Alltag. Ich laufe durch die Straßen, schnappe hier beim Vorübergehen ein paar Wortfetzen auf, sehe dort gestikulierende Menschen in Restaurants oder auf Parkbänken sitzen. Ich blicke nur kurz in ihre Gesichter, höre den Ton in ihren Stimmen. Ich lese Berichte und Kommentare in den sozialen Medien, spüre die besorgte Hilflosigkeit und Ohnmacht auf der einen Seite, ebenso wie die boshafte Ignoranz und Einfältigkeit auf der anderen. Ich blicke mich um in der Welt, in der ich lebe und ich frage mich immer wieder: Warum?
Heute ist Sommer. Ein Tag, den zum Segeln ich mir in meinem Urlaub gewünscht hätte. Meile um Meile in die unendliche Ferne blickend, verwöhnt von der Sonne Strahlen und frei in meinem Sein. Mein Wunsch hatte sich nicht ganz so erfüllt und doch hatte ich eine fantastische Zeit an Bord meiner kleinen Polaris Drabant. Was für ein Geschenk. Was für ein geniales Glüch und was für ein grandioser Luxus.
Keine Megayacht, kein Hightechracer. Kein modern ausgestattetes Boot, mit allen Annehmlichkeiten der heutigen Zeit. Nein. Nur ein altes Plastikschiff. Entwickelt in den frühen Siebzigern und ein ganzes Jahrzehnt lang gebaut. Zu seiner Zeit eine Revolution im Wassersport. Die PD war schnell und wendig, ausgeschrieben sowohl als familientauglicher Fahrtensegler, als auch als schnelles Regattaschiff. Damals galt sie als modern und mit ihrem 7/8 Rigg und den gepfeilten Salingen war sie noch eine Seltenheit auf den Gewässern rund um Dänemarks Küsten. Das einfache, wenngleich aber praktische Interieur und die spärliche Ausstattung verschafften den Familien jener Zeit und auch den Ambitionierten komfortables und schnelles Reisen in einem. Gebaut ist die Polaris Drabant aus Glasfiber mit einem Sandwichkern. Leicht sollte sie sein, an die Linien der alten hölzernen Klassiker erinnern und gleichzeitig aber auch einen neuen Trend setzen. Die PD hat es geschafft und überzeugt, zumindest mich, bis heute mit ihrem gesamten Wesen.
Ich mag das Einfache, das Alte und doch lasse ich mich verleiten mein altes Schiff zu modernisieren. Hier ein bisschen Technik, dort mehr Sicherheit. Hier etwas effizienter, dort ein bisschen schöner. Ich kann mich nicht Freisprechen von dem Wunsch nach einer gewissen Bequemlichkeit. Sei es das elektrische Kochen an Bord oder das automatisierte Segeln mit dem Pinnenpiloten. Die praktische Sprayhood oder die individuelle Innengestaltung. Windmesser, Funk, AIS oder digitale Navigation gehören heute zum Standard und auch ich möchte diese modernen Geräte nicht missen. Und doch kommt er immer wieder der Gedanke: ist das wirklich alles nötig? Weniger ist an und für sich doch mehr. Und früher brauchte auch kein Mensch all den Schnickschnack, der heute als selbstverständlich gilt. Wo also beginnt der Konsum, der uns alle am Ende das Leben kosten wird?
Hinter mir reißt mich ein Geräusch aus meinen Gedanken. Das Pusten eines Schweinswals ertönt vertraut am Heck. Erst ist es nur einer, dann taucht auch ein zweiter auf und meldet sich kurz zu Wort. Zwei, drei Mal holen sie tief Luft, während sie mich ein Stück weit begleiten. Ich sehe sie oft in der Flensburger Förde und doch werden sie mir nicht langweilig. Im Gegenteil, ich freue mich sie zu sehen, Spreche mit ihnen und blicke ihnen suchend hinterher, wenn sie in der Dunkelheit der See verschwinden. Wie leben sie wohl da unten? Was tun sie, wenn sie gerade mal nicht für einige Augenblicke ein Boot begleiten? Was denken oder fühlen sie? Sind sie glücklich?
Ich bin es jedenfalls. Ja, ich bin glücklich. Auch wenn ich oft genug an das denke, was mir in meinem persönlichen Leben verwehrt bleibt, so kann ich nicht sagen, dass es mir schlecht ergeht. Ich habe einiges an Scheiße durch und doch habe ich es bisher geschafft, mich nach jeder Talfahrt immer wieder ins Licht zu manövrieren. Das Leben ist ein ewiges Auf und Ab und die tiefe Sehnsucht nach der Erfüllung meiner Träume bleibt bestehen. Doch hier und jetzt blicke ich mich um. Wie wunderbar. Wie schön. Wie genial. Wie könnte ich hier nicht glücklich sein?
Es gibt sie schließlich immer, die Möglichkeit sich zu entscheiden und es liegt einzig nur an mir, dem Weg ein Ziel zu geben.
Immer wieder kommt es vor, dass stark motorisierte Boote meinem Kurs kreuzen. Sie hinterlassen nicht selten Heckwellen, die erst langsam angerollt kommen, sich jedoch stetig aufbauen und mein kleines Segelboot für kurze Zeit aus dem Gleichgewicht werfen. Ich könnte mich ärgern, auf sie schimpfen und ihnen Rücksichtlosigkeit vorwerfen. Ja, ich könnte es negativ betrachten und Wut aufbauen. Doch das tue ich nicht. Schon lange habe ich mir ein Spiel daraus gemacht und fiebere der anrauschenden Welle entgegen. Ich ändere meinen Kurs und steuere direkt in sie hinein. Ich lasse Findus springen und schaukeln, schwinge mit der rollenden Bewegung mit und begebe mich dann wieder auf meinen Kurs.
Ja, die See lehrt einem das Leben, denn nichts anderes passiert jedem von uns immer und ständig. Das Leben kommt daher und von jetzt auf gleich, aus dem völligen Nichts heraus, f***t es dich und lässt dich scheinbar allein und down am Boden liegen. Herausgerissen aus deiner Welt. Aus deinen Träumen, deinem Leben. Immer wieder kommen Tiefpunkte, Traurigkeit und Schmerz. Doch was du ohnehin nicht ändern kannst, musst du annehmen und das Beste daraus machen. Wie mit dieser Welle. Sie kommt, ob es mir gefällt oder nicht und ich nehme sie mit. Weiche kurz ab von meinem Ziel, bezwinge sie und nehme wieder Kurs auf.
Zu gern möchte ich jetzt weiter. Möchte raus auf die offene Ostsee. Möchte das Leben leben, was ich mir erträume. Doch dieses Leben ist und bleibt ein Traum. Das anzunehmen fällt mir noch immer nicht leicht und hin und wieder laufen mir unwillkürlich Tränen über meine Wangen. Sie sind so salzig wie das Meer und das Meer ist Heilung. Doch heute tut es gar nicht weh. Denn heute bin ich glücklich.
Ich genieße noch ein paar Meilen mein schwereloses Sein. Der Sommer neigt sich dem Ende und auf der Förde ist zunehmend weniger los. Mein Blick wird auch hier wieder weiter und die Fesseln und Gitter, die aktuell und vielleicht auch für immer, zwischen mir und meinem Traum stehen, verlieren an Bedeutung. Ich bin frei. Frei in meinen Gedanken und in meinem Sein. Ich nehme diese kostbare Freiheit und bin dankbar.
Ruhe und Stille umgeben mich. Entschläunigung. Zeit für mich. Zeit für Gedanken. Zeit für Antworten. Weg von oberflächlichem Geplänkel und scheinbarem Interesse. Fort vom Unechten und Vorgetäuschten und stattdessen hin zu dem, was für mich eine Art Lebenselixier bedeutet. Das Ankommen bei mir selbst, bedeutet für mich Licht und Wahrheit. Meine eigene und ganz persönliche selbstverständlich.
Ein Freund meinte mal zu mir, meine Bilder und Gedanken seien gut, jedoch die Art meines Blogs der heutigen Zeit nicht mehr angemessen. Das mag gut sein. Es kostet Zeit zu schreiben. Schreiben, lesen, korrigieren, um am Ende doch Fehler Übersehen zu haben. Und es kostet Zeit meine Worte zu lesen, sie vielleicht anzunehmen oder auch zu verstehen. In unserer schnellen Welt kaum noch möglich und mir ist klar, dass ein sensationelles und in Szene gesetztes Video bei weitem mehr Klicks und Likes generiert. Doch das ist es ja auch nicht, was ich will. Ich brauche keinen schnellen Daumen, der mir suggeriert jemand zu sein. Ich schreibe für mich. Schreibe der Langsamkeit wegen, des Verstehens und der plötzlichen Antworten auf meine ungestellten Fragen.
Doch ich kann nicht leugnen, dass ich mich über Rückmeldung freue und die bekomme ich. Dafür liebe ich jeden Einzelnen da draußen, der sich die Zeit und Ruhe nimmt, mich und meine Reisen, seglerisch wie auch gedanklich, zu begleiten. In stiller Verbundenheit und einen unausgesprochenen Miteinander.
Ich danke euch…..
… und ich danke dir, Marion, für deine Berichte diesen Sommer, die ich (glaube ich) alle bis zu Ende gelesen habe.