Der Wecker klingelt heute bereits um 3 Uhr nachts. Nach höchstens drei Stunden Schlaf fällt es mir nicht unbedingt leicht, meine Koje zu verlassen, doch ich möchte heute einen langen Schlag schaffen und nicht erst in den Abendstunden im nächsten Hafen ankommen. Ich breche deshalb lieber entsprechend früh auf und nehme die Herausforderung gern an, im Dunkel dieser sternenklaren Nacht zu starten.
Ich mag diese Fahrten, die noch vorm Hellwerden beginnen und mich die Geburt eines neuen Tages miterleben lassen. Ich bin fasziniert davon, wie schnell das Licht des Tages Besitz von der Nacht ergreift und diese still und leise in die Vergangenheit ziehen lässt, während neuer Platz für die Zukunft geschaffen wird.
Motiviert, wenngleich noch sehr müde, mache ich deshalb alles so schnell und so leise es geht fertig. Ein bisschen finde ich es unangenehm zu nachtschlafender Zeit Lärm zu machen. Ich baue meine Koje zurück, hole das Stromkabel rein, verstaue die Fender und starte direkt den Motor. Die Route habe ich am Vorabend bereits eingegeben und sämtliche Kleinigkeiten zurecht gelegt. Jeder Handgriff sitzt und im Nu ist Findus frei und auf dem Weg in den nahenden Tag.
Die Hafenausfahrt ist dunkel, doch sobald ich draußen bin, weist bereits ein orangefarbener Streifen über den Ufern von Sjælland den Weg in Richtung nordost.
Das Wasser ist aalglatt und in ihm spiegelt sich das Licht des Himmels. Es wirkt wie ein Traum, auch wenn es keiner ist. Hier und Jetzt ist dies meine Realität. Ich kann eigentlich nur stauen über das, was ich hier gerade erlebe. Harry röhrt, Heinrich hält den Kurs und nebenbei mache ich mir jetzt erstmal einen Kaffee. Das heiße Wasser dafür hatte ich im Hafen zuvor noch schnell gekocht in die Thermoskanne gefüllt.
Landmarken bekommen bei mir gern, angelehnt an ihr Aussehen, Eigennamen in Form von Tieren und so wird aus der kleinen Insel Romsø, nordöstlich von Kerteminde, schlicht „die Schildkröte“, welche ich kurz darauf erreiche. Jetzt ist es nicht mehr dunkel und die Blaue Stunde am Morgen hat bereits begonnen. Wie herrlich schön das aussieht.
Südlich in der Ferne sehe ich die Storebæltsbroen im ihrer nächtlichen Beleuchtung und von ihr ausgehend erkenne ich die großen Berufsschiffe. Kreuzfahrer, Containerschiffe und Tanker. Wie Weihnachtsbäume sind sie beleuchtet, doch erkennt man an ihren Positionslaternen auch recht gut, in welche Richtung sie unterwegs sind.
Die Sonne steigt derweil unaufhörlich immer höher und es dauert nicht lange, da steht sie wie ein riesiger Feuerball kurz über dem Wasser. Die Farben und sie Geruch sind so unsagbar schön und ich kann nicht aufhören diesen Anblick in mich aufzunehmen. Was für ein wahnsinnig schönes Geschenk an diesem frühen Morgen.
Irgendwann habe ich die Mitte des Storebælt erreicht und kreuze nun das Fahrwassergebiet der großen Pötte. Schnell und bedrohlich kommen sie ihres Weges und ich habe ziemlich Respekt vor ihnen. Schwarze Silhouetten im Licht der Sonne machen ihren ansonsten tristen Anblick zu etwS besonderem. Wie ein Scherenschnitt auf leuchtendem Papier sehen sie aus uns so schnell wie sie kommen, so schnell verschwinden sie auch wieder.
Jetzt geht es auf den oberen Teil des Möwenschnabels zu. Der von mir so genannte Landzipfel heißt eigentlich Røsnæsgaard und liegt nordwestlich von Sjælland. Hier muss ich rum, um dannbach Osten weiter zu kommen. Hier oben liegt der Samsøbælt, der wie ein fließender Übergang ins Kattegat ist.
Hier oben ist alles etwas anders. Die Dimensionen und der freie Blick überwältigen mich. Es wundert daher nicht, dass auch die Tonnen, die hier anzutreffen sind, von einer etwas anderen Art sind. Gigantisch groß sieht man sie bereits von weitem. Røsnæs Puller heißt sie und steht wie ein Fels unbeweglich im Meer. Ich frage mich bei solchen Bauten immer, wie man es wohl geschafft hat, sie hier derart im Wasser zu positionieren ohne dass sie abhauen kann oder durch Wind und Welle einfach zerstört wird
Die offene See liegt vor mir. Es ist der reinste Wahnsinn. Was mache ich hier eigentlich gerade? Ich bin seit 4 Stunden unterwegs. Erst die Dunkelheit in der Hafenausfahrt, dann dieser gigantisch schöne Himmel zum Sonnenaufgang und nun liegt der äußere Rand des Kattegats in einem so strahlenden Blau vor mir, dass ich mir kaum was Schöneres vorstellen kann.
Ich kann es echt nicht fassen, dass ich tatsächlich hier bin. Wie verrückt ist das denn alles?
Am nördlichen Zipfel von Sjælland Odde liegt Snekkeløb. Ein ausgedehntes Flach, welches nur bei entsprechender Kenntnis oder Flaute abgekürzt werden sollte. Ich wähle den Weg durch die Betonung und bin dennoch fasziniert, wie grün das Wasser hier ist. Ich mag diese Farbe, obwohl sie mich mit Respekt zurück lässt, da nur wenige Meter Wasser unter meinen Kiel sind.
Motorfahrt, segeln und motorsegeln. Von allem ist heute etwas dabei. Mal mit Wind, mal ohne. Mal zeigt sich die See mit langgezogener Welle, mal mit Hackwelle und auch mal ohne jegliche Bewegung. Blaues Wasser oder grünes. Mal tief und mal flach.
Möchte ich jetzt nach Oddenhavn oder weiter nach Hundested? Schöner ist es definitiv in Odden, doch der Wind soll zunehmen die Tage und im Zweifel stehe ich dann dort im Hafen und komme nicht weg. Hundested ist jedoch alles andere als schön, dafür allerdings zweckdienlich und dichter dran am Øresund und somit an Schweden.
Die Entscheidung fällt daher nicht schwer und ich hänge nochmal knappe vier Stunden Wegstrecke obendrauf. Aktuell mit Flaute, doch der Wind soll noch kommen.
Und wie er kommt. Die Welle wird höher und weiße Schaumkronen ziehren schpn bald ihre Kämme. Ich habe Respekt. Ja, vielleicht sogar etwas Angst. Irgendwie ist das hier draußen heute anders und ich werde unsicher. Will ich das hier jetzt wirklich? Normal gefällt es mir, doch gerade erschreckt es mich. Vielleicht liegt das an den Nachrichten von zu Hause, vielleicht an meinem sich nicht zu erfüllenden Wunschdenken. So oder so kollidiert mal wieder meine Vorstellung mit der Realität und die Kluft zwischen beiden raubt mir gerade meine Selbstsicherheit.
Ich bin froh, wie ich nach über 12 Stunden und 65 Seemeilen endlich im Hafen fest bin.
Das Alleinsein fühlt sich manchmal nicht gut an und nach diesem gigantisch und wunderschönen Tag überkommt mich jetzt leider doch auch die Kehrseite der Medaille. Die Einsamkeit, gepaart mit einer unendlichen Müdigkeit und Erschöpfung schlägt zu.
Der Abend ist kurz. Ein bisschen Sonne gucken, ein wichtiges Telefonat nach Hause und dann meine Gedanken sortieren. Mehr schaffe ich heute nicht mehr. Die weitere Törnplanung muss morgen erfolgen, denn jetzt bin ich müde und möchte mich einfach nur noch ausruhen.
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