Der Wecker klingelt um 3.45 Uhr, mitten in der Nacht. Doch drei Stunden Schlaf müssen heute reichen, denn ich möchte früh los. Mein Boot ist soweit startklar. Proviant ist gebunkert, die Dieselkanister sind voll und alles Nötige ist ohnehin an Bord. Was ich dort nicht habe, das brauche ich schlichtweg auch nicht wirklich. Weniger ist schließlich mehr.

Was ich aktuell je doch ganz dringend brauche, gibt es dort wo ich hin möchte im Überfluss. Tiefe Stille, innere Freiheit, natürliches Sein. Ich kann es kaum abwarten, endlich den Motor zu starten und aus dem Hafen zu fahren.

Während ich das Großsegel auspacke und die Fender verstaue, lasse ich den Landstrom noch kurz dran, um schnell Wasser aufzukochen. Ein Kaffee am frühen Morgen ist draußen gleich genau das Richtige.

Um 4.23 lege ich ab und fahre unter knatterndem Motor aus dem Hafen. Alles schläft, doch jenseits der Stadt kann man den anbrechenden Tag bereits sehen. Eine Mischung aus rotrosè und dunklem Orange steigt über der Flensburger Förde empor und ich bin dankbar jetzt auf dem Wasser zu sein.


Wunderschön sieht es aus. Die Förde liegt spiegelglatt vor mir und die aufgehende Sonne spiegelt ihr in der Feuchtigkeit pastelfarbenes und frühes Orange im Wasser, was wie ein einladender und flauschiger Teppich vor mir liegt. Ich kann nicht aufhören der Sonne beim Erwachen zuzusehen und spüre in den Augen, wie ihre Kraft und ihre Helligkeit alles in den Schatten stellt, was ihr Licht berührt.


Mein Kaffee ist nun auch fertig und trotz des röhrenden Motors genieße ich diese kleine Welt mit ihrer unsagbaren Schönheit um mich herum.

Während Holnis Noor noch in dichtem Nebel liegt, löst sich der trübfeuchte Schleier vor mir bei jeden Grad denn die Sonne höher steigt zusehends auf. Hinter der Schwiegermutter zeigen sich nun auch leichte kräuselige Erhebungen auf dem Wasser, was den leichten Wind ankündig, der mich nur kurze Zeit später endlich in aller Stille die Segel setzen lässt.




Was für ein Traum. Nein, es ist kein Traum. Es ist das Leben. Das wirkliche Leben. Und zwar diese Art von Leben, die mich innerlich erfüllt und mit neuer Energie versorgt. Mir Liebe, Kraft und Mut schenkt und mich in meinem Sein bestärkt. Es ist ein Leben, was nichts gemein hat mit der bloßen Existenz und der Vegetation, der der Mensch im Strudel seines Daseins ausgesetzt ist. Ich lebe. Ich bin. Und ich bin dankbar dafür.



In der Sonderborger Bucht ist der Wind perfekt und ich habe es nicht eilig, zur Bückenöffnung pünktlich im Stadthafen anzukommen. Lieber drehe ich die ein oder andere Pirourette, lasse Findus sich eingrooven und nehme eine Öffnung später.

Zur Durchfahrt berge ich kurz die Segel. Ich habe Bedenken, mit stehendem Groß abgetrieben zu werden und im Gemenge der Boote, die mit mir zusammen den Alssund hoch wollen, kollidieren zu können. Auf die Minute genau klappt alles wie ich es mir ausgemalt habe. Kurz vorm Sonderborger Schloss drossle ich die Geschwindigkeit und fahre nur eingekuppelt einen kleinen Haken nach steuerbord. In zwei Minuten öffnet die Brücke und langsam fädle ich mich ein, in den Pulk von Booten, der ebenso nach Norden möchte.


Im Alssund ist wieder kein nennenwerter Wind und der spärliche Hauch, der nur zart weht, kommt auch noch so acherlich, dass die leichte Strömung mit mir ihn wieder aus meinem Segel vertreibt. So lasse ich zwar das Großsegel oben, fahre aber dennoch unter Maschine. Ein bisschen plagt mich dabei mein Gewissen, denn während andere langsam die Natur um sich herum genießen, habe ich es eilig und segle dänisch in Richtung Nord. Doch mein Weg ist noch weit und ankommen möchte ich nicht erst um weit nach Mitternacht.


Ich setze meinen Weg also fort, als mir ein kleines rotes Schiff entgegen kommt. Die Segel unter der blauen Persenning eingepackt, erkenne ich dennoch sofort, dass es eine andere Polaris Drabant ist, die den Als nach Süden schippert. Robot Rouge ist es. Ein Schwesterschiff von Findus, deren deutsche Eigner ich vor fünf Jahren bereits auf Omø kennengelernt hatte. Es dauert nicht lange und das ältere Pärchen erkennt mein PD252 in Findus‘ leicht flatternden Segel und winkt auffällig und freudig in meine Richtung. Ahoi kleines rotes Schiff. Mir steigen ein wenig die Tränen der Rührung in die Augen. Ein kurzes Aufflackern von Verbundenheit. Was für ein schönes Gefühl.


Im Alsfjord dann endlich Schönwettersegeln. Nicht schnell und vorm Wind kreuzen, doch immerhin in unsagbar schöner Stille. Heute wechsle ich ab, zwischen Ruhe an Bord und in meinem Kopf und lauter Musik. Hier hört mich niemand und ich kann so herrlich schräg und laut mitsingen, die Texte durcheinander bringen und dabei über mich selbst lachen. Innere Freiheit.


Oben am „Dinokopf“ frischt der Wind auf und ich komme raus aus der Landabdeckung. Jetzt beginnt für Findus das Leben. Mein Boot ist in seinem Element. Und wenn es jetzt schon geiles Segeln ist, kommt in wenigen Meilen noch etwas mehr auf mich zu. Weiße, brechende Schaumkronen kündigen Dünung und Wind an und es dauert nicht lange, da versagt Heinrich seinen Dienst und ich muss die Pinne übernehmen. Mit ordentlichem Druck und über sechs Knoten Fahrt rauscht Findus über den Lillebælt. Es spritzt und Gischt benetzt das Deck mit einer salzigen Schicht. Es ist so wunderschön und dennoch spüre ich Ehrfurcht.


Ich bin allein. Um mich herum sind kaum noch Boote. Der Großteil, der mit mir dem Als passierte, ist in die Dyvig abgebogen. Wenn hier draußen etwas passiert…. ich lasse den Gedanken offen im Raum stehen und konzentriere mich auf die See, die vor mir liegt. Und auch auf mein Boot und auf mich. Ich setze den Fokus auf mein Glücksgefühl und fahre damit weit besser, wie mit jedem Wenn und Aber.

Assens kommt in Sicht. Die See ist mittlerweile wieder ruhiger und der Wind hat sich zurück gezogen. Ich bereite alles zum Anlegen vor. Ein kleiner Hauch von Angst steigt kurz in mir auf. Was ist, wenn ich nichts finde? Wenn alle Boxen belegt sind? Blödsinn, es gibt immer einen Platz. Mein größtes Problem ist jedoch meine nicht so ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit mit Unbekannten, weshalb ich auch heute auf freie Boxen hoffe.

Ich vertreibe die aufkeimemde Furcht und gehe mein Manöver durch. Radeffekt, Windrichtung, Notfallplan. Ich halte mich links in der Boxenreihe, denn mein Radeffekt zieht Findus‘ Hintern im Rückwärtsgang nach backbord. So kann ich besser drehen, wenn ich wieder raus muss. Gleichzeitig habe ich den leichten Wind von achtern, wenn ich an steuerbord eine freie Box finde und werde so reingedrückt statt rausgeschoben.

Seit diesem Jahr sind die grünen Schilder in den freien Boxen zusätzlich mit ihrer Breite beschriftet. Das hilft ungemein die richtige Box zu finden und wie aus dem Bilderbuch klappen meine Manöver perfekt. Mein Boot ist fest. Stolz überkommt mich. Yes! Ich habe es geschafft.



Der Abend wird kurz, denn ich bin ziemlich fertig. Erschöpft von nur drei Stunden Schlaf in der letzten Nacht, nach 13 wunderbaren Stunden auf See und 53 Meilen im heutigen Kielwasser, verzichte ich heute auf fast alles im Hafen und falle nach einer kurzen Runde zur Abendsonne vollkommen müde, jedoch erfüllt mit Glück, Zufriedenheit und unendlich viel Liebe in meine Koje.



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