Die Zeit ist knapp, denn ich habe vorerst lediglich ein paar wenige Tage nur für mich. Frei, allein und unabhängig. Was für ein Luxusgut in jener Schnelllebigkeit, in der nicht selten ein Tag dem anderen gleicht und oft wie im Fluge ungenutzt und ohne echtes Leben für immer von dannen zieht. Dieses kostbare Gut möchte ich deshalb so intensiv wie nur irgendmöglich nutzen, was für mich bedeutet, dass ich so viel Zeit auf dem Wasser verbringen möchte, wie es eben geht.
Kurz nach dem Wachwerden zieht es mich deshalb also schon wieder hinaus. Es sind nicht die Meilen die mich dabei reizen. Es ist viel mehr das Gefühl auf dem Wasser, weshalb ich so gern mit meinem Boot unterwegs bin. Es ist dieses Gefühl, sich selbst so nahe sein zu können und keinerlei Kompromisse eingehen zu müssen. Ein Zustand, der süchtig macht und der einhergeht mit einer Echtheit, die ich kaum sonst irgendwo zu verspüren vermag.
Der Platz an Bord meines kleinen Schiffes ist gering, mein ohnehin weniges Hab und Gut nur spärlich bestückt und doch ist es für mich ein wahnsinnig großer Reichtum, auf Findus‘ begrenztem Raum die Weite um mich herum erleben zu dürfen. Die See wirkt dabei wie eine Erweiterung meines kleines Kosmos und je unbegrenzter mein Blick, desto mehr bin ich da angekommen, wo das Sein mich erfüllt und ich eins mit mir und meinem Leben bin.
Wind gibt es noch keinen nennenswerten und der zarte, jedoch jetzt bereits sehr warme Lufthauch kommt direkt von vorn. Doch habe ich Glück, denn die leichte Strömung ist heute mit mir und so läuft vorerst zwar noch die Maschine, doch schneller wie erwartet bin ich an der Ecke, an der ich trotz des geringen Windes hoffe segeln zu können.
Vergebens. Wo eben noch leichte Bewegungen auf dem blauen Nass zu verzeichnen waren, herrscht jetzt Stille. Nicht das kleinste Lüftchen weht mehr und die Schwüle nimmt mehr und mehr zu. Einzig der Fahrtwind lässt mich erahnen, wie angenehm es sein könnte, wenn meine schlackernden Segel jetzt eine warme Brise einfangen könnten.
Doch es nützt nichts. Mit unter einem Knoten Fahrt will und muss ich hier nicht dümpeln und so röhrt mein Harry eben weiter. Angesagt ist heute guter Segelwind, doch scheint er selbst das noch nicht zu wissen. Die Frage ist nun, wann und wo er wirklich kommen wird.
Auf dem Lillebælt wimmelt es nur so von kleinen Fliegen, die, wenn sie einmal auf der mit Sonnencreme benetzten Haut gelandet sind, sich kaum mehr wegpusten lassen. So kribbelt und kitzelt es ständig, während die Sonne gegen Mittag ein fast unerträgliche Maß erreicht und der noch immer ausstehende Wind die Schweißdrüsen auf Hochdruck Arbeiten lässt.
Landschaftlich ist es hier wunderschön, doch fehlt es mir ein wenig an Geduld bei Flaute und mit permanenten kleinen Flugattacken die Schönheit der Gegend in mich aufzunehmen. Im Gegenteil, ich bin froh, die bewaldeten und grünen Küstenflächen gleich hinter mir zu haben und einen Schritt weiter die etwas offenere See vor mir zu haben.
Ohne Wind passiere ich nun auch die Brücken von Middelfart, doch erahne ich bereits, dass der Wind mein Boot und mich gleich endlich erreichen wird. Weit vor mir sehe ich Segler, deren Krängung Druck in den Segeln verspricht.
Und endlich ist er tatsächlich da. Der versprochene Wind, der Druck im Segel. Und Findus beginnt zu rennen. Mein Boot ist in seinem Element und ich bin es auch. Was für ein Gefühl. Was für ein Glück. Und was für ein Segen.
Vor ein paar Wochen war ich landseits in diesen Breiten unterwegs und habe sehnsüchtig aufs Meer geblickt und jetzt bin ich wirklich hier. Es sind nur winzig kleine Träume, doch sie mir selbst zu erfüllen, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich selbst bin verantwortlich für die Verwirklichung meine Träume und ich freue mich über jeden Augenblick, in dem es mir gelingt, einen für mich da zu sein.
Hier oben begegnet mir nun vermehrt auch die Berufsschifffahrt und irgendwie fühlt es sich komisch an, an ihnen vorbei zu segeln. Als würde ich mit meinem kleinen Boot in ihr Gebiet eindringen. Sie sind schnell, rauschen an mir vorbei und verschwinden immer kleiner werdend am Horizont. Wie viele große und kleine Schiffe mag es bloß geben auf unseren Weltmeeren? Manchmal frage ich mich, wenn man sie alle zusammenrechnet, was würde ihre gesamte Verdrängung in Bezug auf den Anstieg des Meeresspiegels ausmachen?
Die Frage bleibt wie so vieles im Leben einfach unbeantwortet im Raum stehen. Stattdessen checke ich nochmal die aktuell prognostizierte Wetterlage für die kommenden Tage. Will ich es riskieren und Fyn Rundt machen? Zeit- und Meilenmäßig wäre das an und für sich überhaupt kein Problem. Oder kehre ich um und verlasse das Offene wieder, bevor ich es richtig gekostet habe? Ich entscheide mich schweren Herzens gegen ersteres, denn der Blick auf die Prognose der nächsten Tage spielt mir nicht gerade in die Karten. Bei Flaute komme ich immer weiter. Vor oder zurück wäre da vollkommen egal. Doch der angesagte Wind für die nächsten Tage ist für meine Verhältnisse jetzt bereits grenzwertig. Zusätzlich dreht er auf Süd, was ein Kreuzen auf dem Storebælt bedeuten würde. Nein. Dieses Mal entscheidet die Vernunft, gepaart mit dem Zeitdruck, dass ich umkehre und zurück in dem Lillebælt segle. Immerhin haben Findus und ich einmal in offenere Gefilde geschnuppert und nehmen diesen Anblick und das Gefühl wieder mit zurück.
Wider erwarten ist das für den Moment auch emotional genau die richtige Entscheidung. Der Himmel in Richtung Süd zeigt sich in einem freundlichen Blau und auch der Wind verändert hier nochmal seine Intensität. Unter den Brücken erreicht Findus Spitzengeschwindigkeiten von über sieben Knoten und das Segeln macht irre Spaß. Manchmal muss man vielleicht seine Ziele und Träume opfern. Opfern für den Moment im Hier und Jetzt, für das Glück, was aktuell vor einem liegt. Ein ständiges Tauziehen zwischen festhalten und loslassen.
Der Lillebælt verändert erneut sein Antlitz und das liebliche Blau weicht einem tristen Grau. Die See ist wieder ruhig und auch der Wind schläft hier erneut ein. Wo eben noch der Spaß im Vordergrund stand ist jetzt wieder Warten auf die nächste Brise angesagt. Doch sie will und will nicht kommen, so dass ich in Anbetracht des nahenden Abends und einer Verabredung mit befreundeten Seglern im jetzigen Zielhafen beschließe die Segel zu bergen und das letzte Stück unter Maschine zurückzulegen.
Kurz vor Assens frisch der Wind dann doch nochmal auf, doch ich habe keine Lust mehr das Großsegel erneut zu setzen. So lasse ich den Motor zur Stabilisierung mitlaufen und Rolle nur das Vorsegel aus, um so schneller in den Hafen zu gelangen. Nach elf Stunden und 54 Seemeilen lege ich wieder in der Box an, aus ich heute morgen aufgebrochen bin. Es war ein schöner Segeltag und der Abend an Bord der Windrose mit netten Gesprächen und einer spontanen Einladung zum Essen rundet den Tag glatt ab.
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