stunden raus zu kommen und die schon fast frühlingshafte und doch noch einsame Stille auf der Flensburger Innenförde zu genießen. Seit Tagen nagt dieses Verlangen immer stärker an mir und drückt unweigerlich auf meine Stimmung. Sicherlich bin ich dankbar dafür, dass es Menschen gibt, die mich die letzten Wochen tatkräftig unterstützten und mir so immerhin knapp 22 Stunden ihrer freien Zeit schenkten. Menschen, die mich beim Segeln begleiteten und mir auch so eine durchaus schöne Zeit auf dem Wasser ermöglichten. Ich weiß das sehr zu schätzen, denn selbstverständlich ist das in unserer heutigen schnelllebigen und oft nur auf Profit ausgerichteten Zeit nicht.

Doch bei aller Dankbarkeit und Freude über diese liebenswerten Gesten jener lieben Menschen brauche ich doch auch diese kleinen Momente für mich, in denen ich nur mit mir allein sein kann. In denen ich voll und ganz bei mir bin und keine gesellschaftliche Rolle übernehme. Wo ich meinen Gedanken und Gefühlen Raum geben und mich diesen auch wirklich hingeben kann. Wo ich tief in mich hinein  atme und einfach nur bin.

Diesen Raum finde ich so in dieser Form ausschließlich hier an Bord. Findus und ich sind ein so aufeinander eingespieltes Team, dass die meisten Handgriffe in der Tat sogar mit nur einer Hand zu bewerkstelligen sind.

Heute ist kaum Wind, weshalb ich es wage, im reinsten Sinne einhand die Leinen los zu werfen. Ganz langsam geht alles nur. Die Fender abmachen, das Stromkabel an Land verstauen, die Persenning zusammenknüddeln. Fürs Zusammelegen bräuchte ich etwas Zugkraft in den Fingern, doch die fehlt noch. Das Fall anschäkeln, alles parat und in Reichweite legen, damit ich nicht unnötig hin und her muss. Auch die Bewegungen an Bord sind langsamer wie sonst, da ein spontanes Abstützen mit der linken Hand nicht möglich ist. Doch nun nur noch die vorderen Festmacher aufschießen und an den Bugkorb binden und dann geht’s los.

Ich bin ein Gewohnheitstier und die Pinne gehört bei mir in die linke Hand, während ich Steuerbord sitze. So gehört das doch, oder? Der Steuermann sitzt Steuerbord. Mit wenig Wind habe ich auch wenig Ruderdruck und das ist heute genau richtig so. Die Drähte in den zwei Fingern verhindern zu schnelle und dolle Bewegungen und auch dem Rest der Hand fehlt es noch immer an Kraft. Gelegentliche Schmerzen gebieten Einhalt in allem was ich tun möchte, aber doch sind Fall und Schoten eine perfekte Trainingseinheit und motivieren mich, nicht bei jedem Ziepen sofort klein beizugeben.

Heute Morgen bin ich hier bei einem traumhaften Sonnenaufgang am Ufer noch spazieren gewesen und nun blicke ich aus dem entgegensetzen Blickwinkel auf die dänische Küste. Ist es nicht ein wahrhaftiges Geschenk hier leben zu dürfen?

Ich bin so froh damals diese Entscheidung getroffen zu haben und mein altes Leben zumindest in Teilen hinter mir gelassen zu haben. Es fällt mir manchmal zwar nicht leicht permanent positiv zu bleiben, denn viel zu oft klopfen die Schatten der Vergangenheit und die daraus resultierenden Sorgen in der Gegenwart an. Doch immer wenn ich an Tagen wie heute auf das blicke, was ich bewusst im Hier und Jetzt erlebe, dann überwiegt das Licht in meinem Leben und die Schatten reduzieren sich auf ein kleines gelebtes Überbleibsel aus einer anderen Zeit.

Ja, ich bin glücklich. Hier und heute. Und jetzt, alleine an Bord. Hier schöpfe ich Kraft und sammle Energie. Hier bin ich. Ich kann ich sein. Was will ich also mehr?

Der wenige Wind bringt mich zwar nicht wirklich voran, doch ich atme durch und freue mich einfach darüber, dass ich hier bin. Die Farben. Das Blau. Der Himmel. Die See. Das hier ist einfach alles, was ich brauche. Was ich manchmal noch gerne so hätte, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Doch was ich emotional wirklich brauche ist in der Tat ausschließlich das, was ich hier gerade habe.

Die Kurswechsel ziehen sich. Vier Mal Kreuze ich hin und wieder zurück. Die Schot kann ich dabei mit der gesunden Hand dicht holen und mit der kaputten kurz halten, um sie dann weiter durch zu setzen. Findus hat ohne Wind ja keinen Druck, der das Segel aufbläht und von der Seite ins Tuch fährt. Mit selbstholenden Winschen ginge es wohl auch bei mehr Wind, doch ich mag diese nicht. Findus ist nun mitte vierzig und nicht das, was man eine moderne Yacht nennt. Ich mag eher das Alte, das Ursprüngliche. Das Urige und Gemütliche.

Nach zweieinhalb Stunden ist der Wind nun aber doch vollends eingeschlafen und die 0,5 Knoten Fahrt bringen mein Boot nicht mehr so richtig von der Stelle. Was soll’s, ich war draußen. Ich habe das geschafft, was ich wollte. Das, was mir wichtig war.

Ich starte die Maschine und ziehe einhändig an der Reffleine des Vorsegels. In der Tag kostet dies einiges an Kraft und ich bin nun tatsächlich mehr wie froh über die aktuelle Windstille. Das dünne Tau um die rechte Hand gewickelt schnürt es diese doch ziemlich ein. Leichtgängig ist meine Rollanlage nun wirklich nicht. Auch das Großsegel lasse ich runter und tuche es in gewohnter Manier, nur sehr viel langsamer wie üblich, säuberlich auf. Mit Zeit und Ruhe geht alles irgendwie und ich freue mich über diese kleinen Schritte der Unabhängigkeit.

Es erfüllt mich mit Erleichterung, dass mir die meisten Handgriffe an Bord, wenn auch nur langsam und ohne viel Kraftaufwand, wieder einigermaßen gelingen. Diese Tatsache gibt mir zumindest ein geringes Maß an Selbstbestimmtheit zurück und wenigstens bei wenig Wind kann ich wieder eigenständig segeln gehen.

Zurück im Hafen muss ich nun aber dennoch feststellen, dass bei aller Selbständigkeit doch noch ein Funken Abhängigkeit bleibt. Alles klapp dann am Ende nämlich doch nicht. So sehr ich es auch versuche, den Reißverschluss meiner Großsegelpersenning zu schließen, die Schmerzen beim Ziehen des Zippers sind doch zu stark. Die Drähte in der Hand blockieren zu sehr die Streck- und Beugebewegungen und somit auch die muskuläre Interaktion der übrigen Finger.

Dennoch bin ich rundum zufrieden mit mir und dem, was jetzt bereits schon wieder möglich ist. Und ja, es ist nun mal auch so, dass ich akzeptieren muss, was nicht zu ändern ist.

Am Abend beim Spaziergang an der Förde muss ich bei dem Anblick der orangenen See lächeln… Ja, ich bin trotz allem was sonst auch oft nicht so gut laufen will, doch irgendwie auch ein Glückspilz.

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