Komisch, wie manchmal nur wenige Stunden dazwischen liegen und alles was gestern noch vollkommen klar war, heute auf einmal mit ganz viel Unsicherheit einhergeht. Unerfreuliche Gespräche und die daraus resultierenden Gedanken versuchen gerade meinen Tatendrang und meine seglerischen Ziele für dieses Wochenende stark zu beeinflussen. Und das ohne das sich die eigentlichen Rahmenbedingungen verändert haben, droht mich dennoch gerade mein Mut zu verlassen. Den gesamten Vormittag kam einfach eins zum anderen und von Traurigkeit und Wut bis hin zu hoffnungsvoller Sehnsucht war heute bereits alles dabei.
Soll ich wirklich losfahren? Ein vorangegangene Streit mit meiner bald fünfzehnjährigen Tochter nagt an mir. Ich mache mir Sorgen, wenngleich ich mir parallel doch bewusst bin, dass ich, selbst wenn ich zuhause bliebe, nichts an der aktuellen Situation ändern kann, außer mir zusätzlich selbst damit mein langes Wochenende zu zerschießen. Nein, es war so abgemacht, dass ich fahre und genau das werde ich jetzt auch tun.
Im Hafen angekommen spüre ich den Wind und werde erneut unsicher. Soll ich wirklich fahren? Mein innerer Kritiker meldet sich wieder zu Wort und wie Engelchen und Teufelchen schießen im Wechsel zig Argumente für ein Für und Wider durch meinen Kopf. Darf ich überhaupt ich selbst sein und meine Verantwortung derart abgeben? Wieder bin ich bei der Frage, wie viel Wichtung auf meiner Rolle als Mutter und wie viel auf meinem Selbst liegt. Ein ewiger Kampf mit weitreichenden Folgen für beide Seiten. Ein ewiger Zweifel und eine permanente Zerissenheit. Ich weiß, es gibt diverse Menschen die meine Beiträge lesen und neben sehr viel Verständnis schwingt hier und da natürlich auch immer wieder der leise Hauch des Vorwurfs mit, dass ich insbesondere als Mutter eine Aufgabe zu erfüllen habe. „Da kannst du nichts dran ändern!“, „Da musst du nunmal durch!“, „Da kannst du nur abwarten!“,“Du hast es dir doch so ausgesucht!“. Nein verdammt, nicht so! Kein Mensch sucht sich sein Leben auf Jahre hin im Voraus aus. Das Leben entwickelt und verändert sich schließlich und nicht immer können wir wirklich Einfluss auf diese Wandlung nehmen. Jeder Mensch trägt doch schließlich Themen mit sich, denen er möglicherweise erst nach Jahren der eigenen Erfahrung, nach Begegnungen und Gesprächen mit anderen Menschen auf die Schliche kommt. Themen, die manchmal lange Zeit in einem schlummern und die so tief sitzen, dass man selbst zwar immer gewahr ist, dass es dort noch etwas gibt, doch was man erst Schritt für Schritt in der Lage ist, an sich heranzulassen. Die Wahrheit tut manchmal weh und es gehört letztlich auch eine ziemliche Portion Mut dazu, sich dieser Wahrheit zu stellen. Doch für diesen Mut braucht es innere Stärke, die zu erlangen aufgrund von bewusst und unbewussten Konditionierungen jeder Mensch unterschiedlich lange braucht. Ich bin mir sicher, dass jeder, der das hier liest, ebenso eigene Themen in sich trägt und diese erst im Laufe seines Lebens selbst erkennt und beginnt zu bearbeiten. Zumindest, wenn er den Mut dazu aufbringt.
Der Wind, und dessen bin ich mir bewusst, fungiert in meiner aktuellen Situation nur als Ausrede und ist letztlich nicht mehr wie gestern, wo ich bereits bei geilsten bedingungen weit auf der Außenförde unterwegs war, bevor es am Abend leider zurück ging. Durch meine Bewusstheit ertappe ich mich glücklicherweise schnell und entlarve diese vorgeschobenen Ausflüchte direkt. Ich weiß nämlich, dass meine derzeitige innere Unsicherheit mit dem Segeln ansich rein gar nichts zu tun hat. Schnell mache ich deshalb Findus klar und mehr zur eigenen Beruhigung als das es wirklich nötig wäre und vielleicht auch zur Bekräftigung meiner Entscheidung übers Wochenende los zu fahren, binde ich das erste Reff ein und lege ab. Die ersten Meilen begleiten mich dabei meine Zweifel und ich bekomme den Kopf nicht wirklich frei.
Erst nach über zehn Meilen und endlich auf der Außenförde angekommen, komme ich langsam wieder zu mir. Die sich mehr und mehr auftuende Weite ergreift dabei mehr und mehr mein Herz und füllt mich mit dem, was ich so sehr brauche. Es ist wie die Luft, die ich zum Atmen brauche und immer dann, wenn um mich herum keine anderen Boote in unmittelbarer Nähe sind, schließe ich für kleine Momente meine Augen und atme diese beruhigende und für mich so sehr gewinnbringende Atmosphäre ganz tief in mich ein. Ich atme ein und aus und spüre dabei tief in mich hinein. Dabei fühle ich die zarten Wogen der Veränderung meiner Emotionen und mit jeder tiefen Atmung und dem Blick aufs Wasser lässt der Druck in mir langsam aber spürbar nach. Ich komme Schritt für Schritt und Meile um Meile wieder da an, wo mein innerster Kern liegt und kann mich langsam wieder auf das besinnen, was in mir ist.
Hier draußen fühle ich einfach eine ganz besondere Art von Leben in mir. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, doch hier schwingt Harmonie mit, pures Glück, schlichtes und doch so fundamentales Sein. Ich werde nicht müde dies zu betonen, denn ich halte es für so unglaublich wichtig für die eigene seelische Gesundheit, sich selbst zu spüren und anzunehmen. Sich zu fühlen und zu verstehen.
Ich erreiche die Sønderborger Bucht und muss mich entscheiden. Høruphav oder Sønderborg Marina. Es ist langes Pfingstwochenende und aus den letzten Jahren weiß ich, dass es voll werden wird. Das Wetter ist petfekt, der Wind bietet ideale Voraussetzungen und die gesamte Seglergemeinde ist in irgendeiner Form unterwegs. Die Außenförde mit ihren vier dicht an der Ostsee gelagerten Häfen ist der Ideale Absprung nach draußen oder auch ein letzter Halt für jene, die es in die Stadt zieht. Ich habe Bedenken in Høruphav jetzt am Abend keinen Platz mehr zu bekommen und entscheide mich mit leichtem Unwohlsein stattdessen für die Marina von Sønderborg. Hier haben Freunde aus dem Heimathafen ebenfalls für diesen Abend angelegt und mir bereits einen freien Platz zugesichert.
Dennoch ist es einfach nicht mein Hafen. Immer wieder versuche ich es aus verschiedenen Gründen und gebe Sønderborg Marina, so wie auch heute, eine neue Chance. Doch jedes Mal wieder überkommt mich, sobald ich in der Box fest bin, dieses ungute Gefühl. Zu viele Menschen sind mir hier auf den langen Stegen unterwegs. Nicht wenige von ihnen wirken oft irgendwie abwesend und mir fehlt das freie Lächeln auf vielen ihrer Gesichter. Hier wird irgendwie auch nicht so freundlich gegrüßt, wie ich das aus anderen Häfen gewohnt bin. Alles scheint auf eine kühle und distanzierte Art anonym und ich fühle mich auf eine unangenehme Weise fremd und unverstanden. In keinem anderen Hafen verspüre ich dieses schon fast beklemmende Gefühl des falsch am Platz Seins sonst. Vielleicht liegt es an der Art des Hafens, in den ich selbst einfach nicht wirklich hineinpasse. Hier liegen verhältnismäßig viele Boote von Familien mit oft kleinen Kindern. Auch eine Freundin lag vor ein paar Jahren mal einige Zeit hier mit Mann und Nachwuchs und der von ihr ins Leben gerufene Begriff der „Akustikfender“ bringt in der Tat genau das zum Ausdruck, was ich innerlich denke. Ich verspüre den Drang, von jenen Booten Abstand zu halten, auf denen ich kleine orangene Feststoffrettungswesten sehe und die qieckenden Geräusche von eventuellem Seglernachwuchs vernehme.
Dies mag vielleicht ein wenig gemein klingen, doch insbesondere auf meinem Boot liebe und schätze ich die Ruhe und die Entspannung und die damit einhergehende absolute Stille und kann mit weinenden und schreienden Kindern einfach nicht ganz so gut umgehen. In Dänemark haben sie zum Thema Kinder an Bord eine echt gute Idee. Es gibt hier die schwarze BOB Flagge mit einen großen gelben Smiley in der Mitte, die unter der Backbordsaling gefahren wird. „Børn om bord“ bedeutet dies und zeigt an, dass sich Kinder an Bord befinden. Eine feine Sache finde ich, denn so finden interessierte Familien im Hafen schnell zueinander und ganz nebenbei könnte man, ein ausreichendes Platzangebot vorausgesetzt, auch Abstand halten, wenn man eben nicht so gern die Nähe von quengelnden und überdrehten Kindern sucht.
Glücklicherweise habe ich heute Freunde hier im Hafen und verbringe den kurzen Abend bei Beate und Gotthard an Bord auf ihrer kleinen Granada 24. Ich bin froh über diese willkommene Ablenkung und die angenehme Gesellschaft meiner Stegnachbarn aus dem Heimathafen gibt mir hier in der Anonymität der Marina das Gefühl nicht allein unter Fremden zu sein. Danke an euch zwei für die Einladung und die netten Gespräche. Müde und erledigt von den Ereignissen und Gedanken des Tages falle ich bei Einbruch der Dunkelheit völlig erschöpft auf meine Koje und schlafe schnell und ohne weiteres Kopfzerbrechen über die vorangegangenen Unsicherheiten ein.
Schnell mache ich mich nach einer kurzen Nacht auf, Sønderborgs Hafen am Morgen wieder zu verlassen. Mich zieht es raus. Ich will das vermeintlich Offene sehen. Die Ostsee, den Lillebælt, den scheinbaren Horizont. Und ich möchte heute einen Freund in der dänischen Südsee besuchen. Der Weg wird weit und der Wind ist bereits am Morgen nahezu eingeschlafen. Ohne das Fall fürs Großsegel einzuschäkeln, ohne meine Instrumente anzuschalten und ohne meinen Track zu starten lege ich zügig ab. Ein Nachbar möchte noch beim Ablegen helfen, doch bevor er auf dem Steg ankommt, bin ich bereits halb der Box draußen und rufe ihm nur noch ein lächendes „Danke“ entgegen.
Draußen setze ich mehr proforma das Großsegel, denn ich merke direkt, dass es keinen Sinn hat, heute segelnder Weise voranzukommen zu wollen. Was sich im Hafen noch nach einer zarten Brise anfühlte, ist hier draußen in der Sønderborger Bucht so gut wie gänzlich verschwunden. Ich habe 24 Meilen vor mir und bei einer durchnittlichen Geschwindigkeit von unter eineinhalb Knoten wäre ich um die sechzehn Stunden unterwegs.
Es gibt also nur zwei Möglichkeiten, ich hätte im Hafen bleiben müssen oder ich nutze die Maschine. So brummt also der Harry beständig vor sich hin, während ich mich an Deck in die Sonne setze und Heinrich den Kurs hält. Der Morgen ist bereits angenehm warm und nach einen gemütlichen Frühstück im Cockpit genieße ich den Anblick der offenen See. Es ist so unsagbar schön. So ergreifend und faszinierend. All die Enge in meiner Brust, all die beklemmenden Gefühle weichen dieser ganz besonderen inneren Freiheit. Nichts fällt mehr schwer, keine Gedanken erdrücken mich, nur eine vollkommene Leichtigkeit erfüllt mein gesamtes Selbst.
Der Leuchtturm inmitten der Einfahrt zur Flensburger Außenförde übt einen ganz besonderen Reiz auf mich aus. In unserer modernen und technisierten Welt, in der ein Blick auf die digitale Seekarte ausreicht und die Positionsbestimmung via GPS übermittelt wird, ist der Kalkgrund für Freizeitsegler wie mich als Seezeichen, zumindest tagsüber, nicht mehr wirklich von Bedeutung. Doch mir persönlich weist er den Weg in Richtung Freiheit. Hier liegt die Ostsee. Hier führt mich der Lillebælt hinauf nach Dänemark und hier beginnt für mich die Schönheit der See.
Immer weniger Land ist jetzt zu sehen und der Horizont beginnt hier, je nach Sichtverhältnissen, mir seine Unendlichkeit mit dieser unsagbaren Schönheit vorzugaukeln. Gern gebe ich mich dieser Illusion von vollkommener Freiheit hin. Gern verdränge ich das Wissen um das Land hinter dem, was meine Augen erfassen und gebe dem Wunschtraum, der hinter diesem all umfassenden Nichts auf See liegt, genug Raum für meine ganz persönliche Gedanken- und Phantasiewelt.
Mein Atem geht langsam. Ich atme gleichmäßig ein und aus und schließe für einen kurzen Moment meine Augen. Ein zartes Lächeln unfasst meine Mundwinkel und mein Herz klopft aufgeregt wie das eines frisch Verliebten vor seinen ersten Date. Ich spüre eine vollkommene Zufriedenheit in mir und bin so unsagbar glücklich. Hinter meinen geschlossenen Lidern sammelt sich Flüssigkeit auf der Netzhaut meiner Augen und eine kleine Tränen des Glücks rinnt an meiner Wange herab. Ich atme noch einmal tief ein und während ich ebenso tief ausatme, formen meine Lippen ein leises „Danke“, was sich seinen eigenen Weg hinaus auf die offene See bahnt.
Ich liebe es so sehr. Nichts als Himmel und Meer zu sehen. Ich liebe diese Blautöne, liebe diese Intensität der Farben. Ich liebe das Sein auf See und an Bord meines kleines Schiffes und hier und jetzt liebe ich einfach das Leben. Ich liebe es ein Teil des Großen und Ganzen sein zu dürfen und ich liebe es so vollkommen für mich zu sein. Ich bin überwältigt von meinen eigenen Gefühlen, die so stark und mit einer unfassbaren Wucht von meinem Herzen ausgehen. Sprachlos und ungläubig vergehen die Meilen, doch meine Sprachlosigkeit bleibt.
Ich hätte mir ein wenig Wind gewünscht, doch ich will nicht meckern. Ich bin froh hier zu sein und passiere viel zu schnell die Nordspitze Ærøs. Skjoldnæs Fyr, der Leuchtturm der Insel, ist sowas wie das Tor zur dänischen Südsee, die mit ihrer idyllischen Inselwelt und ihrer einladenden Liebligkeit das Ziel vieler deutscher und dänischer Segler ist. Im Sommer ist es hier oft viel zu voll und das drängen um Liegeplätze beginnt nicht selten schon in den Vormittagsstunden.
Doch heute ist alles frei in Søby. Wie immer leicht aufgeregt fahre ich durch die Hafeneinfahrt und stelle erleichtert fest, dass in der vordersten Reihe genügend kleine Plätze frei sind. Gekonnt und souverän lege ich an als hätte ich nie etwas anderes gemacht. In Søby fühle ich mich wohl und sicher und dieses Gefühl nimmt sicherlich auch erheblichen Anteil daran, dass ich keinerlei Unsicherheit hier im Hafen spüre.
Am Nachmittag sitze ich entspannt im Cockpit meines Bootes, die Sonne scheint warm auf mich herab und ich bin vollkommen in ein gutes Buch versunken. Viel zu selten erlebe diese Momente, in deren ich derart frei und so tiefenentspannt sein kann, dass ich nicht bei den unterschiedlichsten Geräuschen aufhorche, sie lokasiere und dann feststelle, dass sie für mich nicht von Bedeutung sind. Tief in die Geschichte meines Buches verstrickt und mit ihren Charakteren fiebernd, spüre ich plötzlich und unwillkürlich eine Bewegung in meinem Boot. Das Heck hebt sich leise, während jemand meinen Bug besteigt. Eigentlich tut dies nur mein ältester Sohn, wenn er mal vorbei kommt, doch der Blick durch das Fenster meiner Sprayhood lässt mich direkt freudig grinsen. Es ist Torben. Ein liebgewonnener PD-Freund aus Marstal. Er war vor ein paar Wochen noch kurz davor seine „Blue Star“ aus gesundheitlichen Gründen zu verkaufen, doch etwas in ihm gibt der Segelei in dieser Saison noch mal eine Chance. Indirekt hatte ich gehofft, dass er einen kurzen Abstecher mit dem Auto nach Søby machen und ihm kurzerhand nach meiner Ankunft eine Foto von meinem Schiff vorm Hafenrestaurant geschickt. Jetzt ist er da und ich freue mich über das Gespräch mit ihm, was in seinem deutsch weit besser ist, wie die Fetzen dänisch, die ich zur Zeit erst beherrsche.
Es gibt wenige Häfen wie diesen hier. Alles ist so vertraut und es fühlt sich so an. Fast wie eine Art zweiter Heimathafen. Ich bin gerne hier und genieße immer wieder aufs Neue die Sonnenuntergänge hinter der Mole. Unzählige Bilder habe ich bereits aus dieser Position und doch muss ich jedes Mal wieder die Linse Richtung Hafenausfahrt halten und die Farben für mich festhalten.
Am späten Nachmittag liefen Carsten und Felix aus meinem Heimathafen mit ihren Booten in Søby ein. Sie hatten an einer Nachfahrt nach Marstal und anschließender Regatta der GFK classics teilgenommen und den Abend verbringe ich nun in lustiger Gesellschaft auf Felix‘ kleiner Maxi, die neben mir angelegt hat. Es ist schon verrückt, dass sich derart gesellige Abende im Heimathafen so gut wie nie ergeben und man erst Meilen entfernt von zu Hause zusammen sitzt und sich gegenseitig seine Geschichten erzählt. Zu fünft verfliegt der Abend in Nu und hat neben den alten nun auch noch neue Bekanntschaften mit sich gebracht.
Die Nächte an Bord sind noch immer frisch, doch auf meine Dieselheizung verzichte ich mittlerweile. Ihr Röhren gehört in den Winter und die Geräusche des Auspuffes sind unterm Sternenhimmel hier einfach fehl am Platz. Stattdessen hole ich meinen Heizlüfter raus und lasse ihn ein paar Minuten laufen, bis meine Koje, meine Decken und ich einigermaßen aufgewärmt sind und zur Ruhe kommen.
Bevor ich die Insel verlasse, ist es mir noch ein dringendes Bedürfnis bei Leo vorbei zu schauen. Der Hafenmeister von Søby ist im Laufe der letzten Jahre zu einem liebgewonnenen und hilfsbereiten Freund geworden. Im letzten Sommer, wo eine Depression und leichte Panikattacken mich heimgesucht hatten, war er für mich da und jeden Morgen nach seiner Runde im Hafen saßen wir gemeinsam im Havnekontor und er hat mir zugehört. Ich möchte jetzt nicht einfach abhauen ohne mir meine gewohnte Tasse Kaffe abzuholen. Die Freude des Wiedersehens liegt auf beiden Seiten und nach dem Austausch der wichtigsten Neuigkeiten verabschiede ich mich mit einer dicken Umarmung und einem nochmaligen Dank für alles bei ihm.
Der Wind draußen ist perfekt und kurz vorm Hafen setze ich bereits beide Segel. Konstant rauscht Findus los und reitet über die kleinen Wellen. Mein Boot teilt die See des sysfynske øhav mit seinem scharfen Löffelbug und peitscht die Gischt zur Seite. Ein geiles Gefühl und ich fühle mich wieder so frei und unbeschwert wie in Kindertagen wo keinerlei Last auf meinen Schultern lag und ich einfach glücklich und zufrieden mit mir selbst sein konnte. Vielleicht segle ich deshalb so gern, wegen dieses Gefühls. Mein inneres Kind und mein heutiges Ich sind hier vollkommen eins. Auf See ist die Zeit, in der wir beide uns zuhause fühlen.
Ein wahnsinniges Glücksgefühl übermannt mich und in mir sprudelt es über vor Freude. Der Abend, der Morgen, das alleinige Ablegen und Segeln und jetzt diese grandiosen Bedingungen auf dem Wasser. In diesem Moment ist die dänische Südsee das größte und schönste Gewässer auf dem ich unterwegs sein kann. Einfach weil das was ich tue und fühle im wirklichen Hier und Jetzt geschieht und mein Wunsch höher in den Norden zu gelangen viel zu weit in der Ferne liegt.
Über traurige Gefühle, Kummer und Sorgen und auch über Wut kann man viel schreiben. Das habe ich in der Vergangenheit auch viel und oft getan und tue es manchmal noch immer. Dabei war und bin ich wahrschenlich immer auf der Suche nach Antworten und versuche permanent mich zu erklären. Immer in der vagen Hoffnung auf Verständnis und sicher auch um diese manchmal sehr unangenehmen Gefühle einfach fort reden und schreiben zu können. Nicht umsonst sagt man: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ Doch über das Schöne, das Einzigartige, das Liebevolle, da fehlen mir oft die richtigen Worte. Vielleicht braucht es sie auch gar nicht so nötig, da die Leere in mir dann gefüllt ist. Wie beschreibt man Glück und Zuversicht? Wie erklärt man diese tiefe Liebe? Vor genau sechs Jahren habe ich es zum ersten Mal in einem Brief an einen lieben Freund versucht. Noch etwas holprig und nicht so formvollendet, doch den Kern hat es bereits getroffen.
„…es sind die Momenten der Ruhe und der Stille. Momente in denen man ganz für sich sein kann. Ich möchte so oft gern ganz allein sein. Nur für mich. Ich selbst. Einfach alles wirken lassen. Denken, philosophieren, allem einen neuen Sinn geben. Genießen, in mich rein hören, eins sein mit mir und dem Boot oder dem Gefühl da draußen. Die Zeit nicht mehr wahrnehmen und in eine Welt abtauchen, in der ich mich wohl fühle und alles andere vergessen kann. Nur ich und die Stille. Ich liebe dieses Gefühl. Ein Gefühl von Sehnsucht und Schmerz und sich dabei wohlfühlen und glücklich zu sein. Verrückt, oder? Nein, es ist einfach schön. Dieses Melancholische. Dieses sich sehnen.
Es ist nicht die Romantik dieser Farben oder der Stille, sondern diese tiefe Sehnsucht. Dieses Gefühl auf dem Wasser, was ganz tief drinnen dieses Wohlgefühl auslöst. Dieses Bild mit seinen Farben und seiner Atmosphäre, die Stille und Schönheit, wenn man durch das Wasser gleitet und die Kraft der Natur auf sich wirken lässt. Diese Faszination, das es zwar immer dasselbe ist und doch jedes mal anders und dabei immer wieder dieses Gefühl im Herzen hervorbringt. Es ist so viel mehr Wert wie alles Materielle. Letztlich ist es das Gefühl, was es alles mit einem macht. Dieses Überwältigende. Die Liebe und Sehnsucht nach der man sich sehnt und die nichts mit körperlicher Sehnsucht oder Liebe zu tun hat. Einfach nur draußen sein zu wollen. Nie mehr aufhören. Unendlichkeit, die schöner und stärker ist als alles um einen rum. Ja, das ist es. …Allein sein und gleichzeitig teilen….“
„….und irgendwann reduziert sich das vorerst nötige Worte finden auf ein kleines, fast unbemerktes, konspiratives Grinsen. Auf einen winzigen Wimpernschlag, der alles sagt.“
Es fällt mir noch immer schwer, diese mich so der Art wahnsinnig überwältigenden Gefühle für mich zu behalten und ich möchte sie einfach hinaus in die Welt schreien. Ich will sie teilen. Wie sagt mein Stegnachbar Andreas immer: „Glück ist nur perfekt, wenn man es teilt!“. Genau so empfinde ich es und deshalb bleibt bei allem noch so riesigem Glück immer ein winziger Wermutstropfen.
Um mich herum sind keine weiteren Boote und die wenigen, die weit entfernt unterwegs sind, haben ebenso wie ich das Pusten des Windes und Rauschen und Spritzen der Gischt im Ohr. Ich kann es also wagen und Musik an Bord anmachen und so meinen Gefühlen auf andere Art ihren Lauf lassen. Wie aus dem Nichts ist nämlich ganz plötzlich ein alter Schlager aus den siebzigern zwischen meine Ohren aufgetaucht und ich bin froh, meine BigBlue Bluetooth-Box griffbereit zu haben. Cindy und Bert, Nina und Mike, Rex Gildo, Jürgen Markus und viele andere typische 70iger Schlager-Interpreten begleiten mich auf Findus für die nächste Stunde und ich hoffe inständig, dass mich wirklich niemand gesehen oder gar gehört hat, wie ich voller Inbrunst das Lebensgefühl meiner Kindheitstage hier an Bord für mich allein celebriere.
Irgendwann lässt der Wind nach und die Musik an Bord verstummt. Ich bin losgeworden was raus musste und sitze jetzt wieder tiefenentspannt und zufrieden im Cockpit und lasse mich den kleinen Belt hinab schaukeln. Um Pøls rev rum schläft der Wind dann komplett ein und ich berge die Segel. Schade eigentlich, doch es hilft nichts. Unter Maschine geht es weiter bis ich in Marina Minde einlaufe. Aufgrund des Pfingstwochenendes sind viele Häfen am Nachmittag bereits hoffnungslos überlaufen und ich bin froh, dass Pia auf ihrer Jeannau da ist und mir kurzerhand einen Platz frei hält.
Am Abend genieße ich nochmal die Geselligkeit mit Freunden und dieses Mal ist es Findus, dessen Cockpit gefüllt mit Menschen ist. Wieder bin ich froh, den Stammtisch für segelnde Frauen im Norden ins Leben gerufen zu haben, denn ohne ihn säßen jetzt weder Pia noch Ramona bei mir an Bord und wären stattdessen ebenso allein auf ihren Schiffen, wie ich es zu Anfang auch auf meinem gewesen bin. Auch Beate und Gotthard kommen dazu, nachdem sie spät in die Marina eingelaufen sind. Auch für sie haben wir noch einen freien Platz ergattert und es bestätigt wieder meine seit Jahren währende Überzeugung: Seglerfreunde zu haben, sich zu vernetzen, einander zu helfen und unterstützen ist so unsagbar viel wert. Füreinander da sein, voneinander lernen und den einen oder anderen Abend gemeinsam den Sonnenuntergang bei netten Gesprächen genießen ist einfach Goldwert!
Ich sage nochmal danke an alle, die dieses lange Wochenende ganz spontan und unvorhergesehen zu etwas ganz besonderem gemacht haben. Danke. Ihr seit spitze!
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