Ich habe Sehnsucht. Ich möchte so gerne weg. Wirklich raus, nicht nur einfach auf’s Wasser. Ich möchte wenigstens die Innenförde einmal kurz verlassen. Nur ganz kurz. Und vorallem, ich möchte die Weite der offenen See endlich mal wieder sehen.
Es ist nicht nur ein bloßer Wunsch. Es ist nicht nur ein mal raus kommen wollen. Nein. Es steckt weit mehr dahinter. Es tut einfach so verdammt weh im Hafen und auf der Innenförde gefangen zu sein. Und dabei klingt es so undankbar, diese Gedanken zu äußern. Schließlich liegt mein Boot das gesamte Jahr über im Hafen und ich habe so oft die Gelegenheit für ein paar Stunden einfach die Leinen los zu machen und mich treiben zu lassen und zu segeln.
Doch tief in mir verlangt es nach mehr. Es tut einfach so verdammt weh und raubt mir jegliche Energie, sodass es mir scheint, mir bleibe kaum noch Luft zum Atmen. Ich muss einfach los. Es wenigstens versuchen. Wenigstens einen einzigen Blick nach draußen erhaschen.
Das Wetter ist nicht wie angesagt. Es ist wellig und auch der Wind bläst irgendwie stärker. Oder vielleicht auch nur anders. Ich bin verunsichert und mag die Segel nicht setzen. Vielleicht bin ich auch nur zu feige. Ich weiß es nicht. Ich fühle mich unwohl und ärgere mich. Ich ärgere mich über das Wetter, über diesem unbeschreiblichen Druck im Herzen, aber auch den zeitlichen Druck, der mich stetig zur Umkehr zwingt. Doch am meisten ärgere ich mich gerade über mich selbst.
Ich fahre unter Motor und hoffe meine Bedenken werden sich verflüchtigen. Vielleicht lässt auch der Wind etwas nach. Oder die See beruhigt sich. Doch meine Hoffnung erfüllt sich nicht. Im Gegenteil. Wind und Welle nehmen auf der Außenförde wie erwartet zu. Ich motore weiter bis zum Hafen. Bis nach Wackerballig.
Immerhin bin ich angekommen. Nur flüchtig ging mein Blick gen Osten. Zu sehr war ich darauf konzentriert endlich anzukommen.
Wird der Hafen voll sein? Finde ich eine freie Box? Ich bin unsicher. Mir kommt es vor, als habe ich alles bisher da gewesene verlernt. Im Heimathafen sind meine Festmacher fest eingestellt und ich kann eingekuppelt einfach an den Steg fahren ohne ihn zu berühren. Doch hier? Hier zählt wieder das Augenmaß und die Hoffnung, dass mir der Bug nicht wegtreiben.
Meine zwölfjährige Tochter ist dabei. Sie hasst es zu segeln und sie hasst das Boot. Und sie hasst auch mich dafür, dass ich sie zwinge mit mir zu kommen. Sie weigert sich mir zur Hand zu gehen und es erfordert unendliche Geduld nicht die Nerven zu verlieren.
Wäre ich wirklich Einhand unterwegs, eventuell mit dem unter Seglern bekannten Einhandwimpel am Achterstag, dann wäre es vielleicht leichter. Kein Gewissen würde mich plagen. Ich könnte unverblümt um Hilfe bitten. Doch so, wenn plötzlich doch eine pubertäre Halbwüchsige aus dem Bauch des Schiffes kommt, kann ich mich nicht als Einhandseglerin ausgeben. Eine verzwickte Situation.
Einhand unter erschwerten Bedingungen nenne ich das Segeln mit meiner Tochter. Es ist anstrengend und raubt ebenfalls Energie. Ihre Abneigung, ihre abfällige Art über das was ich liebe, was mein Leben bedeutet, nimmt all die Schönheit. Es fällt mir schwer zu genießen. Anzukommen und es wirken zu lassen.
Wackerballig ist der Hafen der Möwen. Nirgendwo sonst sitzen derart viele von ihnen und kreischen um die Wette. Die Außenmole haben sie weitesgehend in Beschlag genommen und fest in ihrem Griff. Brütender Weise sitzen sie versteckt zwischen Steinen in grünem Kraut. Doch wehe man kommt ihnen zu nah. Wütend und zeternd ziehen sie ihre Kreise über den unerwünschten Eindringlingen und fliegen im Sturzflug ihre Attacken.
Ich füge mich, denn es wird mir zu heikel und mit ihren Exkrementen möchte ich auch nicht wirklich bombardiert werden. Ich drehe lieber zeitig um und überlasse die Mole der weißen Vogelschar.
War der Tag auch anstrengend und mit etlichen Diskussionen mit Madame Tochter überschattet, so bringt der Abend doch die gewünschte Atmosphäre. Die Sonne meint es gut mit mir und färbt den Himmel, wie auch das spiegelglatte Wasser des Abends in ein oranges Lichtermeer.
Ich atme tief durch. Das ist es, was ich in Gasthäfen so liebe. Dieses Schauspiel am Himmel, welches die Silhouetten der Boote und Masten, der Vögel und Gebäude, in das Bild eines Scherenschnitts verwandelt.
Und immer wieder zischen Möwen durchs Bild und erinnern mich daran, in wessen Territorium ich mich befinde. Ich räume erneut das Feld und blicke noch einmal über die Mole ins atemberaubende Orange.
Doch spät am Abend, fast schon in der Nacht, zieht es mich doch noch einmal auf die Stege. Ich kann in diesen lauen und farbenprächtigen Nächten nicht einfach schlafen gehen. Muss nochmal an die Luft und eine Runde drehen. Ich liebe dieses Licht, will es nicht loslassen und möchte es wieder und wieder ansehen.
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