Wieder liegen drei Hafentage hinter mir. Wieder war der Wind grenzwertig und ich einfach nicht energiegeladen genug, mich dem auf Gedeih und Verderb auszusetzen. Ich habe nunmal nur 26 Fuß, kurze 7,80m, und kein Riesenschlitten. Da komme ich da draußen bei Wind und Welle mit meinem kleinen und mit weniger wie drei Tonnen relativ leichtem Boot und vorallem allein nun mal einfach nicht mit. Oft geißle ich mich unnötig damit, nicht raus zu kommen, doch dabei ist es nur ganz normal.
Doch jetzt ist der Wind abgeflaut und ich gönne mir noch den Rest der Woche. Ohne Ziel und ohne Druck verlasse ich relativ früh den Hafen. Wie die Fliegen surrt es jetzt um mich herum, denn ich bin offensichtlich nicht die einzige, die seit mehreren Tagen hier auf adäquate Bedingungen gewartet hat.
Draußen reffe ich schnell aus, denn heute ist kein Verkleinern der Segelfläche nötig. Der blaue Himmel, die See und der Wind versprechen heute eine schöne Zeit und die möchte ich nutzen. Nochmal die Zeit auf dem Wasser genießen. Meinen Gedanken nachhängen, resümieren, sein. Musik hören, Lebensfreude spüren und nicht an Morgen denken.
Dabei kommt mir auf einmal der Gedanke, warum ein Seemann eigentlich zur See fährt? Warum zieht es die Menschen hinaus? Selbst Landratten stehen oft sehnsüchtig am Strand, lauschen den anbrandenden Wellen und schauen hinaus in die Ferne und lieben den Anblick des Horizonts. Was ist es, was den Menschen hinaus zieht? Auch ich stelle mir diese Frage und lasse meinen Gedanken dabei freien Lauf.
Ist es die Flucht vor dem Leben an Land? Der Wunsch alles hinter sich zu lassen und von vorn zu beginnen? Eine neue Chance zu haben und sein Leben in frische und reine Bahnen zu lenken? Oder ist es eine Suche? Nach dem Sinn hinter allem, dem eigenen Sein und der Bedeutung des kleinen Selbst in der unendlich großen Welt? Ich glaube, es ist von allem etwas. Die Faszination und das Unbekannte. Das Spüren, Einswerden und Dazugehören. Ein Teil des Großen und Ganzen zu sein. Vogelfrei und unabhängig und doch nicht völlig losgelöst, sondern Bestandteil des Universums, der Energie die jedes Wesen der Welt mitgibt, damit alles existiert.
Ich segle nochmal raus auf die Ostsee. Oder ist das hier jetzt schon der Lillebælt? Ich weiß es nicht, denn hier auf dem Wasser gibt es keine Grenzen und die Übergänge sind fließend.
Ich hatte es schon geahnt, von Südosten rauscht noch immer die alte Dünung heran, doch der achterliche Wind bietet im Verhältnis zu wenig Druck. Die Segel schlagen, der Baum springt auf und ab. Kurz überlege ich einen improvisierten Bullen zu setzen, doch ich verwerfen den Gedanken genau so schnell, wie er gekommen ist.
Nein. Ich habe bekommen, was ich wollte. Den Blick nach draußen. Die Weite, das Offene, den Horizont und nun entscheide ich umzukehren. Den Blick nach draußen loszulassen und Spaß zu haben, das Segeln zu genießen und einfach zufrieden zu sein. Ich kann nicht immer nur nach den Sternen greifen wollen, wenn ich doch eigentlich weiß, dass ich sie einfach nicht erreichen kann.
Es ist schon merkwürdig. Wenn ich an Land bin, dann will ich raus auf See und wenn ich dann, für meine Verhältnisse, weit genug draußen bin, dann möchte ich zurück. Eine ewige Sehnsucht, hin- und hergerissen zwischen hier und dort, zwischen nah und fern und niemals da zu sein, wo ich gerade sein möchte.
Die Wellen rauschen unaufhörlich heran, doch jetzt auf entgegengesetztem Kurs, springt Findus auf einem Dazwischen von Amwind und Halbwind, elegant über die Dünung. Mein Schiff muss in solchen Momenten dieselbe Lebensfreude spüren wie ich. Spritzende Gischt, schäumende See und ein Rauschen und Glückern am Rumpf. Es ist einfach schön.
Ich entscheide mich für den Als. Morgen wird mein jüngerer Sohn für ein paar Tage mit an Bord sein und sein Bruder wird ihn über den Landweg zu mir bringen. Es sollte vom Weg her passen und für alle gut erreichbar sein, weshalb ich mich heute für den Hafen von Augustenborg entschieden habe.
Die Gegend kenne ich bereits von Landseite aus und freue mich, die dortige Natur am Abend für mich genießen zu können. Doch vorab gilt es die Kong ChristiansX Bro zu passieren und den Sund nach Norden zu fahren. Wind ist hier in der Abdeckung kaum und es lohnt sich nicht zu segeln. Doch das ist ok. Augustenborg als Hafen wird neu sein und ich spiele gern diverse Situationen im Geiste durch, wofür ich hier und jetzt genügend Zeit habe.
Nach neun Stunden und vierzig Meilen bin ich da. Anleger perfekt, nette Menschen am Steg. Es ist ruhig, nur der Straßenlärm der vorbeiziehen Fahrzeuge stört etwas, weshalb ich den Abend gegenüber im Wald in absoluter Stille bevorzuge.
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