22. Oktober 2023
Sturmflut 20.10.2023

Schon Tage im Voraus entnehme ich der Langzeitwasserstandsprognose des BSH, dass für den kommenden Donnerstag und Freitag ein extremes Hochwasser vorhergesagt ist. Es soll bis an die zwei Meter über normal Null gehen und mit starkem Ostwind daherkommen. Kaum vorstellbar eigentlich hier in der Flensburger Innenförde.

Januar 2017

Im Januar 2017, als absolutes Greenhorn in Sachen Boote und Segeln, habe ich jedoch zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen, wie es aussieht, wenn die Förde im Flensburger Hafen über die Ufer tritt. Zu der Zeit wohnte ich noch zwei Autostunden von meinem Boot entfernt und habe mich erst spät am Abend ins Auto setzen können, um bei Findus nach dem Rechten zu sehen. Damals kam ich zu spät und konnte den Steg aufgrund der Wassermassen selbst mit Gummistiefeln nicht mehr betreten. Bei 1,20 ü. NN beginnt das Wasser auf meinen Steg zu laufen und kurz danach komme ich nicht mehr trockenen Fußes zum Boot. Es war ein äußerst unschönes Gefühl damals zusehen zu müssen, wie mein Schiff stramm in den Leinen hing und nach vorn geneigt heruntergezogen wurde. Die Leinen knarzten und ächzten und ich stand nur noch da und sah, wie das Wasser stetig mehr wurde. Welle für Welle trat es weiter über die Kaimauer und setzte einen Großteil des Yachthafens unter Wasser. Damals lag der Peak bei ungefähr 6,80m, wobei der Normalwasserstand bei 5,05 Metern liegt. Findus hat das damals zum Glück unbeschadet überstanden und ich habe eine Menge daraus gelernt. Die Vorhersagen der Behörde sind ernst zu nehmen und die Veränderungen des Wasserstandes auf der Seite des BSH behalte ich seitdem stehts im Auge.

Stetiger Blick auf die Prognose

Ein ungutes Gefühl beschleicht mich jetzt bei dem Gedanken an Sturm und Hochwasser, denn wir haben für diese Woche in den Niederlanden gechartert und ich werde an den entscheidenden Tage wohl nicht bei meinem Boot sein können. Es ist ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt und ich weiß noch nicht so recht wie ich damit umgehen soll.

Charterboot Emma, eine Bavaria 36

Die Achterleinen hatte ich zu Beginn der Woche, vor meiner Abreise, bereits gegen ein Herüberrutschen über die Dalben gesichert. Mit einem Tampen, der die Leine am Poller hält, hoffe ich so, dass mein Boot sich nicht loslösen kann und mit dem Heck unwirsch in der Box treibt. Irgendwo bei 1,80m ü. NN könnte es nämlich brenzlig werden und das Wasser wird dann über den Dalben stehen. Auch die Vorleinen haben genug Lose, um dem Ansteigen des Pegels stand halten zu können.

Dennoch beschleicht mich während der paar Tagen auf dem Ijsselmeer ein ungutes Gefühl. Der regelmäßige Blick auf die Wasserstandsvorhersage trägt zu meiner Entscheidung bei. Ich möchte zu meinem Boot. Ich will Findus einfach nicht bei solcgen Bedingungen alleine lassen. Ich möchte da sein, um das Bestmögliche tun zu können und mir nicht im Nachgang vorwerfen müssen, mein Boot im Stich gelassen zu haben. Gemeinsam mit meinem ältesten Sohn, dessen eigenes Schiff ebenfalls im Stadthafen liegt, entscheide ich am Mittwoch Abend, dass wir als Familie den Charterurlaub abbrechen, um zurück nach Flensburg zu fahren und uns um unsere Boote zu kümmern.

Segeln auf den Ijsselmeer

Die Sachen sind gepackt, das Charterboot fertig zur Übergabe und sobald der Betreiber vor Ort ist, veranlasse ich das Nötige, um so zeitig wie möglich die Marina in Workum/Niederlande verlassen zu können. Zeitgleich akquiriere ich Hilfe bei Stegnachbarn vor Ort und bitte Sie, für den Fall, dass ich es nicht mehr rechtzeitig zum Hafen schaffe und aufgrund des bereits schon jetzt stetig steigenden Pegels nicht mehr auf mein Boot komme, sich Findus anzunehmen und meine PD noch besser zu sichern.

Bremsscheiben als Gewicht an den Achterleinen

An dieser Stelle nochmal ein riesengroßen Dank an Felix, der neben einer zusätzlichen Spring auch Gewichte an den Achterleinen angebracht und sie so zusätzlich nach unten gegen ein Überrutschen über die Dalben gesichert hat. Gleichzeitig hat er die Gewichte gegen ein Abrutschen zum Spiegel des Schiffes gesichert, indem er sie mit einer zusätzlichen Leine um den Poller auf konstanter Höhe zum Wasserstand befestigt hat. Eine geniale Idee Felix und ich habe dabei wieder etwas Neues dazu gelernt. Auch von weiteren Nachbarn habe ich Rückmeldung bekommen und bin gerührt darüber, wie wir Segler im Fall der Fälle eben doch füreinander einstehen. Ich danke euch allen.

Donnetstag 17h, Wasserstand ca 1,20 ü. NN

Nach sieben Stunden Fahrt bin ich endlich am Hafen und komme, wie bereits vermutet, nicht mehr an Bord. Der Wasserstand steigt rasant und schneller wie vorhergesagt. Ich schaffe es gerade noch, mich um die Vorleinen zu kümmern. Doch ich weiß, Felix ist ein erfahrener Segler und er weiß, was er tut. Ich vertraue seiner Vertäuung achtern und verlasse dennoch mit einem mulmigen Gefühl und viel Hoffen und Bangen den Steg. Findus ist jetzt auf sich gestellt und ich habe keine Möglichkeit mehr etwas für mein Schiff zu tun.

Donnerstag 17h, der Steg ist kaum noch trockenen Fußes begehbar

Die Nacht ist kurz und zu viele Gedanken schwirren durch meinen Kopf. Es ist nicht das erste Hochwasser, was ich in Flensburg erlebe, doch wird es eines werden, dessen Ausmaß noch ungewiss ist. Gern wäre ich jetzt an Bord, doch ich weiß, es gibt nichts, was ich im Notfall tun könnte. Wir haben keinen Schwimmsteg, was im Zweifel ein von Bord kommen bei diesem Pegel unmöglich macht. Würde mein Boot widererwarten doch achtern loskommen, Leck schlagen oder anderweitig in Schwierigkeiten geraten, könnte ich nichts tun. Ich wäre an Bord gefangen und würde zusätzlich mein Leben in Gefahr bringen. Mein Motor ist zu schwach um den angesagten Windverhältnissen Stand halten zu können und Findus wäre im schlimmsten Fall lediglich ein Spielball der Naturgewalten. Nein, mir bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten und weiterhin zu hoffen.

Freitag, 9h, der Steg steht komplett unter Wasser

Der Pegel steigt weiter. Schneller wie vorausgesagt steht das Hafenbüro und das gesamte Gebiet rund um den Hafen unter Wasser. Es ist gigantisch, welch Wassermassen sich hier auf den Wegen verteilen.

Freitag 17h, das Hafenbüro ist nicht mehr erreichbar

Während bei uns im Hafen alles ruhig ist, erreichen mich Bilder aus anderen Marinas, deren Anblick mich schaudern lässt. In den Boxen umhergeworfene Boote, untergegangene große und kleine Segler im Hafen, deren nackte Masten steil aus dem Wasser ragen und an Spuntwände geworfene Yachen, die die nächsten Stunden nicht mehr überleben werden. Es gleicht einem Horrorszenario was ich im Internet sehe. Damp, Maasholm, Schleswig und Schilksee gleichen bereits jetzt einem Bootsfriedhof. Es ist furchtbar und lässt jedes Seglerherz bluten. Während hier in der Ostabdeckung und Senke des Flensburger Stadthafens nur das Hochwasser steigt, kämpfen anderenorts Yachten in schweren Orkanwinden um ihr „Leben“.

Freitag 17h, der Pegel steigt weiter
18h, Flensburgs Innenstadt am Hafen

Mittlerweile haben wir ungefahr 2 Meter ü. NN und Findus‘ Heckdalben stehen nun unter Wasser. Meine Achterleinen sind nicht mehr zu sehen, doch die Konstruktion aus Gewichten und Befestigung hält. Findus ist fest. Andere Boote treiben achtern bereits ohne Leine am Dalben in der Box leicht hin und her. Doch auch hier kommt den Betroffenen Eignern die Ostabdeckung zu Gute. Trügerisch still ist es hier und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es ist doch überhaupt nichts los da draußen.

Freitag 19h, die Dalben stehen unter Wasser

Hoffen und Warten. Sonst bleibt mir nichts mehr. In der Nacht fahre ich erneut zum Hafen. Die Bilder aus dem Netz, die verzweifelt kämpfenden Boote und der angesagte Wind lassen mir keine Ruhe. Doch ich komme nicht mehr durch. Überall ist nur noch Wasser. Kräftige Regenschauer peitschten mir jetzt ins Gesicht, doch was ich aus der Ferne an Masten sehe, steht ruhig und schaukelt nur mäßig und dem Anblick nach zu urteilen vertraut vor sich hin. Ostabdeckung zischt es wieder durch meinen Kopf.

23h, Straße Hafendamm steht unter Wasser

Für diesen Abend füge ich mich und fahre nach Hause. Ich kann nichts mehr tun und versuche trotz aller Bilder und Gedanken in meinem Kopf zu schlafen.

23h, der Hafen ist komplett geflutet

Der nächste Morgen gibt Entwarnung. Das Wasser sinkt. Ich fahre zeitig zum Hafen und bei einem Wasserstand um die 6,30 Meter komme ich in Gummistiefeln wieder auf den Steg. Findus schwimmt. Meinem Boot ist nichts zugestoßen und auch wenn zwei der Nachbarn nur noch an einer, bzw keiner Heckleine hängen, hat auch hier die Ostabdeckung meinem Boot unendlichen Schutz geboten. Von der schweren Sturmflut auf der Ostsee hat Flensburgs Stadthafen lediglich die Wassermassen abbekommen. Vom eigentlichen Sturm wurden wir glücklicherweise verschont.

Kräftige Orkanböen aus östlicher Richtung am Freitag Abend gegen 20h
Höchster Wasserstand in der Nacht

Ich bin so unendlich dankbar dafür, dass ich hier in diesem Hafen mit meinem Schiff liege. Wenngleich ich in den Sommermonaten oft genug über den Lärmpegel und die Menschenmassen an der Hafenkante geschimpft habe, so bin jetzt froh, genau diesen Hafen meinen Heimathafen nennen zu können. Die Gemeinschaft hier bildet sich schleppend, doch in der Not sind wir vernetzt. Findus „lebt“, sowohl seines Liegeplatzes in der Abdeckung, als auch Dank des Miteinanders, was stetig wächst und nichts anderes zählt jetzt aktuell.

Der Nachbar ist achtern lose

Die Bilder in Sønderborg sehen derweil ganz anders aus. Der Hafen hat es, wie viele andere an der westlichen Seite auch, voll abbekommen. Durch den extrem hohen Wasserstand konnten die Wellen mit einer Höhe von über drei Metern ungeschützt mit Orkanböen auf die vertäuten Boote treffen. Losgerissene Schiffe, über die Dalben gerutschte Achterleinen und durch die kräftigen Wassermassen defekte Steganlagen wurden vielen zum Verhängnis. Gesunkene Yachten, aus dem Wasser ragende Masten und beschädigte Brücken prägen auch hier das Bild von Verwüstung. Es wird lange dauern den Schock über das Geschehene zu verdauen und nicht nur für die unmittelbar Betroffenen bleiben offene Fragen zurück.

Zerstörung in Sønderborg Marina

Hätte derartiges vermieden werden können? Wer kommt für den Schaden auf? Wie geht es mit den geschädigten Marinas weiter? Vor Naturgewalten kann sich keiner schützen, doch ich persönlich glaube, dass zumindest das ein oder andere hätte verhindert werden können.

Wellenhöhe Freitag auf Samstag Nacht

Ich wünsche mir künftig mehr Zusammenhalt. Mehr Hilfe untereinander und mehr Verantwortung von Einzelnen. Weniger Geldgier auf der einen und mehr Solidarität auf der anderen Seite. Mir tun insbesondere diejenigen der Geschädigten unendlich leid, die alles in ihrer Macht stehende und ihren finanziellen Möglichkeiten nach unternommen haben, um ihre Boote zu schützen und aus bloßer Unachtsamkeit und Ignoranz Dritter zum Opfer der Sturmflut geworden sind. Kein Boot hat ein derartiges Ende verdient. Kein Plastik-, Stahl- oder Holzboot. Kein Segler und keine Motoryacht. Kein „Luxusschlitten“ und keine kleine Jolle. Ich kann nur an alle appellieren: seit füreinander da. Helft euch im Hafen untereinander und zeigt nicht auf andere. Denkt an jene, die von weit weg kommen, an die, die es nicht besser wissen oder erst frisch dabei sind und auch all die Eigner, von denen ihr nicht viel wisst. Seit füreinander da, denn am Ende kommt es allen zugute. Wer weiß schon, wie es jetzt weitergehen wird. Wann und ob die betroffenen Marinas ihren regulären Betrieb wieder werden aufnehmen können. Zu viel ist geschehen.

Ich wünsche allen, die dies hier lesen, dass sie glimpflich davon gekommen sind und allen Geschädigten wünsche ich unendlich viel Kraft das Geschehene zu verarbeiten. Gebt nicht auf… in Gedanken fühle ich mit euch.

Findus geht es gut

1 Kommentar

  1. Vielen Dank, dass du nach unserem Boot geguckt und Bescheid gesagt hast !

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