27. Juli 2023
Heulen vor Glück

Es ist ein ewiges hin und her in diesem Sommer. Mal geht es in die Dänische Südsee, dann den kleinen Belt hoch nach Norden, dann wieder runter und jetzt wieder zurück in die Südsee. Man könnte meinen, ich wüsste nicht was ich eigentlich will. Doch es ist das Wetter und der Wind, die mich verunsichern. Im letzten Jahr stand ich eine Woche am Stück oben in Bogense fest und kam aufgrund von Wind und Welle nicht mehr von dort weg. Selbst große, über 35 Fuß Boote kehrten nach zwei Meilen um und fuhren zurück in den Hafen. Das möchte ich so in diesem Jahr nicht wieder erleben, weshalb ich versuche lieber öfter mal kurze Strecken zu segeln, anstatt Gefahr zu laufen, wieder ungünstig eingeweht zu sein. Wenn sich vorm Hafen erst nach tagelangem Wind eine ordentliche Welle aufgebaut hat, komme ich im Zweifel nicht mehr zeitig zurück. Und jetzt, wo meine Tochter von ihrem Bruder abgeholt wurde, möchte ich dann doch irgendwie „in der Nähe“ bleiben.

Das es heute zurück in die dänische Südsee gehen soll, liegt jedoch in erster Linie daran, dass die Traditionssegler, die am jährlichen Fyn Rundt teilnehmen, heute in Faaborg einlaufen werden und ich mir das nicht entgehen lassen möchte. Ich mag diese alten Holzschiffe und heute ist mir nach etwas Trubel zumute. Dieses Event bietet sich da perfekt an.

Während ich allerdings noch in der Koje schlummere, ergießt sich mal wieder eine fette Regenwolke über den Hafen und weckt mich mit ihren zarten Tropfen, die alle gemeinsam auf mein Deck klopfen, um mich zu wecken. Regen? Was soll das denn jetzt? Schlaftrunken greife ich nach meinem Handy. Das war doch so gar nicht angesagt. Ein erster Blick aufs Regenradar jedoch verspricht, dass dies die einzige Wolke ihrer Art an diesem Vormittag bleiben soll und diese sich gleich auf den Weg über den Lillebælt macht. Das passt doch gut, dann ist vor mir durch und ich folge ihr unauffällig mit gutem Wetter im Gepäck.

Draußen setze ich direkt die Segel. Mein Großsegel ist dabei noch immer im ersten Reff und auch bei der Tatsache, dass aktuell fast gar kein Wind weht, belasse ich es dennoch dabei. Später, wenn ich in Faaborg ankommen werde, sollen dort vorm Hafen eventuell wieder Böen bis hin zu 24 Knoten sein. Und wenn es da drüben so oder so wieder windig sein wird, muss ich auch jetzt nicht hetzen. Ich habe also Zeit genug. Ich kann heute einfach mal langsam sein. Ich muss nicht hetzen oder mich beeilen. In Faaborg bin ich sicher, dass ich irgendwo einen Platz finde und so viel schneller wäre ich mit Vollzeug auch nicht unterwegs.

Ich lasse Heinrich, meinen Autopiloten steuern und mache mir unter Deck erstmal einen Eiscafé. Der kleine Belt ist noch nicht wirklich belebt und ich liebe es einfach, den Blick in die Ferne schweifen zu lassen und ganz in Ruhe und mit meinem kühlen Getränk in der Hand, morgens entspannt ins Nichts zu blicken. Die Sonne steht tief und die See, die sie berührt, klitzert überall. Wie Milliarden von kleinen Sternen, die sich auf die Oberfläche legen und funkeln.

Ein kleiner blinder Passagier hat sich derweil zu mir ins Cockpit gestellt. Woher hier mitten auf dem Wasser eine Hummel kommt, ist mir zwar schleierhaft, doch vielleicht weiß sie es selbst nicht so recht. Sie rührt sich kaum und ich tröpfle ein paar Tropfen Eiscafé mit dem Löffel vor sie hin. Sie nimmt es dankbar an und trinkt sich satt, bevor sie sich einige Meile später wieder von dannen macht.

Derweil hat der Wind zugenommen und weht nun so kräftig, dass Findus mal wieder mit über sechs Knoten und vor Freude jauchzend durch die Wellen springt. Es hört einfach nicht auf. Es ist einfach so herrlich genial geil hier draußen und ich kann einfach nicht genug davon bekommen. Das hier ist mein Lebenselixier. Es ist wie eine Droge, von der man nie genug bekommen kann. Nur das diese Droge auf ganz natürliche Weise unendliche Glückshormone ausschüttet und somit das pure Leben repräsentiert.

Immer wieder blicke ich mich um. Sehe nicht zum Küstenstreifen, dem Land, was hinter mir kleiner wird und sich vor mir in Form kleiner Inseln auftut. Nein, ich blicke zur blauen See und dem Himmel, da wo sie sich treffen und wo ich noch ein bisschen lieber wäre. Doch ich besinne mich. Hier und Jetzt. Und hier und jetzt kann ich es einfach nicht fassen. Ich bin glücklich, überwältigt, fassungslos. Ich bin ganz alleine auf und mit meinem Boot. Was für ein Traum. Wo vorher auch immer ein wenig Sorge um meine Tochter mit segelte, ist nun eine neue Form von Freiheit. Keine Gedanken mehr daran, was wäre wenn. Was wäre, wenn mir etwas passiert und sie im Vorschiff liegt und schläft und von allem nichts mitbekommt? Was wäre, wenn mein Schiff dann auf Kollisionskurs geht und ein Ramming nicht mehr aufzuhalten ist? Was wäre, wenn das Schiff Leck schlägt und sie nicht schnell aus den Vorschiff kommt? Diese Gedanken kann ich nun abstellen und mit ihnen fällt auch eine schwere Last in Form von Verantwortung von mir. Jetzt bin ich wirklich einhand unterwegs. Habe ich auch zuvor bereits alles alleine gemacht, so bin ich es nun auch und das macht emotional einen riesengroßen Unterschied. Ich bin unendlich erleichtert. Und meine Tochter ist froh, nicht mehr dabei sein zu müssen.

Mit dieser neu gewonnen Freiheit geht es weiter. Findus rennt noch immer und ich stecke voll mit positiver Energie. Tränen des Glücks und der Freude laufen mir plötzlich und vollkommen unwillkürlich über die Wangen. Das hier ist wirklich gerade alles wahr. Es ist keine irreale Vorstellung. Kein Wunschdenken, keine Phantasie. Es ist einfach nur wahr! Ich bin noch immer fassungslos und kann es beinahe selbst nicht glauben. Ich heule. Und lasse es einfach geschehen. Ich muss nichts verbergen und mein Sein hat nochmal eine andere Dimension angenommen.

Glückstränen sind anders. All die Energie muss irgendwo hin und mit einem Lachen im Gesicht und Tränen auf den Wangen stehe ich noch immer im Cockpit und sehe mir alles immer wieder und wieder an.

Ich erreiche das Fahrwasser, doch ich nehme nicht den direkten Weg nach Faaborg. Ein kleines bisschen möchte ich noch segeln und deshalb segle ich den kurzen Umweg um Bjørnø herum. Hier in der Abdeckung kommen Findus und ich zur Ruhe. Der Wind lässt etwas nach und mein Boot wird langsamer. Auch Wellen zum Springen sind hier jetzt keine mehr. Gemütlich segelt Findus dahin, während ich selbst mich beruhige und jetzt nur noch lächelnd, jedoch ohne Tränen, am Ruder stehe.

Die letzten zwei Meilen lehne ich mich entspannt zurück. Hier oben bin ich inzwischen auch ohne Karte fast sicher wie und wo ich segeln kann und erst wie die ersten Traditionssegler auf dem AIS meinem Weg zu kreuzen drohen, werde ich wieder aktiv und manövriere in großem Bogen um sie herum und nehme letztlich kurz vorm Hafen die Segel runter.

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