10. Juli 2025
Kein Wind aus allen Richtungen

So ein typischer Satz von Leo, dem urigen Hafenmeister von Søby, den ich seit ich kenne selbst gern nutze. So habe ich ihn damals vor über acht Jahren bei unserer ersten Begegnung nämlich kennengelernt. Trocken, mit verschmitzem Humor und einer selbstlosen Hilfsbereitschaft, die ich bis dahin so noch nicht kannte. Ob es mein damals 13-jähriger Sohn war, der wegen Schmerzen nach Ærøskøbing ins Krankenhaus musste und Leo uns gefahren hat oder mein alter Motor, der auf Höhe Birkholm Richtung Norden schlapp gemacht und Leo uns im überfüllten Hafen einen Platz reserviert hat. Er war von Anfang an immer sofort zur Stelle, wenn man einer an Bord ihn brauchte.

Der Tag heute verspricht Sonne und blauen Himmel, jedoch keinen wirklichen Wind. Der leichte Hauch, den mein Verklicker am Masttop einfängt, kommt in der Tat aus allen Richtungen. Mal tanzt der Anzeiger nach steuerbord, dann wieder nach Backbord oder zur Abwechslung auch mal nach achtern oder in voraus Richtung. Ich will heute trotzdem rüber nach Søby und Leo besuchen.

Ich kenne ihn nun seit acht Jahren und ob wir das neunte Jahr voll bekommen ist ungewiss. Sein Gesundheitszustand lässt keine Genesung mehr zu und seine verbleibende Zeit ist gezählt. Umso mehr freue ich mich ihn heute am späten Nachmittag treffen zu können. Seine unzähligen Geschichten sind immer kleine Mutmacher und tragen stets etwas hoffnungsvolles und dankbares in sich. Søby ohne ihn wird eines Tages mit Sicherheit ein anderes sein.

Ich motore auf der Außenförde, denn der spärliche Wind trägt mein Boot nicht wirklich vorwärts. Meine Hoffnung liegt auf dem Schlag von Gammel Pøl hoch nach Skoldnæs. Vielleicht kommt der NW Wind auf dem Lillebælt dann etwas kräftiger daher, wenn kein Land mehr zwischen mir und ihm ist.

Doch auch hier werde ich heute enttäuscht, denn mehr wie eineinhalb Knoten Fahrt schafft Findus bei diesen Bedingungen einfach nicht. Es lohnt sich schlichtweg nicht, sodass ich die Segel wieder streiche und erneut die Maschine starte.

Die Stille um mich herum schafft neuen Platz in meinen Gedanken. All der Lärm vom Land bleibt zurück. Die Sorgen, die Erwartungen, die Menschen. Und auch der Druck. Der Druck zu funktionieren, wie die Gesellschaft es gern sieht und haben möchte. Der Druck alles richtig machen zu müssen und meiner Rolle zu entsprechen.

Da Heinrich nun den Kurs hält, chille ich auf dem Sonnendeck und lasse hin und wieder meine Beine nach außerbords baumeln. Der Lillebælt rauscht gemäßig, jedoch mit langen Wellen gen Süden und während Findus sie mit seinem spitzen Bug teilt, spritzt erschfrischende Gischt am Bug empor und bietet mir eine angenehme Abkühlung bei den sonnigen und windstillen Temperaturen. Ich könnte ewig so da sitzen und mich von meinem Schiff tragen lassen, doch nicht mehr lange und ich werde die Nordspitze Ærøs erreichen.

Wenn ich so alleine bin, nur für mich, erscheint die Welt in Ordnung. Ich spüre, wie alle Last von mir fällt und die Ketten, die mich unsichtbar umgeben, durch den Blick in die Ferne gesprengt werden. Ich fühle mich frei. Frei zu sein. Frei zu atmen.  Immer wieder komme ich hier draußen bei mir selbst an.

Ja, in gewisser Weise ist Segeln eine Flucht. Raus aus dem Alltag, der nicht zu mir passt. Raus aus den Schwingungen, die mir meine eigene Frequenz versuchen zu übertönen. Raus aus all dem Negativen das mich umgibt. Hier draußen muss ich nichts von all dem ertragen, was mich aussaugt und mir jegliche Kraft und Energie raubt.

Hier draußen versuche ich meine Batterien wieder aufzuladen. Hier draußen komme ich zur Ruhe und immer wieder zu mir selbst. Es dauert immer ein wenig, doch Meile um Meile bröckelt die Mauer, die ich an Land oft zwangsläufig aufbauen muss, um diverse Dinge nicht all zu sehr an mich heran zu lassen. Mein Herz öffnet sich hier wieder und meine Emotionen fließen.

Ich habe die Spitze Ærøs erreicht. Immer wieder freue ich mich darüber den Leuchtturm von Skjoldnæs zu sehen. Vielleicht ist es so was wie der Zauber des ersten Mals, der nicht vergeht und mir jedes Mal aufs Neue zeigt, welch unsagbares Glück ich habe, dies hier kennengelernt zu haben. Skjoldnæs ist ein wenig wie das Tor zu einer anderen Welt. 

Ab hier bereite ich im Normalfall alles zum Anlegen im Hafen vor. Starte nach dem Segeln die Maschine, hole die Genua rein und berge das Groß. Ich hänge die Fender raus und lege sie an Deck und sortiere die Festmacherleinen zurecht, damit ich in der Box beim Anlegen schnell reagieren kann. Bei dem nicht vorhandenen Wind heute, ist ein Großteil ohnehin schon erledigt und die nächsten zwei Meilen hänge ich einfach meinen Gedanken nach.

Ich freue mich einfach hier zu sein. Fast jeder Urlaub startet in Søby und diverse Schlechtwettertage stand ich hier im Hafen. Immer gab es morgens den Kaffee im Havnekontor oder bei gutem Wetter auch davor auf der „Lügenbank“. Darauf muss ich jetzt verzichten. Leo kommt nicht mehr zum kassieren. Er ist außer Dienst gestellt. Das er heute zum Hafen runter kommt ist rein privat.

Was in Søby auch nie fehlen darf ist ein Burger von Arthurs. Eigentlich ist der Pulled Pork der Bester, doch den haben sie leider aus dem Programm genommen. Stattdessen ist es nun eben ein Kylling Burger. Ich liebe es einfach, bei gutem Wetter im Hafen anzukommen, mich zu entspannen und beim Essen die ankommenden Segler zu beobachten. Ich fühle mich hier zuhause.

Am Nachmittag treffe ich Leo bei Arthurs. Er freut sich sehr über meinen Besuch und meine Überraschung ist eindeutig gelungen. Ich sehe ihm seine jrdoch Schmerzen direkt an, auch wenn er sie nicht zeigt. Er kann einiges vertragen und nichts haut ihn so schnell aus,der Bahn. Und wenn ich an seine unzähligen Geschichten denke, dann hat er in seinem Leben einfach schon sehr früh lernen müssen auszuhalten. Er lässt sich nicht anmerken wie es ihm wirklich geht und grüßt jeden, der vorbei kommt und ihn kennt mit seiner typisch flapsigen Art.

Leo ist die Prominenz im Lokal und immer wieder kommen Segler und wollen ihm gute Genesung wünschen. „Die gibt es nicht mehr. Es ist vorbei. „, erwidert er nur trocken. Der Schock steht nicht wenigen ins Gesicht geschrieben, doch Leo bleibt realistisch.

„Det er ikke det samme uden dig“ steht auf dem Sonnenschirm und es wirkt ein bisschen makaber. „Es nicht dasselbe ohne Dich“. Aber es stimmt….

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