18. April 2022
Ostertörn 2022

Die ersten freien Tage in diesem Jahr und endlich komme ich los. Meine Ungeduld verträgt sich nicht so gut mit meiner Sehnsucht und ich hatte schon fast das Gefühl, nie mehr aufs Wasser kommen zu können. Meine Tochter begleitet mich und wenigstens die ersten Meilen ist sie mit an Deck, während sie im weiteren Törnverlauf nicht allzuoft bei mir draußen verbringen wird. Ihre Interessen gelten nicht unbedingt dem Segeln, doch wir beide versuchen uns arrangieren und finden mittlerweile Lösungen, die uns beiden einen Vorteil verschaffen.

Die Saison beginnt im diesem Jahr nur schleppend, viel zu kalt ist es noch und viele Boote stehen noch in der Halle oder an Land. Auch bei uns im Hafen ist noch nicht wirklich viel los. Doch genau das gefällt mir. Denn wenn es bei uns so leer ist, dann gibt es auch überall sonst genug freie Plätze ohne dass man groß nach freien Boxen suchen muss.

Noch am Donnerstag Nachmittag geht es los. Vorab nur unter Maschine, denn ich möchte Zeit gewinnen und erstmal Richtung Außenförde gelangen. Es ist grau und ungemütlich und von Seglerromantik ist bei dem Wetter nicht unbedingt viel zu verspüren. Doch auch wenn Sonne und ein blauer Himmel den Törn weitaus emotionaler gestalten würden, so bin ich dennoch glücklich wieder hier draußen zu sein.

Der Winter war schließlich lang und neben starken Stürmen und Hoch- und Niedrigwassern war nur selten die Gelegenheit wenigstens auf der Innenförde ein paar wenige Stunden zu segeln. Doch jetzt muss ich raus. Vorbei an der Schwiegermutter geht es erst nur mit Vorsegel, später aber in mit voller Besegelung und perfektem Wind weiter.

Schön ist es. Findus fliegt leicht mit sechs Knoten übers Wasser und freut sich ebenso wie ich, in seinem Element sein zu dürfen. Leben, lieben, sein.

An diesem trüben Tag wird es bereits dunkel, als wir die Hafeneinfahrt von Høruphav erreichen. Ich mag es hier. Doch ein Blick auf den Hafenautomaten lässt mich kurz schlucken. Die Kategorie der kleinen Boote ist vollkommen entfallen und wir sind aufgestiegen in die Preisklasse der bis zu 36 Fuß (10.99m) Boote. Somit liegen wir jetzt bei 190, statt 150 drk. Strom kommt noch extra oben drauf. Was nützt es, dass alles teuerer wird lässt sich leider nicht ändern, doch das wir kleinen Boote gar nicht mehr existieren stimmt mich schon etwas traurig.

Der nächste Tag beginnt wieder in Grau, doch ich habe ein Ziel für die paar Tage und tristes Wetter hält mich nur selten vom Segeln ab. Gegen Mittag verlasse ich den Hafen und segle vorerst wieder nur unter Vorsegel Richtung Kong Christians X’s Bro in Sønderborg.

Den Wind genau abgepasst, erreiche ich so die Brücke nur wenige Minuten vor der Öffnung und muss nicht lange hin und her treiben, bis ich sie passiere. Nur vier weitere Segler fahren mit mir Richtung Norden. Es scheint fast, als habe ich mich in der Zeit geirrt und mir den Saisonstart nur eingeredet, denn die wenigen Menschen auf den Booten sind eingepackt in dicke Winterjacken und Pudelmützen.

Segel setzen lohnt im Alssund nicht wirklich, da der Wind nun direkt von vorn kommt und kreuzen im schmalen Fahrwasser mir nicht unbedingt Freude bereitet. Die fünf Meilen bis zum Alsfjord lege ich daher wieder lieber unter Maschine zurück und lasse so hoffentlich auch das Grau schneller hinter mir.

Doch die erhofften Lücken in der Wolkendecke bleiben leider aus, was mich jedoch nicht daran hindert, endlich die Segel zu setzen und am Wind den Fjord entlang zu segeln. Schön ist es und ich lehne mich zurück und genieße es.

Da ist es wieder, dieses zarte Plätschern am Bug, dieses süchtig machende Rauschen meines Bootes und das sich immer dann einstellende Gefühl vom Sein. Hier und jetzt. Richtig. Angekommen für den Moment. Glücklich. Ich genieße die Stille. Lasse Heinrich den Kurs halten und schließe kurz die Augen. Ich atme tief ein und denke beim Ausatmen ein schlichtes: Danke.

Nur zwei weitere Boote sind in der Nähe, doch sie segeln weit in Luv, so dass ich mich entspannt zurücklehnen und meinem realen Traum hingehen kann. Endlich. So schön. So frei. So richtig.

‚Wenn es am Schönsten ist, sollte man aufhören‘. Was für ein blöder Spruch. Doch leider ist es tatsächlich so. Es macht Spaß, fühlt sich gut an und ich möchte weiter. Ausbrechen aus dem Alltag und mein Leben so gestellten, wie es sich gut anfühlt. Ein paar Minuten ignoriere ich, das ich eigentlich wenden sollte und den Kurs Richtung angepeilten Hafen setzen sollte. Stattdessen sehe ich in die Richtung, in die weiter möchte.

Doch am Ende siegt die Vernunft und ich nehme Kurs auf die Dyvig. Kalt ist es immer noch und in der Tat vernünftig, gleich im Hafen zu stehen. Durch das enge Fahrwasser bewundere ich, wie jedes Mal wenn ich hier bin, die Landschaft. Im Sommer, wenn alles blüht und grünt und der Himmel sich in seinem blauen Kleid präsentiert, ist es sicherlich für das Auge sehr viel schöner und beeindruckender, doch bereits in diesem Vorfrühlingsgrau lässt sich erahnen, wie es hier bald aussehen wird.

Dyvig Bådelaug scheint noch zu schlafen, wie ich am nächsten Morgen zu Fuß meine erste Runde durch den Hafen mache. Die Reste des Frühnebels verschleiern etwas die Sicht und tauchen so die Welt um mich herum in ein mystisches Gewand.

Es ist windstill und das Wasser im Hafen liegt spiegelglatt da. Keine Stimmen, kein Motorengeräusch und nur hier und da das zwitschern der hiesigen Vögel, lassen mich diesen Moment in mich aufnehmen. Es ist friedlich. Harmonisch. Schön.

Es ist so still. So unendlich schön. Die tiefe Sehnsucht in mir spricht Bände und ich halte in Bildern fest, was ich nur für den Moment haben kann. Es werden Erinnerungen, die nur mir allein gehören, da kein anderes Auge sie mit mir zusammen gesehen hat.

Wie so oft frage ich mich, warum außer mir sonst niemand unterwegs ist und diese Atmosphäre in sich aufnehmen möchte. Andererseits bin ich froh diesen Moment für mich allein zu haben. Den kleinen Wermutstropfen, nicht teilen zu können, was ich hier sehe und fühle, schiebe ich bewusst zur Seite.

Zurück bei Findus mache ich alles startklar. Bald geht es weiter. Fast dreißig Meilen möchte ich schaffen. Meine Tochter hat die Nacht über den freien WLAN genützt und wird lange schlafen. Meine Chance auf einen stillen Segelvormittag.

Durch die Dyvig geht es wieder zurück. Noch ein Mal bestaune ich die Landschaft um mich herum. Diesmal liegt sie da in freundlichem Blau. Meine Vorfreude auf das, was mich in wenigen Meilen erwartet wächst und ich fahre zügig durch das enge Fahrwasser, um direkt dahinter meine Segel zu hissen.

Weite. Das Land nur noch schemenhaft als dünner Hauch am Horizont auszumachen. So liebe ich es. Blau. Immer und überall Blau und als Kontrast die weißen Segel meines Bootes. Der Wind ist lau. Gerade so, dass Segeln mich so einigermaßen voran bringt. Schönwettersegler nennt mancheiner dies verächtlich. Ja, meinetwegen, ich stehe dazu, denn so habe ich mehr Zeit alles auf mich wirken zu lassen.

Und ich habe Zeit zu träumen. Zum Träumen schließt man normalerweise die Augen, doch hier draußen ist der Traum Realität und ich sehe ihn wahrhaftig vor mir. Meinen realen Traum. Was könnte ich mehr wollen als diesen wunderbaren Anblick?

Zarte Wolken und Sonne liegen über mir und meinen Blick wandert weiter Richtung dieser Endlosigkeit die in ihrer Einzigartigkeit vor mir liegt. Ich kann gar nicht so viel staunen, wie ich begeistert bin. Jede Sekunde genieße ich diesen Anblick und halte ihn wieder fest. Halte ihn fest für Tage, an denen ich nicht glauben kann, jemals hier gewesen zu sein.

Nach einigen Meilen starte ich dann doch den Motor, denn der Wind hat völlig nachgelassen und auch langsam komme ich jetzt nicht mehr voran. Meine Ankunftszeit liegt mittlerweile bei nach null Uhr Mitternacht. So schön es auch ist, ich muss realistisch bleiben. Emma ist inzwischen auch wach und die absolute Ruhe ist so vorerst unterbrochen.

Der kleine Belt, zwischen der Nordostspitze Alsen und Skoldnæs auf Søby misst mehr wie 15 Seemeilen. Zeit genug für mich zu experimentieren und auszuprobieren. Ich filme meine Bugwelle und genieße das Rauschen. Ich setze meinen PD Stander und die inoffiziellere Flagge Ærøs darunter. Ob die Backbordseite dafür die richtige ist, weiß ich nicht, doch buche sie als Spaßflagge ab und denke, es wird schon ok sein.

Die Meilen verstreichen, mein Motor juckelt dahin und die Sonne scheint auf mich herab. Eigentlich wäre Kurs Nord jetzt schöner, doch es geht einfach nicht. Warum muss denn immer die Vernunft siegen? Warum ist das wirkliche Leben so unendlich weit entfernt?

Ich lasse meine Phantasie spielen und tauche ab, in meine eigene kleine geheime Welt.

Am späten Nachmittag erreiche ich Søby bei absoluter Flaute. Der Hafen ist leer und Findus findet Platz an seinem Stammplatz hier. Hier ist alles vertraut. Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon war, über zwanzig mal mit Sicherheit.

Ich lasse die letzten Male Revue passieren, während ich im Cockpit sitze und den ankommenden Abend mit seinen Farben auf mich wirken lasse. Es ist so schön hier zu sein.

Zur blauen Stunde erhebt sich der Vollmond über dem Land und rundet diesen Abend formvollendet ab. Meine Gedanken, Träume und Wünsche schließe ich derweil in meinem Herzen ein und versuche den Moment zu leben und ihm durch das Festhalten in Wort und Bild eine Bedeutung zu geben.

Der nächste morgen zeigt sich sonnig, doch ich bleibe vorerst in meiner Koje. Es ist still und friedlich draußen und genau diese Stille ist es, die mir so gut tut. Im Halbschlaf höre ich den Hafenmeister vorbei gehen und ihn dabei zu irgendwem sagen, dass er registriert hat, dass wir da sind.

Ich bin sicher, nach seiner morgendlichen Runde wird er noch vorbeikommen. Doch daraus wird nichts. Es ist nicht sein Tag und eine Verletzung der letzten Tage zwingt ihn, seine Hafenrunde vorzeitig zu unterbrechen. Unser Wiedersehen müssen wir verschieben. Ein Grund also, alsbald wieder zu kommen und unser Gespräch nachzuholen.

Der Rückweg steht an. Die Tage vergehen viel zu schnell. Gerade erst bin ich angekommen bei mir selbst und schon muss ich wieder zurück. Ich verlasse Søby mit einem lächenden und einem weinenden Auge. Die Freude auf den heutigen Törn bleibt getrübt von der Sorge um Leo.

An Segeln ist nicht zu denken. Es war kein Wind aus allen Richtungen. Bei dem Gedanken muss ich lächeln. Der Spruch kommt von Leo. Er hat ihn damals gebracht, wie wir vor fünf Jahren das erste Mal beim ihm waren und ich habe ihn einfach übernommen, wenn der Wind mal wieder schläft.

Hier in der Südsee sind wir noch in der Abdeckung. Zwar haben wir kein Wind, dafür ist es aber traumhaft warm. Ein Vorgeschmack auf den Sommer vielleicht. Ich genieße die Wärme, verbunden mit der Einsamkeit und der Stille, die mich umgibt. Und ich genieße auch heute den Anblick des Blau um mich herum.

Nachdem ich Skoldnæs passiert habe ist endlich Wind und ich komme mit durchschnittlichen viereinhalb Knoten voran. Es ist so schön. so täuschend unendlich. So illusorisch frei. Doch ich gebe mich dieser Illusion hin und fühle dabei in mich hinein.

Ich weiß nicht genau warum und ich habe und ich habe aufgehört immer tiefere Begründungen neu suchen. Doch hier draußen ist das Leben wirkliches Leben. Es ist Spüren und Sein. Ich fühle nur auf dem Wasser so und mit an Land bekomme ich dieses feeling nicht. Ich halte inne und lasse es an mich ran. Bewusst. Mit jeder Faser.

Um Kegnæs herum schläft der Wind erneut ein. Das Wasser wird flacher und die See verliert für einen Moment ihr blaues Kleid und taucht ab in frisches Grün. Ich fahre über Flachstellen und bilde dabei nur ein, den Grund sehen zu können. In Wirklichkeit sind es die Sonnenstrahlen, die sich im sich bewegenden Wasser spiegeln und mir den Meeresboden nur vorgaukeln.

Angekommen in der Außenförde werfe ich einen letzten Blick zurück. Hier heißt es Abschied nehmen. Von der Weite, der Freiheit und von meiner selbst.

Der Abend in Høruphav klingt aus in den dezenten Farben eines frühlingshaften Sonnenuntergangs über Land, der due Farben auf dem Wasser in einen zarten Pastellton hüllt.

Am nächsten Morgen begleitet mich ein Schweinswal aus der Bucht heraus. Ein kleiner Geselle, der wieder und wieder um meinem Boot herum auftaucht und Wasser durch sein Atemloch pustet und mir damit anzeigt, wo er gerade ist.

Ich kann nicht anders. Ich kann nicht weiter in die Förde Segeln. Ich muss noch einmal raus. Noch einmal einen Blick werfen auf die Schönheit da draußen. Wem es zu langweilig wird, der muss einfach aufhören zu lesen, zu hören, zu spüren.

Noch ein Mal Segel ich zum Kalkgrund, bevor endgültig umdrehe um das hinter zu lassen, was ich liebe.

Ein weiterer kleiner Freund nimmt seinen Kurs auf mich zu und begleitet mich ein Stück weit. Vielleicht möchte er mir so den Abschied hier draußen etwas leichter machen. Es gelingt ihm sogar, denn es ist immer wieder schön, den kleinen Walen zuzusehen, wie sie auf und abtauchen.

https://youtu.be/yhaoGkN5qqs

Es vergeht wie immer viel zu schnell und im Nu erreiche ich die Schwiegermutter und somit die Innenförde. Immer noch ein schönes Segelrevier und dennoch nicht das Selbe wie draußen…

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