8. Juli 2022
Im Norden Fyns

Die Aussichten sind trüb. Nicht etwa was das Wetter ansich angeht, das soll die kommenden Tage immer wieder durch Sonnenschein geprägt sein. Es sind eher die Windverhältnisse, die meinen Träumen Einhalt gebieten und mich auf den Boden der Tatsachen zurück führen. Doch ich will versuchen, noch nicht an das zu denken, was mir sehr wahrscheinlich verwährt bleiben wird.

Ein kurzer Blick durchs Fenster verrät: der Morgen des heutigen Tages zeigt sich vorerst Grau. Es ist noch früh und eigentlich möchte ich auch gar nicht aus meiner Koje steigen. Viel zu gemütlich ist es, nach langer entbehrsamer Zeit endlich wieder an Bord schlafen zu können. Schwere Regentropfen fallen dumpf vom gefalteten Segel auf mein Deck, während ein zartes und leises Prasseln des Niederschlages sie begleitet. Ich mag diesen Klang. Mag seine Gleichmäßigkeit mit den gelegentlichen Ausreißern. Dieser Melodie könnte ich ewig lauschen. Doch heute soll es weitergehen. Heute ist einer dieser seltenen Tage, an denen statt zu viel Wind ausschließlich Flaute herrscht. Es gibt wohl leider nur noch Sturm oder Flaute und bei Flaute habe ich immerhin die Chance, etwas weiter Richtung Norden zu gelangen und dabei den beängsten Gedanken, dass es im Süden des Kattegats doch zu doll für mich werden könnte, vollkommen beiseite zu schieben.

Rund 35 Meilen sollen es heute werden. Eine Distanz, für die meine kleine PD26 im Schnitt auch bereits um die sieben Stunden unterwegs sein wird. Sieben Stunden klingt herrlich und um halb neun verlasse ich deshalb den Hafen von Assens bei immernoch grauem Himmel und gelegentlichen Regenschauern, um Richtung südliches Kattegat aufzubrechen.

Der Himmel hinter mir zeigt sich schwarz und mein Boot ist nicht schnell genug, um der heran nahenden Schauerwolke auszuweichen. Einmal kräftig regnet es auf mich herab und auch Heinrich bekommt nun seinen Regenmantel an, damit er vor Feuchtigkeit nicht mitten im Urlaub wohlmöglich den Geist aufgibt und mich beim Steuern allein lässt. Es gibt genügend Situationen, in denen ich auf meinen Autopiloten angewiesen bin.

Den kleinen Belt geht es hoch bis kurz vor Middelfart. Zwischendurch versuche ich für einen kurzen Moment die Segel zu setzen, um unmittelbar darauf mit Bedauern festzustellen, dass der frische Wind der mich erreicht, lediglich der Fahrtwind ist, der mir mit selber Geschwindigkeit entgegenkommt, mit der Findus unterwegs ist. Hier oben strömt es jedoch leicht und mein Boot erreicht bereits bei 2500 Umdrehungen einen Schnelligkeitswert von über sieben Knoten. Bei einer erreichbaren Rumpfgeschwindigkeit von 6,2 ist das schon ein bisschen wie fliegen.

Es ist kaum vorstellbar, dass die kommenden Tage der Wind mit über zwanzig Knoten über unser gesamtes mögliches Segelgebiet wehen soll und uns somit jegliche Möglichkeit auf ein Weiterkommen entsagen wird. Noch will ich daran auch gar nicht glauben und bin frohen Mutes und einfach nur glücklich darüber, wenigstens heute und hier dieses Zeitfenster nutzen zu können.

Es ist einfach schön hier zu sein. Die Sonne, die Farben, die Landschaft und dazu dieses innere Gefühl, ein Stück weit frei zu sein. Wenigstens für den Moment einfach sein zu können und nicht irgendeiner Rolle nachkomnen zu müssen. Es erfüllt mich jedes mal wieder mit diesem wohligen Gefühl des Ankommens bei mir selbst. Einfach sein, einfach leben und sich selbst in seiner reinsten Form spüren zu dürfen. Ganz egal, was ein Außen denkt, ganz gleich welche Erwartungen um mich herum an mich gestellt werden und vollkommen irrelevant, ob ich in den Augen Außenstehender richtig funktioniere. Hier auf meinem kleinem Boot bin ich unendlich frei von alle dem.

Mir ist dabei sehr wohl bewusst, dass nicht jeder Verständnis für mich, mein Handeln und meine Reaktionen zum Ausdruck bringen kann oder möchte und ich weiß auch, dass es durchaus Meinungen gibt, die in eigener und dabei völlig anderer Lebenssituation, Erwartungen an meine Person stellen, die sie selbst wahrscheinlich so nicht auf Dauer in der Lage wären zu meistern. Und genau deshalb: Nein! Ich lasse mich nicht beirren. Wichtig bin ich. Ohne Egoismus und ohne Selbstherrlichkeit. Einfach mit einem gesunden Maß für das eigene Sein. Denn ohne dies werde ich über kurz oder lang auch nicht mehr in der Lage sein, meine diversen Rollen erfüllen und ihnen gerecht werden zu können. Schließlich bin auch ich nur ein Mensch. Jemand mit Sorgen und Nöten, mit Ängsten und Gefühlen.

Die Jungs sitzen an Deck von Lille Bjørn und begutachten die Landschaft um sie herum, während sie unter Maschine mal vor mir, mal hinter mir oder auch mal parallel zu mir fahren. Hin und wieder sehe ich, wie sie ihre Handys hochhalten und Fotos machen. Für ihre Community oder als Erinnerung. Sie werden zumindest eine haben an diesen Urlaub.

Emma chillt derweil mal wieder, oder soll ich sagen noch immer, unter Deck. Air Pods im Ohr und das Handy in der Hand, hat sie keinerlei Interesse mal aus dem Bug zu kommen und sich umzusehen. Sie will schlichtweg nicht dabei sein und verzieht sich lieber in ihre virtuelle Welt. Ein Drittel ihres mobilen Datenvolumens von 40GB ist bereits am dritten Tag unserer fünfwöchigen Auszeit von unserem eigentlichen Zuhause an Land aufgebraucht und es macht mir etwas Sorge, wie die komnenden Wochen verlaufen werden. Schon jetzt höre ich das Gezeter und Gemecker und die dahinter steckende Angst sich einmal selbst aushalten zu müssen. Genau das also, wonach ich selbst so giere.

Ich kann sie nicht locken mit Sonne oder Natur und schon gar nicht mit dem Unterwegssein auf meinem langweiligen, weil ihn ihren Augen viel zu kleinen, Boot. Versuche ich sie in Aufgaben an Bord einzubeziehen und ihr ein Minimum an zumindest augenscheinlicher Verantwortung zu übertragen, ernte ich erneut Beleidigungen und Ablehnungsbeurkundungen, die mich nicht nur verletzen, sondern mir auch immer wieder ein Gefühl des falsch sein aufdrücken wollen. Ein ewiger Kampf, der mich permanent fordert und meine wenigen Energiereserven bis zum letzten aussaugt.

Irgendwo hinter Middelfart steuert Heinrich für einen kleinen Moment einen Kurs von 0°. Norden. Wie sehr träume ich davon mal dort oben sein zu können. Schweden, Norwegen. Mein Kopf ist voll von den wirresten Ideen und Bildern, mit Vorstellungen und Träumen, die ich nicht nur als Hirngespinnst mit mir rumtragen möchte, sondern die ich eines Tages mit eigenen Augen gesehen und gelebt haben möchte. Mit meinem eigenen Schiff und mit Menschen, deren Herz genau so fühlt wie meines.

Doch bis es dazu eventuell kommen kann, werde ich wohl noch viele Träume träumen und unendliche Bilder und in meiner Phantasie keierte Filmchen durch mein Kopfkino schwirren lassen, während ich unerlässliche Erfahrungen in nahegelegeneren Gewässern auf meinem Boot sammle.

Unter der „Den Gamle Lillebæltsbro“ hinter Middelfart fahre ich mit Maschine durch und jetzt scheint es, als könnte man nun doch endlich die Segel setzen. Wieder probiere ich es in der Hoffnung auf eine stille Weiterfahrt ohne das lärmende Getöse des Motors. Doch ich schaffe es gerade mal so durch die zweite Brücke, die Ny Lillebæltro, während der nur kurz aufflauende Wind auch schon wieder nachlässt und meine Segel in sich zusammen fallen lässt.

Erst rund vier weitere Meilen nördlich des Stribfyr, nachdem mein Boot unter Maschine und mit dem Strom der mit uns läuft, eine Geschwindigkeit von 8,8 Kn über Grund anzeigt, nimmt Findus unter Segeln endlich wieder Fahrt auf und die Segel schlankern nicht nehr. Leise, fast flüsternd, komme ich jetzt voran. Der Kurs indes passt absolut nicht, doch das Wetter ist so schön und der Blick auf die vermeindlich offene See so erquickend, dass ich den Kurs noch nicht Richtung Land setzen möchte. Im angestrebten Zielhafen, da bin ich sicher, wird auch spät am Nachmittag noch ein Platz zu finden sein. So genieße ich also endlich ein paar Meilen das herrliche Segelwetter und lasse mich von der herabscheinenden Sonne verwöhnen, während Findus mit zwei, drei Knoten ziellos hin und her kreuzt.

So könnte es jetzt ewig weitergehen und für kurze Zeit vergesse ich wieder alles um mich herum. Keine Sorgen, keine unerfüllte Sehnsucht, keine Erwartungen und keine Rollen. Die Weite vor mir verspricht so unheimlich viel an Kraft und Stärke und ich kann meinen Blick nicht von dieser faszinierenden Schönheit abwenden. Ich brauche sie einfach. Brauche sie, ähnlich wie jeder von uns die Luft zum atmen braucht.

Heute spürt man den Sommer förmlich. Der spärliche Wind schläft bald wieder vollkommen ein und eine fast unerträgliche Hitze schwebt jetzt über mir. Die Maschine läuft mal wieder an diesem Tag und ich gönne mir eine minimale Abkühlung. Dabei bin ich froh über mein geringes Freibord, denn so komme ich mit leichter Verrenkung zumindest mit den Füßen ins Wasser und spüre das kühle Wasser an meinen Beinen empor spritzen. Für ein paar Augenblicke schließe ich die Augen und genieße diesen unsagbar, wenn auch kleinen Luxus, den ich an keinem Sandstrand der Welt in dieser Form je finden könnte.

Der Hafen von Bogense kommt jetzt in Sicht und das heißt für heute wieder einmal Abschied nehmen. Abschied von dem was ich so sehr liebe. Von dem was mich erfüllt und anreichert mit Kraft und Energie fürs eigene (Über)leben. Doch ich weiß, man kann nichts an sich binden, was man wirklich liebt. Lieben bedeutet immer auch sich trennen müssen, um im Anschluss erneut zueinander finden zu können. Und ich weiß aich, dass ich diese Bilder wiedersehen werde und sie wieder in ihrer intensiven Genialität auf mich wirken werden. Ich muss nur geduldig sein und abwarten, bis es wieder so weit sein wird und ich mich dieser Liebe erneut voll und ganz hingeben kann.

Das Loslassen dessen, was mich in meinem tiefen Inneren so sehr berührt und ebenso bereichert, nagt jedoch jedes mal erneut an mir und leider ist Geduld dabei nicht wirklich meine Stärke, so dass ich etwas Mühe damit habe, von jetzt auf gleich umzuschalten und mich nun wieder überwiegend in meiner Rolle als Mutter wiederfinde. Für kurze Zeit bin ich dabei nicht wirklich Herr meiner Lage und stehe im wahrsten Sinne vollkommen neben mir. Nicht immer klappt das Switchen zwischen meinen Welten anstandslos und nicht selten frage ich mich dabei, wer ich eigentlich bin.

Letztlich fange ich mich wieder, wie jedes mal nach kurzen Anlaufschwierigkeiten und verdränge, was mich eben noch so glücklich sein ließ, um mich dort wieder einzufinden, wo ich jetzt zu sein habe. Am Abend gibt es dann Spaghetti Bolognese und alle sitzen gemeinsam im Salon. Was an Land aufgrund räumlicher Gegebenheiten so nicht möglich ist, schätze ich dann doch bei mir an Bord. Trotz der Enge, aber der dennoch gegebenen Möglichkeiten hier auf meinem kleinen Schiff, sitzen wir zu viert zusammen am Tisch und erleben nach langer Zeit mal wieder, wie es sich als Familie anfühlen kann.

Am Abend verdunkeln sich die Wolken und verkünden bereits die Aussichten auf die nächsten Tage. Hier und da ist aus der Ferne ein leichtes Grummeln zu hören. Regen- und Gewitterwolken bahnen sich an, ziehen jedoch südlich an uns vorbei und versprechen so einen farbenkräftigen Sonnenuntergang. Die Sonnenuntergänge über dem Wasser sind der eigentliche Grund für diesen Hafen. Schon das dritte Jahr in Folge bin ich wegen ihren hier.

Unser Kurs mit Ziel Nord wäre wettertechnisch sicherlich besser gelaufen, hätten wir die Ostküste Dänemarks nicht verlassen und uns stetig an ihr hochgehangelt, doch den angekündigten Starkwind der kommenden Tage möchte ich nicht im Schatten des Landes mit Blick ins Dunkel abwettern. Wenigstens ein bisschen Farbe erhoffe ich mir hier, wenngleich die Marina nicht unbedingt einem Traum entspricht, so ist es doch wenigstens der Blick aufs Meer.

Am Abend vergesse ich für kurze Zeit meine Träume und Ziele und ergebe mich schlicht diesem grandiosen und farbintensiven Moment, den ich nicht hätte verpassen wollen. Hinter mir, landeinwärts ist es schwarz und grelle Blitze durchzucken die schweren Wolken. Es sieht herrlich aus. Strahlt vor mir die Sonne, so scheint hinter mit die Welt unterzugehen. Doch mitten drin aus der Dunkelheit kommt plötzlich ein helles Licht. Ein Naturschauspiel der besonderen Art und ich bin fasziniert von so viel Schönheit.

Der nächste Tag verspricht deutlich mehr Wind und ich bin auf einmal vollkommen unsicher. Ist das zu viel? Hier draußen? Im Offenen? Mir fehlt es doch noch immer an Erfahrung. Die wenigen Tage im Jahr, in denen ich mal außerhalb des geschützen, heimischen Reviers unterwegs bin, reichen wohl doch noch lange nicht aus, um mich wirklich zur Seglerin zu machen. Ich habe viel zu wenig Erfahrung mit den Wetterverhältnissen hier oben und das verunsichert mich stark und lässt mich zweifeln. Irgendetwas in mir sagt mir jedenfalls, dass ich mir das hier oben bei um die zwanzig Knoten Wind im Moment gerade einfach nicht zutraue. Ob das Problem dabei der Wind ist oder vielleicht doch mehr bei mir selbst zu finden ist, weiß ich dabei gerade nicht.

Die Vorhersage für die kommenden Tage  wird auch nicht besser. Im Gegenteil, die Tendenz der Böen nimmt weiter zu und auch der Grundwind geht stetig höher. Ich bin eingeweht. Gebunden an einem Hafen, der den Wind mit voller Breitseite abbekommt. Aus der Ferne höre ich den heulenden Wind anrauschen. Wie ein Ungeheuer scheint er in rasender Geschwindigkeit über die See zu fauchen und dabei die dunkelblauen Wassermassen in Bewegung zu setzen. Die Wellen brechen sich draußen und ihre weiße Gischt stobt empor um sich im selben Moment auch wieder im Meer zu verlieren. Die Masten der unzähligen Segler im Hafen pfeifen schrill bei jeder anhaltenden Böe und der Wind drückt nicht nur mein Boot viel zu weit in die Nachbarbox.

Kaum ein Boot ist draußen zu sehen. Nur im Westen, dicht unter Land sehe ich hin und wieder das weiße Dreieck eines großen Seglers. Nur drei oder vier Schiffe verlassen den Hafen und ebenso wenige kommen über Tag auch wieder rein. Größere und schwerere Boote mit über zehn Metern Länge, entsprechendem Gewicht und mit mindestens zwei Erwachsenen oder sogar mit einer ganzen helfenden Crew an Bord. Jeder hat dabei seine Funktion. Fender verstauen, Festmacherleinen vertäuen, navigieren, das Boot bei Welle in oder aus der engen Hafeneinfahrt steuern ohne die Hand dabei vom Ruder zu lassen, Segel hissen und bergen. Es gibt am Ende über den Tag verteilt gesehen eben doch eine ganze Bandbreite von Aufgaben an Bord.

Meine Ausgangslage ist dabei jedoch eine vollkommen andere. Nicht nur, dass mein kleines und nur zweieinhalb Tonnen leichtes Boot in den Wellen vorm Hafen direkt zum Spielball würde, nein, auch Findus‘ Motorleistung ist eine gänzlich andere und mein Schiff erreicht aufgrund seiner Motorisierung und der Wasserlinienlänge weit weniger an Kraft umd Geschwindigkeit und ist somit auch zeitlich weit länger unterwegs, wie die größen und mit Crew besetzten Boote. Das jede einzelne Aufgabe dabei allein an mir hängen bleibt macht das Segeln bei Starkwind für mich damit unmöglich.

Meine Zweifel gehen dabei über in Selbstvorwürfe. Bin ich zu feige? Stelle ich mich zu sehr an? Mein Boot kann das ab, das weiß ich. Das Material kann das immer ab. Doch ich? Ich fühle mich ein bisschen wie ein Versager. Es hätte sicherlich das eine oder andere Zeitfenster gegeben, in dem ich vielleicht doch einen kleinen Schlag weiter hätte kommen können, doch diese kurzen und stilleren, nicht zu verwechseln mit windstillen, Momente waren mir zu knapp bemessen und die Entfernung zum nächsten Hafen ist zu weit. Kurzum, ich habe mich einfach nicht getraut auszulaufen und mich stattdessen mit einem Leihfahrad der Marina in die Natur an Land verkrochen.

Wie stark muss ich eigentlich sein und wie viel Schwäche darf ich mir erlauben? Muss ich mich rechtfertigen, weil ich lieber im Hafen bleibe? Nein, ganz sicher nicht. Ich muss auch keine risikobehafteten Abenteuergeschichten über einen gewagten und verantwortungslosen Törn beim nächsten Steggespräch zum Besten geben und mit wirren Heldentaten mein Selbst aufpolieren. Und wenn ich eben als Schönwettersegler tituliert werde, na und, dann ist das eben so und dann stehe ich auch dazu. Wind und Welle mag ich auch, dann aber bitte nicht allein!

Irgendwann mal aufgeschnappte Satzfragmente schwirren mir durch den Kopf. „Ein echter Segler muss auch was abkönnen“, „Ein bisschen Abenteuer gehört nun mal dazu“, „Es ist sicherlich etwas sportlich, aber durchaus machbar“, „Im zweiten Reff sollte das kein Problem sein“. Aber es gibt eben auch die andere Seite: „Du bist nicht zu feige, es wirklich zu doll da draußen“, „Es gehört zur guten Seemannschaft, bei widrigen Bedingungen im Hafen zu bleiben“, „Pass auf dich auf“. Ein erfahrener alter Skipper sagte mal zu mir: „Sobald du ein ungutes Gefühl hast, solltest du nicht mehr auslaufen und lieber im Hafen bleiben.“ So sehe ich das auch, nur nagt dieser Druck, es allen irgendwie recht machen zu müssen trotzdem an mir.

Bei meinem Landausflug Richtung Æbelø begleitet mich einer meiner Söhne. Der Rest hat mal wieder keine Lust mit zu kommen und sich auf dem Rad auch mal etwas weiter von der Marina weg zu begeben und weilt stattdessen wieder lieber am Handy. Sie haben keine Lust zu sehen, was die Welt zu bieten hat. „Das ist langweilig“, „zu weit weg“ oder „vielleicht ein andern Mal“, das ist das einzige, was mir auf meinen Vorschlag hin entgegnet wird.

An Bord wird es unterdessen unruhig. Die Stimmung beginnt bereits auf beiden Booten zu kippen und dabei sind wir erst seit vier Tagen unterwegs. Die Langeweile breitet sich besonders hier im Hafen aus und der Unmut darüber, dass es nicht wie erwartet weitergeht, ist deutlich spürbar. Dem immer noch wiederkehrenden Frust über das vergessene Glätteisen folgt nun auch vermehrt der Vorwurf, wir hätten ja zu Hause bleiben können, wenn wir ohnehin nur im Hafen rumstehen. Wo denn überhaupt der Unterschied sei, auf der Flensburger Förde zu segeln oder irgendwo anders. Ich kann es meiner Tochter einfach nicht begreiflich machen, was der Unterschied ist, zwischen dem Segeln auf der heimischen Förde und dem scheinbar Unendlichen auf den Gewässern jenseits von Deutschland.

Die Weite, die Stunden auf See, die Ruhe und die Besinnung auf mein Inneres, die intensive Zeit mit mir selbst kann ich jetzt so nicht leben. Kann die Stille nicht teilen. Kann nicht in mich gehen und Heilung walten lassen. Segeln ist Therapie. Doch nur dann, wenn das echte Sein nicht in Frage gestellt wird und man die Chance bekommt wirklich frei zu sein. Ich möchte mich nicht erklären müssen. Sehne mich nur so sehr danach anzukommen. Doch als Mutter im Familienurlaub ist es vollkommen utopisch wirklich an das eigene Selbst zu denken und immer öfter erwische ich mich dabei, die ganze Aktion, mit zwei Booten im Urlaub zu segeln, in Frage zu stellen.

Permanent checke ich die unterschiedlichen Wetter und Wind Apps und gehe sämtliche Möglichkeiten und Eventualitäten durch, doch am Ende bleibt nur eins: Resignation. Es gibt einfach keine Chance weiter zu kommen. Nicht von hier. Vielleicht war es ein Fehler nach Bogense zu fahren und ich hätte stattdessen an der Ostküste Dänemarks bleiben und mich unter Land hochhangeln sollen. Doch was dann? Die Aussichten im Norden Richtung Schweden zu kommen stehen alles andere als gut und meine freie Zeit in vollen Stadthäfen zu verbringen erfüllt mich auch nicht gerade mit Freude.

Immer öfter flüchte ich nun von meinem eigenen Boot. Die Gemütlichkeit, die ich im Winter im leeren Heimathafen an Bord spüre, ist hier nicht gegeben. Alles liegt durcheinander und mein kleines individuell geschaffenes Reich ist irgendwie beschlagnahmt. Sandiger  Boden, Klamottenberge im Bug, Verpackungsmüll in der Pantry. Ich rede, ich erkläre, ich bitte. Es hilft nix. Angebote wie Radfahren, Schwimmen, spazieren gehen werden boykottiert und auch das SUP ist nicht interessant. Ich versuche mein Bestes; als Mutter und als Seglerin. Ich gebe alles, um es jedem recht zu machen und bleibe dabei selbst mal wieder auf der Strecke. 

Es macht mich traurig. Nicht nur die allgemeine Stimmung, auch das Wetter spielt einfach nicht in meine Karten. Der Wind ist zu viel und wird immer mehr. Waren es Anfang der Woche noch um die zwanzig Knoten Wind, so springt der Anzeiger am Hafenbüro nun immer öfter auf 25-30 Knoten und die kommenden Tage ist auch kein Abflauen in Sicht. Auch wenn es nicht in meiner Verantwortung liegt, so habe ich doch das Gefühl, komplett versagt zu haben. Ich komme einfach nicht weiter und kann meine Vorschläge, nach Norden zu segeln, evtl nach Schweden in die Westschären zu gelangen, nicht umsetzen. Die Enttäuschung ist bei jedem spürbar und ich fühle mich irgendwie schuldig. Offensichtlich habe ich nicht das Richtige zu bieten und das bekomme ich täglich aufs Neue zu spüren. Die Stimmung an Bord ist auf dem absoluten Nullpunkt angekommen und ich habe keine Ahnung, wie es die nächsten Wochen weitergehen soll.

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