11. August 2025
Ohne Flow

Trotz meiner Unsicherheit der letzten Tage und unzähliger Zweifel an meinem Boot und mir selbst, starte ich nun doch endlich Richtung dänische Südsee.

Ich möchte so gern weg. An Bord sein und segeln. Möchte mich tragen lassen von der See und ihrer Weite. Und ich möchte wieder bei mir ankommen. Dieses eine und mit nichts zu vergleichene Ankommen, dieses vollkommene Sein, diese Echtheit meines Selbst. Ich sehne mich so sehr danach und nicht nur einmal habe ich bislang die Erfahrung gemacht, dass diese emotionale Vollkommenheit sich hier an Bord meines kleinen Schiffes auch nach dunklen und traurigen Phasen in meinem Leben wieder voll und ganz einstellt. Und auf eben dieser Erfahrung beruht meine Hoffnung, dass es auch dieses Mal wieder so sein wird.

Es ist nur wenig Wind heute, aber trotz des nun wenigstens einigermaßen in Ordnung gebrachten Unterwasserschiffs ist Findus im Verhältnis noch immer zu langsam. Zwar habe ich wieder Reaktion im Boot, doch so schwerelos wie erhofft kommt Findus nun auch wieder nicht voran. Liegt es wirklich an meinem Schiff? Oder nur am spärlichen Wind? Oder am Ende doch an mir? Habe ich wohlmöglich das Segeln, so wie ich es für mich erschlossen habe, verlernt? War am Ende doch alles falsch? Ich merke, wie meine Zweifel immer wieder Besitz von mir ergreifen und so meine Unsicherheit immer weiter schüren. Irgendwie fühlt sich das hier einfach nicht so richtig rund an.

Aus den vergangenen Jahren weiß ich, dass es manchmal auch etwas dauern kann, ehe ich mich hier draußen neu sortiert und eingenordet habe. Ich weiß ebenso, dass es nicht wirklich an mir und meinen Fähigkeiten liegt, dass Findus aktuell so langsam ist, sondern einzig mit meiner Nachlässigkeit in Bezug auf Pflege und Wartung zu tun hat. Dennoch bin letztlich ich es, die diesen Zustand zu verantworten und zu tragen hat. Am Ende liegt es eben doch an mir.

So schön es auch ist, hier draußen auf dem Lillebælt allein zu sein, so vertraut der Blick auf die See ist und ich mich grundlegend gut und sicher auf meinem Boot fühle, so vermisse ich dennoch die Reinheit meiner Emotionen. Ich komme einfach nicht wirklich so richtig bei mir an. Im Gegenteil, alles fühlt sich irgendwie erzwungen an und für einen Moment empfinde ich sogar so etwas wie Langeweile. Dieser plötzliche Gedanke und die damit verbundenen Gefühle erschrecken mich. Ist Segeln nicht mehr das Richtige für mich? Langeweile entsteht doch schließlich nur dann, wenn man nicht das Richtige tut.

Ich versuche mich abzulenken von solch wirren Ideen und greife auf altbewährtes zurück. Während ich mir ein ausgiebiges Frühstück zubereite, überlasse ich dem Autopiloten das Ruder und schiebe alles andere vorerst zur Seite. Achtsamkeit und Selbstfürsorge soll ja schließlich die Stimmung heben.

Mit Chance erreicht Findus heute vier Knoten Fahrt, doch überwiegend bleibt mein Boot weit darunter. Kaum scheint ein bisschen Wind den Weg in meine Segel gefunden zu haben, verebbt dieser auch gleich wieder. Diese Unbeständigkeit macht wenig Laune und ich empfinde es heute als recht mühselig, mich auf dieses Spiel einzulassen.

Innerlich fühle ich mich stark getrieben, doch ich kann nicht mal sagen wieso. Eine unbekannte Unruhe, ein nicht klar definierter Druck und eine unangenehme Orientierungslosigkeit lassen aktuell keinen inneren Frieden zu. Ich bin zu aufgewühlt und gelange nicht in Gleichtaktung mit dem, was mich umgibt.

So sehr ich es auch liebe, mir will das Herz einfach nicht aufgehen.

Einerseits möchte ich weg. Ich möchte neues entdecken, möchte das Leben spüren, möchte mir selbst nah sein. Doch auf der anderen Seite sind da die Verpflichtungen, die Sorgen, mein ewig schlechtes Gewissen. Auch unausgesprochene Vorwürfe und Kritik von verschiedenen Seiten bezüglich meiner Einstellung zum Leben zucken immer wieder wie Blitze durch meine Gedanken und rauben mir meine ohnehin gerade spärliche Energie. Ich ärgere mich darüber, dass ich diesem Außen soviel Macht über mich gebe und meine Konditionierung noch immer so tief verwurzelt ist, dass ich es nicht schaffe bei mir und meinem Selbst zu bleiben. Unzählige Zweifel auf meinem Weg weiter zu mir selbst sind aktuell ein unheimlich energiefressender und beständiger Begleiter.

Schön ist es hier draußen dennoch allemal und es ist einfach nervig, dass dieses Außen mich derart hindert in meinen Flow zu kommen. Es ist wie ein Kaugummi am dem ich festhänge und das mich nicht ziehen und gewähren lässt, sodass ich nicht vom Fleck komme. Vielleicht überträgt sich dieses Gefühl aber auch nur, ist also so eine Art Projektion, und es geht hier gar nicht so sehr um mich, sondern doch eher um Findus, der einen ähnlichen Stillstand erlebt.

Mitten auf dem Lillebælt verliert der Wind sich dann völlig und ich starte die Maschine. Alles unter zwei Knoten Fahrt raubt mir gerade jeden noch vorhandenen Nerv und Geduld ist jetzt das Letzte, was ich noch aufzubringen in der Lage bin. Dieses Einssein mit meinem Boot ist einfach nicht vorhanden und somit fehlt diese unverwechselbare Harmonie.

Ich muss wohl noch mehr lernen zu akzeptieren was ist, denn etwas an meiner derzeitigen Situation zu ändern geht gerade nicht. Finanzielle und private Aspekte lassen nur extrem wenig Spielraum zu und so ist Akzeptanz die Einzige Lösung einen einigermaßen inneren Frieden zu erlangen. Auch wenn es mir schwer fällt zu akzeptieren, dass die Akzeptanz von Außen mir und meinem Sein gegenüber nicht mit demselben Gewicht gewogen wird und der Ball und somit die schwere des Gewichts in dieser Hinsicht, auf meiner Seite des Spiels belassen wird.

Nach etwa 20 Minuten unter Maschine kehrt dann für kurze Zeit wieder Ruhe ein. Der Wind kommt kurz vor der Nordspitze Ærøs nochmal mit drei bis vier Knoten zurück. Ich nutze ihn, denn die Schwergängigkeit meines Schiffes hat auch einen erhöhten Spritverbrauch zur Folge. Findus‘ Dieseltank fasst nur rund 20 Liter und die sind unter den aktuellen Bedingungen schnell aufgebraucht.

Das Ziel ist heute Faaborg und im Fahrwasser lohnt es sich erneut nicht mehr, mit gesetzten Segeln vorankommen zu wollen. Ich möchte jetzt auch irgendwie  im Hafen ankommen, weshalb Harry wieder dröhnt und ich die vor mit liegenden Fahrwasser abkürze wo es geht.

Auch an Land weiß ich nicht so recht wohin mit mir. Noch immer getrieben von fehlendem Flow und unbekannter Kraft, spaziere ich durch den Hafen und lasse meine Gedanken kreisen. Spät am Abend steht mein Entschluss dann fest.

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