Seit Tagen donnert der Wind direkt auf den Hafen und seit Tagen steht auch eine fette und unangenehme Welle in der Hafeneinfahrt. Nur wenige Boote sind in der letzten Woche rein und raus gefahren. Zum Großteil waren es Boote mit weit über 35 Fuß Länge. Vorm Hafen sind sie gesprungen und in den Wellen gehüpft, sodass man wunderbar ihr Unterwasserschiff und den Kielansatz sehen konnte. Oft saß ich die letzten Tage auf der Mole, mit spritzender Gischt im Rücken, und habe sie beobachtet, wie sie den Hafen verlassen und immer kleiner werden. Dabei hatte ich jedes Mal größten Respekt. Ich selbst hatte nämlich einfach nur Angst. Angst vorm Wind. Angst vor der Welle. Angst es nicht hinzubekommen. Und am meisten Angst hatte ich davor, dass Findus an der Ostmole des Hafens zerschellen könnte, weil ich ihn nicht anständig manövriert bekomme. Immer wieder waren da diese Versagensängste, die stark an mir zerrten.
Heute ist nach sieben Tagen ab Mittag endlich weniger Wind und damit ein kleines Zeitfenster angesagt, dass ich dringend nutzen will. Ich halte es hier nämlich absolut nicht mehr aus. Eine bedrückende Trägheit und damit einhergehende Gleichgültigkeit versucht sich vehement und mit aller Macht bei mir einzuschleichen und ich will das eigentlich nicht zulassen. Ich weiß nur nicht, wie lange ich noch die Kraft habe, dem entgegen zu stehen und deshalb bin ich froh darüber, dass der Wind mir heute diesen kleinen Hoffnungsschimmer schickt.
Am Vormittag, nach dem Frühstück, gehe ich wie üblich auf die Westmole, um mir einen Überblick zu verschaffen. Der Wasserstand ist hoch heute und Gischt peitscht über die Steine. Der Wind ist definitiv noch zu doll und die Welle steht auch noch unverändert in der Hafeneinfahrt. Soll ich hier denn nie mehr wegkommen? Seit einer Woche stehe ich hier jetzt rum und ich mag einfach nicht mehr.
Ja, Findus ist eines der kleineren Gastboote hier im Hafen. Und ja, kleine Boote sind einfach nicht unterwegs. Überhaupt werden die Kleinen immer weniger und ich bin froh, wenn ich für nicht mal acht Meter nicht den selben Preis wie ein 35 Fuß Boot zahlen muss. Fast kommt es mir vor, als würden die kleinen und alten, die einfachen und spartanisch eingerichteten Yachten langsam vollständig vom Markt verdrängt und vergessen werden. Sie rechnen sich einfach nicht mehr und werden langsam aber sicher aussterben. Dennoch, ich habe nun mal eines dieser kleinen Boote und ich liebe es. Mit solchen Booten waren die Menschen vor vierzig Jahren doch auch schon Wind und Wetter ausgesetzt und sie haben es bis heute immer wieder gemeistert.
„Die PD entfaltet ihr Können erst richtig bei sechs Beaufort!“ Das ist zumindest der Werbeslogan auf einem Prospekt aus den Siebzigern. Ich weiß mein Boot kann das. Findus hat das schön öfter gemacht. Nur war ich da nicht allein an Bord, sondern hatte eine ebenbürtige Hand zur Seite. Nein, ich bin es, die hier zu zaghaft ist. Ich bin es, die zögert, die Angst hat. Verdammt nochmal. Nein! Ich MUSS heute hier weg.
Noch mal Wetter check. Der Himmel, der Wind auf der Mole, die Schaumkronen. Was sagt die deutsche und was sagt die dänische Windapp? Es muss heute einfach sein. Wenn nicht jetzt, dann sitze ich wohl in zehn Jahren noch hier fest.
Ich atme tief durch. Es geht los. Innerlich bete ich, das mir mein Boot aufgrund blöder Fehler meinerseits nicht an der Hafenmole zerschellt. Ich schließe die Augen, starte den Motor und ziehe mich aus der Box. Mein Liegeplatz ist landeinwärts und hier scheint eine absolute Windstille zu herrschen. Das Ablegen hat schon mal geklappt, doch der schwierige Teil kommt erst. Die Hafenausfahrt.
Der Wind hat tatsächlich in den letzten dreißig Minuten nachgelassen. Das Boot fertig machen, das erste Reff im Großsegel einbinden, nochmal zum Klo gegen, das alles hat Zeit gekostet und in dieser Zeit hat sich der Wind, wie in der Vorhersage angekündigt, etwas beruhigt. Ich erreiche die Hafenausfahrt, das Stück, vor dem ich am meisten Angst hatte und stelle fest, wie unspektakulär es jetzt ist. Hatte ich mir zu viele Sorgen gemacht? Oder liegt es an der Perspektive? Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich bin raus. Ich habe den Hafen von Bogense hinter mir.
Vorm Hafen ist es flach und die sich über Meilen aufgebaute Welle schubst mein Boot nun kräftig umher. Emma kommt panisch zum Niedergang und fragt, ob es nicht vielleicht doch besser sei, zurück in den Hafen zu fahren. Auf KEINEN Fall. Jetzt bin ich endlich draußen und es geht weiter. Irgendwo hin. Den Plan nach Osten zu segeln verwerfe ich direkt. Auf zwanzig Meilen hätte ich diese unangenehme Welle von der Seite und Findus würde aus dem Rollen gar nicht mehr rauskommen.
Kurzerhand tritt Plan B in Kraft und mein Ziel ist für heute Juelsminde. Im Schatten der Ostküste Dänemarks gelegen, bietet der Hafen morgen eine erneute Chance Richtung Ost mit evtl achterlichem Wind und Welle zu kommen. Wohin wird sich dann zeigen. Die Windvorhersage lässt keine längeren Überlegungen zu und ich plane nicht mehr. Ich habe einfach keine Lust mehr, nach jeder mir selbst in Aussicht gestellten Hoffnung wieder durch unveränderliche Umstände von außen enttäuscht zu werden.
Die ersten Meilen kämpft sich Findus unter Maschine voran. Ich schaffe es nicht, die Pinne los zu lassen, um das Vorsegel zu ziehen. Sofort verliert Findus die Kontrolle und wird zum Spielball der Wellen. Ich muss noch etwas weiter raus und abwarten bis es ruhiger wird. Da wo die Wassermassen nicht vom Flach gestoppt und aufgebaut werden, sondern sich gleichmäßig fortsetzen können wird es leichter sein.
Erst nehme ich nur die gereffte Fock zur Stabilisierung. Ich taste mich langsam ran und gucke, was für mich geht und womit ich mich gut fühle. Was andere dabei denken ist mir scheißegal. Ich bin kein Profi und für das Päckchen, was ich mit mir rumschleppe, habe ich bereits unendlich viel erreicht. Etwas später, nachdem ich das während des Rollens und Stampfens um die Saling geschwunge Fall des Großsegels wieder zurückführen konnte, setze ich dann auch das im ersten Reff eingebundene Großsegel. Segeln. Herrlich.
Ich bin zufrieden mit mir und jetzt möchte ich am liebsten nach Norden ziehen. Meinen Träumen entgegen. Doch ich habe nur zwei, vielleicht drei Tage, dann kommt der Wind zurück und ich möchte nicht wieder tagelang an einen Hafen gebunden sein. Den Norden trifft es mehr wie die südlicheren Gefilde. Nein, Norden ist nicht drin in diesem Jahr. Und so sehr mich das schmerzt, muss ich mich dennoch damit abfinden.
Juelsminde. Der Hafen ist mir nicht unbekannt. Im letzten Jahr war bereits hier und bin somit vorbereitet und weiß, was auf mich zukommt. Einen Eindruck vom Hafen, seiner evtl. Enge und der Größe der Boxen zu haben, entspannt die Lage vor der Einfahrt etwas. Außerdem ist Lille Bjørn, der den direkten Kurs gefahren ist, während ich hin und wieder in Gedanken versunken doch etwas nördlich abgetriftet bin, bereits vor mir im Hafen und kann entsprechend beim Anlegen helfen. Tapetenwechsel. Endlich.
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