Wie wunderschön das ist. Immer wieder bin ich angetan von dem Anblick dessen, was mich in stillen Momenten umgibt. Es ist noch immer Wintersaison und die Förde ist leer. Ich fühle Dankbarkeit, denn ich darf hier sein. Selbstverständlich ist das aktuell nicht, denn durch einen dreifachen Bruch in der linken Hand bin ich ziemlich gehandicapt was das alleine Segeln angeht. Einhandsegeln hat einfach mal eine gänzlich andere Bedeutung, als im alltäglichen Leben vorübergehend tatsächlich mit nur einer Hand auskommen zu müssen. Drähte unter der Haut und Schmerzen bei Belastung zwingen mich meinem Wunsch allein zu segeln Einhalt zu gebieten und mich auf verschiedenen Ebenen, insbesondere eben beim Segeln, stark zurückzuhalten und mich hier und da anders zu orientieren. So bin ich zur Zeit zweifellos in mancherlei Dingen ziemlich abhängig von dem Wohlwollen und der Unterstützung von Freunden und Bekannten und auch von meinen Kindern.

Einer meiner Söhne ermöglicht mir den heutigen Segeltag. Hingegen seiner Hoffnung auf schnelles Segeln bei gutem Wind, herrscht heute jedoch Flaute. Wie der aktuelle Stillstand in meinem Leben, so stehen auch wir hier nahezu auf der Stelle und kommen nicht wirklich voran. Allein würde ich mich jetzt zurücklehnen und mich meinem Sein im Hier und Jetzt vollkommen und ausgiebig hingeben. So jedoch überlege ich bereits wieder, wie ich die kostbare Zeit hier draußen auf dem Wasser noch besser, noch intensiver und vorallem emotional noch gewinnbringender nicht nur für mich, sondern für beide Seiten nutzen kann. Den aufkeimenden Gedanken an Verantwortung schiebe ich derweil noch erfolgreich zur Seite, wenngleich ich trotz allem spüre, das eine gewisse Blockade mich nicht rundum frei sein lässt.

Ein kurzer Blick online auf den Pegel verrät mir ein Plus von rund 30 cm. Windstille und ein leicht erhöhter Wasserstand sind die perfekten Voraussetzungen, heute nach über drei Jahren mal wieder an der store okseø, der großen Ochseninsel, anzulegen und hier ein wenig zu verweilen.

Früher, noch vor meiner eigenen Segelzeit, gab es hier auf der Insel Gastronomie und es wurde Bootsbau betrieben. Aufnahmen aus jener Zeit und Berichte alte Segler bezeugen, die Stege waren im Sommer oft überlaufen mit Booten aus benachbarten Häfen und am kleinen Strand herrschte reges und ausgelassenes Treiben. Seit einigen Jahren werden auch keine Rindviecher, von denen die Insel ihren Namen ursprünglich hat, mehr auf die Insel gefahren, um den Sommer über hier zu grasen. Vor ein paar Jahren wurde hier noch der eine oder andere Film gedreht, doch anschließend lag das ehemals bewirtschaftete Gelände lange Zeit brach, bis es schließlich Zeit für etwas neues wurde.

Renaturierung fand stand. Die alten Gebäude wurden abgetragen, die rotten Stege entfernt und ein natürlicher Charakter fand Einzug auf der Insel. Nur ein paar Schelter für Naturverbundene und ein Klohäuschen sind hier noch ansässig und für einen kurzen Moment durchfährt mich der durchaus verlockende Gedanke an romantische und laue Sommerabende unter freiem Himmel mit knisterndem Lagerfeuer und zarten Gitarrenklängen.

Die Dänen fahren durchaus ein anderes Konzept im Umgang mit Camping und Natur wie die Deutschen. Hier scheint es zumindest noch mehr Miteinander zu geben und auch die Eigenverantwortung erscheint mir hier irgendwie selbstverständlicher.

Die Ufer rings um die Insel sind flach und der kleine Steg bietet nur noch wenig Platz für Boote und wenn dann auch nur für jene mit geringem Tiefgang. Heute kann Findus hier stehen. Mit 1,40m Tiefgang auf einer in der Karte mit nur knapp über einem Meter Wassertiefe eingezeichneten Stelle hat mein Boot so gerade noch die sprichwörtliche handbreit Wasser unter dem Kiel.

Wir erkunden die Insel. Gehen hinauf auf die Klippe, folgen dem einzigen Trampfelpfad, der einmal um die Insel herum führt und landen am Fuß der nach Osten liegenden Steilküste. Stille, Natur und ein Hauch von Ursprünglichkeit. Ich blende aus, dass auch hier regelmäßig Menschen unterwegs sind und gebe mich stattdessen der Illusion des Alleinseins hin, während mein Sohn gerade einen anderen Teil der Insel für sich entdeckt.

Der Sage nach wollte einst ein Riese von einem Ufer zum anderen springen und verlor dabei zwei an seinen Füßen haftende Lehmklumpen, aus denen sich die beiden kleinen Inseln vor der dänischen Küste bildeten.

Während die kleine Ochseninsel sich in Privatbesitz befindet, ist die große öffentlich. Sie gleicht einem kleinen Traum mitten in der Flensburger Innenförde und die Vorstellung, man befände sich irgendwo im Urlaub, fern ab von all dem Trubel des Alltags, tut mir heute richtig gut.

Orte wie dieser verzaubern mich einfach. Ich liebe es zu entdecken und der Phantasie freien Lauf zu lassen. Ich mag das Ursprüngliche und das Natürliche, das Einfache und das Schlichte. Und ich mag es, an diesen Orten verweilen zu können, während keine anderen Menschen mit konträren Denkmustern meinen inneren Frieden aus dem Flow bringen. Gleichtaktung und Stille. Alles fließt einfach.

Immer wieder bin ich dankbar für das, was ich erleben darf. Es sind keine riesigen Sprünge, keine großen Meilensteine und auch keine utopischen Ziele. Dafür fehlt es mir an Mitteln und Möglichkeiten. Doch oft sind es einfach auch nur die kleinen und einfachen Dinge, der gern übersehene Luxus vor der eigenen Haustür, der bei genauer Betrachtung nicht minder wunderschön und erfüllend sein kann. Und ich bin mir dabei auch durchaus bewusst, dass selbst diese in meiner persönlichen Wahrnehmung kleinen Erlebnisse für wieder andere unerreichbar erscheinen mögen.

Und doch habe ich selbst bei aller Reflektiertheit noch immer Mühe jene Konditionierung abzulegen, die mich in einen ständigen Vergleich mit meiner näheren Umwelt zieht. Ein oft versteckter, und doch immer währender und zu jener Zeit mit Sicherheit gutgemeinter Hinweis seitens meines Vaters vor vielen Jahren besagte doch immer, mich stets an „den Besseren“ zu orientieren. Hier und da mag dies einen gewissen Ehrgeiz anfeuern. Mit Zielstrebigkeit und Durchhaltevermögen an der persönlichen Weiterentwicklung zu arbeiten erscheint mir durchaus erstrebenswert. Doch bei genauerer Betrachtung birgt dieses stetige „sich am Besseren orientieren“ auch unendlichen Druck in sich.

Druck haben wir jetzt auch, jedoch nun endlich in den Segeln, so dass Findus doch noch zeigen kann, was in ihm steckt. Vom Pockenbewuchs scheint Findus‘ Unterwasserbereich noch weit entfernt, denn mein Schiff rauscht wie Delphin mit seiner glatten Haut durchs Wasser. Ich lasse mich derweil einfach segeln und genieße den Wind und die Wellen heute mal auf eine andere und doch für mich ungewohnte Art und Weise.

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Sonwik geht es für knapp zwei Stunden noch einmal raus in die Abendsonne. Wind ist nun wieder keiner mehr, doch das seichte Treiben auf der nahezu spiegelglatten Förde hat bei diesem Licht hat auch seinen besonderen Reiz.

Ich liebe dieses Licht mit seinem goldenen Farbton. Die Stille, die Atmosphäre, das Licht. Und wieder huscht ein Lächeln gefüllt mit Dankbarkeit über meine Lippen.

Ich bin hier. Ich bin hier trotz all der Widrigkeiten, die das Leben mir gerade in den Weg rollt. Ich schließe die Augen und atme. Ein frischer Windhauch streift meine Wangen und ich spüre das Leben in mir. Im Moment noch ein wenig gedämpft, doch es ist da und es will gelebt werden.

Danke.









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