25. Juli 2025
Teenies an Bord

Das meine Tochter mir mal freiwillig sagen würde, dass sie mit mir segeln möchte, ist eigentlich undenkbar. Doch ihre beste Freundin Greta möchte gern mal segeln und siehe da, plötzlich möchte Emma doch mal wieder mit. Nicht wegen des Segelns natürlich, sondern nur ihrer Freundin wegen. Und auch nicht zu weit und nicht zu lange. Doch das ist ok. Greta freut sich also auf’s  Segeln und Emma freut sich auf Greta. 

Die ersten Meilen auf der Förde legen wir unter Maschine zurück. Der kräftige Ostwind hätte zwar Kraft genug, uns zügig voran zu treiben, doch leider kommt er aus der falschen Richtung. Ich müsste die gesammte Förde raus kreuzen. Unter anderen Umständen würde das Spaß machen, doch heute habe ich etwas Zeitdruck im Nacken. Nicht die besten Voraussetzungen für einen entspannten Segeltörn, doch die Zeit ist knapp und ich muss in den nächsten Tagen ohnehin in vielerlei Richtungen Zugeständnisse machen.

Ich setze die Segel noch in der Innenförde und hoffe einigermaßen hoch an den Wind zu kommen, um nicht noch mehr kreuzen zu müssen wie ohnehin schon. Wie seefest Greta wirklich ist, weiß ich auch noch nicht, weshalb ich lieber das erste Reff im Hafen eingebunden habe. So habe ich die Garantie, bei etwaigen Böen nicht direkt auf der Backe zu liegen und Findus mehr oder weniger aufrecht durchs Wasser gleiten zu lassen.

Der Wind weht mäßig und die Mädchen sind vergnügt. Noch haben wir einiges an Strecke vor uns. Die Wettervorhersage für die kommenden Tage ist nicht wirklich stabil. Mal heißt es Flaute, dann wieder Starkwind. Mal soll es regnen und dann wieder überwiegend sonnig sein. Ich kann nichts versprechen, doch ich halte es für schlauer, heute einen langen Schlag in die dänische Südsee zu machen. Anderenfalls würden wir in der Förde festhängen und die Vorstellungen der Mädchen würden in den in Frage kommenden Häfen mit der Realität kollidieren. Unser Ziel ist deshalb also wieder einmal Søby. 

Zu vorgerückter Stunde freue ich mich darüber, dass die zwei bei mir im Cockpit sitzen und den heute, wenn auch nicht allzu spektakulären, Sonnenuntergang auf dem Wasser miterleben können. Ich finde es schön, Ihnen auch diese Seite des Segelns zeigen zu können.

Der Wind kommt derweil mal wieder aus der vermeintlich falschen Richtung und auch die Störung auf dem Lillebælt ist gerade nicht auf unserer Seite. Es hilft alles nichts, ich muss die Maschine mitlaufen lassen, um kursgerecht voran zu kommen. Unsere Ankuftszeit nähert sich ohnehin schon immer weiter gen Mitternacht und noch später möchte ich einfach nicht ankommen.

Um uns die Zeit ein wenig zu vertreiben spielen wir ein Ratespiel. Ideenreichtum und Kreativität sind gefragt und während das letzte Licht der Sonne allmählich am Horizont verschwindet, wird im Cockpit gelacht und gescherzt.

Unterwegs ist jetzt niemand mehr und auch die Mädchen sind jetzt unter Deck mit ihren Handys verschwunden. Es ist dunkel geworden um uns herum und im Salon brennt nun das rote Licht. Es ist gedämpft, so dass meine Augen nicht abgelenkt werden, wenn ich ins Innere meines Schiffes sehe.

An Ærøs Nordspitze leuchtet Skjoldnæs und der Lichtkegel des Leuchtturms zieht beständig seine Kreise. Ich könnte ihm stundenlang dabei zusehen und jede Umdrehung des Lichtstrahls bringt mich ein Stückchen weiter an mein heutiges Ziel. Nun ist Søby nicht mehr weit.

Meine Aufregung wächst. Wie immer, wenn es Richtung Hafen geht. Es ist nicht das erste Mal, dass ich im Dunklen in Søby einlaufe, doch heute habe ich kein gutes Gefühl was die Verfügbarkeit von freien Boxen angeht. Wenn ich mir die AIS Signale der Schiffe im Hafen anstehe, dann steht bereits die Mole voll mit in Päckchen liegenden Booten. Meine Hoffnung liegt nun auf den kleinen Plätzen. Werde ich fündig werden? Und was mache ich, wenn einfach nichts mehr frei ist? Es wird kurz vor Mitternacht sein, wenn ich im Hafen ankomme. Kann man da noch Päckchen gehen?

Ein grober Blick durch das Fernglas bestätigt meine erste Befürchtung. Masten neben Masten. Dicht an dicht. Doch jetzt hilft alles nichts. Die Leinen zum Anlegen sind bereit und die Fender liegen trittsicher an Deck während ich die Hafeneinfahrt passiere.

Schnell noch ein Foto an steuerbord und eines an backbord und dann sehe ich, was mir das AIS bereits vorausgesagt hat. Die Mole steht voll. Auch kleine Schiffe liegen im Päckchen. Wenn sie hier schon liegen, dann ist weiter drinnen auch nichts mehr frei.

Ich fahre dennoch in die letzte Reihe. So wie immer. Denn bisher bin ich hier immer fündig geworden. Doch soweit ich im Dunken sehen kann sind alle Boxen belegt. Emma steht auf dem Bug und guckt ebenfalls. Die einzig freie Box im Hafen ist auf rot und der Abstand der Dalben verrät mir, dass selbst wenn sie grün gewesen wäre, Findus hier nicht reinpassen würde. Später erfahre ich, dass sie eine Breite von lediglich 1,90 Metern misst. Findus braucht minimal 2,45 Meter.

Es hat keinen Sinn. Der erhoffte Landgang der Mädchen muss an diesem ersten Abend leider ausfallen, denn ich lege mein Schiff einfach quer an die Dalben. Morgen wird sich im Hafen hoffentlich was tun und dann kann Findus anständig vertäut in einer Box liegen. Doch diese Nacht werden wir wohl oder übel so verbringen müssen.

Zum Abendbrot gibt es heute für jeden nur eine Tüte YumYum Nudeln. Instant und ungesund, aber Hauptsache noch was im Bauch. Ohne Strom bleibt mir nur der Spirituskocher zum Wasser kochen und der Geruch verheißt in diesem Moment so was wie Abenteuer.

Eigentlich ist es total schön wie es gerade ist. Es ist was neues. Etwas, was nicht jeden Tag passiert. Die Mädchen sind im Bug verschwunden. Sie teilen sich die dreieckige Koje und ich höre ihr Gegacker hinter dem Vorhang. Ich freue mich für meine Tochter, dass sie eine Freundin dabei hat und ich freue mich darüber, dass sie bei mir an Bord ist.

Mittlerweile ist es weit nach Mitternacht und ich liege bei lauen Temperaturen allein im Cockpit und blickte auf das Firmament. Søby hat den bisher schönsten Sternenhimmel, den ich in einem Hafen gesehen habe und auch heute Nacht leuchten und funkeln wieder unzählige kleine Himmelskörper. Es ist einfach traumhaft schön. Hier fliegt ein blinkendes Flugzeug, dort schwebt ein Satellit. Und mitten drin, ganz plötzlich, sehe ich in sekundenschnelle den Schweif einer dahin glühenden Sternenschnuppe vorüber ziehen. Mein lautlos dahingesagter Wunsch gilt nicht mir….

Ich möchte nicht runter gehen. Stattdessen möchte ich am liebsten ewig hier auf der Cockpitbank liegen und meinen Gedanken nachhängen. Doch wer weiß wie und wann ich am kommenden Morgen geweckt werde. Wird der Hafenmeister nach meinem Schiff rufen und was dazu sagen, dass ich hier quer an den Dalben stehe? Oder will ein Segler los und ich muss Platz machen? Ich brauche einfach etwas Schlaf, das sehe ich ein und beuge mich meiner Müdigkeit und verschwinde nun doch unter Deck in meiner Koje.

Ein Ferientag in Søby

Nach nur zwei Stunden Schlaf wache ich auf. Es ist schon hell und die Sonne hat die Kimm bereits erklommen. Hätte ich Landgang, wäre ich jetzt im Hafen unterwegs und würde hier und dort wieder unzählige Fotos schießen, doch unter den gegebenen Umständen ziehe ich es vor, mich zwei weitere Stunden in meine Koje zu kuscheln. Den Schlaf kann ich durchaus gut gebrauchen. 

So langsam regt sich hier und dort was im Hafen und auf dem AIS sehe ich erste Schiffe, die ihren Liegeplatz verlassen. Der Wind hat seit der Nacht etwas zugenommen und ich hoffe darauf, so wenig wie möglich in der Boxenreihe rangieren zu müssen. Ich weiß schließlich, wie schnell Findus mir bei Hafenmanövern wegtreiben kann. Ein paar Boxen vor mir macht sich ein Segelduo klar und ich spekuliere auf ihre Box. Ein weiteres Pärchen sitzt nur eine Schiffslänge entfernt an Bord und ich rufe kurzerhand fragend rüber, ob sie mir gleich beim Anlegen behilflich sein können.

Die Box ist nun frei, ich starte den Motor und Greta steht auf dem Bug bereit, um die Vorleinen gleich schnell auf den Steg zu den Seglern rüberwerfen zu können, während Emma noch in der Koje liegt und schläft. Erst hangel ich mich von Dalben zu Dalben, doch in die Box komme ich so nicht. Findus treibt wie vermutet seitlich weg und ich muss die Reihe nach einer ungewollten Pirouette einmal komplett rausfahren, um einen erneuten Anlauf zu starten. Beim Rausfahren rufe ich den freundlichen Seglern am Steg noch kurz zu, dass ich gleich wieder komme. Beim zweiten Versuch klappt dann alles wie am Schnürchen und im Nu stehen wir fest und sicher vertäut in der Box.

Während die Mädchen mit dem SUP am Strand verschwinden und Sonne, Sand und Meer genießen, treffe ich mich mit Leo bei Arthurs.

Es ist komisch ihn in zivil zu sehen. Irgendwie fehlt sein blaues Hafenmeister Outfit und die Hansesack „Elbsegler“ Kapitänsmütze. Er erzählt auch heute wieder viele seiner alten Geschichten und ich höre ihm geduldig zu. Seine kleinen Anekdoten erzählen von Freud und Leid eines schweren Lebens und ich bin dankbar dafür, dass er sie mit mir teilt. Es ist mir in gewisser Hinsicht eine Ehre so viel über sein Leben zu erfahren und im Stillen glaube ich, dass er hier im Hafen von Søby am Ende gefunden haben muss, was ihm lange verwehrt war.

Zurück an Bord hänge ich meinen eigenen Gedanken nach. Meinen Träumen, Hoffnungen und Wünschen. Was von all dem werde ich überhaupt je erreichen können und wie viel davon dürfen? Welches Recht habe ich auf mein eigenes Leben und wie viel Verpflichtung muss ich tragen um frei zu sein? Wie viel Überleben rechtfertigt ein wahres Sein? Und wer bestimmt darüber, ob ich funktionieren muss oder mich selbst wirklich spüre? Gesellschaft, Rollen, auferlegte Zwänge. Was ist ein Leben wirklich wert und wer definiert das?

Plötzlich aus meinen Gedanken gerissen fragt meine Tochter nach der alten kleinen Plastikkinderangel mit Klammer dran, die ich vor ein paar Wochen erst aussortiert habe. Nie hätte ich gedacht, dass sie noch mal benötigt würde, doch Emma und Greta möchten nun Krebse angeln und brauchen dafür Eimer, Kescher und eben eine Kinderangel. Ich schlucke meine aufkeimende Bemerkung über das Alter der Mädchen runter und improvisiere mit Stock, Schnur und Wäscheklammer eine einfache Fangvorrichtung und lasse die beiden damit ziehen.

Zum Kochen bin ich zu faul, wie immer eigentlich. Statt guter Hausmannskost gibt es Burger und Pommes bei Arthurs und über den Tag verteilt stehen Obst und „Schnullikram“  zur Verfügung. Bordleben eben.

Noch haben wir Glück mit dem Wetter, denn die aktuelle Prognose sieht zunehmend düsterer aus. Bereits vor ein paar Tagen änderten sich die Vorhersagen mit jeder erneuten Aktualisierung. Doch wo vorher noch die Hoffnung auf trockenen und segelbaren Wind war, ist jetzt nur noch Resignation. Starkwind und Regen sind in Anmarsch und sollen auch nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.

Ich nutze die Gelegenheit heute noch mal und mache meinen Streifzug durch den Hafen. Während überall auf den Booten Gelächter und frohe Stimmen zu vernehmen sind, verschlägt es mich zunehmend weiter weg von den Cockpits und Grillplätzen mit ihren ausgelassenen Menschen. Es ist schon fast normal geworden, dass eine gewisse Form der Einsamkeit mich am Abend überkommt.

Ich möchte gern teilen, doch ich merke zunehmend, dass ich nicht wirklich kompatibel bin. Der Tag, die Stille, die Augenblicke auf See und in der Natur. All das Schöne um mich herum. Die Farben und das Licht der untergehenden Sonne. Die Wolkenformationen und die Schatten an Land. Ich nehme das alles so wahnsinnig intensiv auf und immer mehr gewinne ich den Eindruck, dass ich damit allein bin. Am Strand ist niemand und das Farbenspiel, was sich sekündlich verändert und neu zusammen fügt, wird von mir unbekannten Menschen oft nur im Vorübergehen kurz betrachtet, während ich ewig verweilen und schauen möchte. Ich verstehe nicht, warum ich so anders zu ticken scheine wie so viele andere.

In den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass diese Sehnsucht nach Licht und Farben stärker ist, wie das Zusammensein mit anderen Menschen. Diese unendliche Einsamkeit und manchmal die mit ihr einhergehende Traurigkeit übermannen mich ebenso, wenn ich bei anderen Seglern im Cockpit sitze und mich flüchtig mit ihnen unterhalte. Mir fehlt die Tiefe. Die Verbindung, die Gleichtaktung, die Gemeinsamkeit.

Am Abend, die Mädchen sind noch immer draußen unterwegs, will ich an Bord noch ein wenig Ordnung machen. Die hölzernen Bodenbretter wischen, Staub, Haare und Krümel entfernen. Mit Entsetzen stelle ich dabei fest, dass meine flache Bilge unter Wasser steht. Süßwasser. Zum Glück. Die Leitung vom Frischwassertank ist an einer Verbindung undicht. Zu leichtfertig hatte ich sie irgendwann mal eben schnell zusammen gesteckt und erst bei Benutzung der manuellen Pumpe zeigt sich, dass meine Flusigkeit Folgen hat. Noch immer mit meiner Traurigkeit kämpfend lege ich mein Schiff trocken und habe für heute eigentlich keine Lust mehr.

Es ist bereits stockdunkel und müde liege ich auf der Koje, als mir das Wetter für die nächsten Tage wieder in den Sinn kommt. Es soll regnen und wir werden den kommenden Tag auf jeden Fall noch hier in Søby bleiben. Vielleicht sollte ich die Kuchenbude aufbauen, damit wir etwas mehr Freiraum haben und weniger Feuchtigkeit ins Schiff tragen. Müde und erschöpft raffen ich mich also auf und krame in den Backskisten. Das Gestänge lässt sich dabei noch einfach zusammen stecken. Die Kuchenbude selbst macht mir schon mehr Schwierigkeiten. Die Reißverschlüsse sind leichtgängig, jedoch fehlt mir hier bereits die Kraft in der kaputten Hand sie auf Spannung gezogen zu bekommen. Die Seiten der Kuchenbude mit den Tenaxknöpfen am Boot zu befestigen gibt mir jedoch den Rest. Ich habe einfach keine Kraft in der Hand. Ich kann nicht richtig zupacken und den sperrigen Stoff in Position ziehen. Ich kämpfe gegen meine Tränen. Gegen meine Wut und Verzweiflung. Es dauert ewig, doch am Ende gelingt es mir dann doch irgendwie.

Mitten in der Nacht werde ich urplötzlich von einem tosendem Lärm geweckt. Es prasselt stark und laut mit dicken und schweren Tropfen auf Findus‘ Deck und Blitze zucken am Himmeln, so dass es durch die Fenster für Millisekunden taghell draußen erscheint und dann wieder in tiefe und dunkle Nacht verfällt. An Schlaf ist so nicht zu denken, weshalb ich mich raus ins Cockpit setze. Auch Emma und Greta kommen dazu. Ein Segen, dass ich die Kuchenbude aufgebaut bekommen habe.

Ausflug nach Ærøskøbing

Der Tag fängt nicht gut an. Ich bin unendlich müde. Es ist grau draußen und ich spüre einen aufkeimenden Druck in mir. Ich muss die Mädchen bei Laune halten und bin mir nicht sicher, wie mir das heute gelingen soll. Was kann ich ihnen hier auf der Insel bei tüben Wetter bieten? Bevor der Tag heute richtig beginnt, möchte ich mir erst einmal einen Kaffee machen und merke dabei, dass ich noch nicht ganz bei mir bin. Das Pulver gebe ich ohne Filtertüte in den Kaffeefilterhalter und wundere mich darüber, dass es unten wieder raus rieselt. Ich ärgere mich über mich selbst und über meine Kopflosigkeit und letztlich schmeckt mir der heute dann doch noch ordentlich aufgebrühte Kaffee auch nicht wirklich.

Noch schlafen die zwei und mich verschlägt es an Land. Ich brauche Bewegung. Mein Schiff ist mir gerade zu eng. Die Freiheit meines Seins ist durch meine Rolle aktuell auch hier in meiner kleinen Oase eingeschränkt. Meine Gefühle fahren Achterbahn und meine Gedanken zucken blitzschnell von einen Thema und nächsten. Ich komme nicht wirklich hinterher und Stille suche ich an diesem Morgen vergebens. Mir fehlt das morgendliche Gespräch mit Leo, die Ruhe und Gelassenheit, die kleinen Geschichten und das Vertraute. Doch das Havnekontor ist geschlossen und auch auf der „Lügenbank“ sitzt niemand.

Ich befinde mich gerade einfach in einem anderen Modus und der Druck der Verantwortung macht mir zu schaffen. Irgendwie müssen wir die Zeit hier auf der Insel füllen und das eben nicht auf der Koje liegend und am Handy spielend. Die Zeit ist zu wertvoll und ich möchte Erinnerungen schaffen. Eines Tages werden die Mädchen vielleicht an diese eine Woche zurück denken und ich möchte gern, dass sich dann die einen oder anderen Bilder in ihrem Gedächtnis formen.

Auf Ærø ist der Bus umsonst und einmal die Stunde hält er im Hafen von Søby um die Inselrundfahrt zu starten. Emma und Greta sind zwar eher mäßig begeistert, doch auch sie tun ihr bestes während wir gemeinsam durch die Altstadt von Ærøskøbing schlendern.

Ich mag die kleinen Gassen. Den Flair der bunten, alten Häuser und die davor blühenden Stockrosen. Im Sommer sind sie wunderschön anzusehen und zieren fast jedes Haus.

Ich weiss gar nicht, inwiefern oder ob es hier in Dänemark überhaupt Vorschriften und Normen wie in Deutschland gibt, doch hier ist alles so bunt und individuell. Es wirkt so positiv und fröhlich und selbst an einem grauen Tag wie heute lacht die Farbe in den Straßen. Und selbst wenn die Häuser teilweise bereits alt sind und ihnen die ehemals leuchtende Bemalung abblättert, sehen die Gemäuer zumindest in meinen Augen noch immer unheimlich schön aus.

Die Dänen setzen auf Kunst und Trödel und treffen damit genau meinen Geschmack. Ich könnte ewig stehen und gucken und staunen. Ich liebe einfach alte, längst nicht alltagstaugliche Dinge und ich liebe kreatives. Ich mag Kunsthandwerk und antike Gegenstände. Ich fühle mich ihnen irgendwie verbunden, denn sie tragen eine Geschichte in sich und beugen sich nicht dem Mainstream.

Später am Hafen bleiben die Mädchen auf dem Spielplatz zurück. Sie mögen nicht mehr laufen und ziehen es vor, alleine zu bleiben. Mir kommt das nur recht, denn auch ich sehne mich nach ein paar Kilometer nur für mich.

Vor ein paar Jahren waren wir mal mit Findus hier und irgendwie hatte ich den Hafen von Ærøskøbing größer in Erinnerung. Es ist irgendwie komisch, wie sich Wahrnehmung und Erinnerung mischen und das einst Gewesene derart verzerrt wird. Was jedoch eindeutig geblieben ist, ist die Tatsache, dass mich diese Marina einfach nicht reizt.

Ich spaziere zum Strand, einmal zu den Badehäusern und zurück, und kann auch hier den Reiz nicht für mich entdecken. Ein bisschen beneide ich die Mädels, dass sie sich diesen Weg erspart haben, auf der anderen Seite ist es gut, eine Weile allein zu sein und den Kopf ein wenig frei zu bekommen.

Zurück am Boot beginnt es zu regnen und  zarte Tropfen sammeln sich zu Perlen auf dem Dach der Kuchenbude. Ich liege auf meiner Koje und lausche dem sanften Klopfen des leichten Niederschlags, während sehnsuchtsvolle Gedanken aufkeimen und ein Hauch von Romantik mich zu überfallen droht. Ein tiefer Seufzer, irreale Träume und dann schiebe ich schnell alles wieder beiseite um im Hier und jetzt zu bleiben.

Die Mädels lassen sich unterdessen von ihrem Strandurlaub nicht abhalten und gehen trotz des Regens in der dänischen Südsee baden. Sie lachen und Gackern und haben offensichtlich ihren Spass dabei. Es freut mich, dass sie dem Ganzen trotz der Umstände etwas abgewinnen können und während sie glücklich und zufrieden im Wasser tollen, gehe ich nochmal einkaufen um den nahenden Abend zu retten.

Der Regen hat sich eingependelt und monotones Dauertropfen stellt sich an Deck ein. Wir lassen den Abend mit Muffins und Kakao bei Kartenspiel und Kniffel ausklingen.

Lagerkollar

Am nächsten Morgen regnet es noch immer. Die Luftfeuchtigkeit ist immens und die im Cockpit unter der Kuchenbude aufgehängten Badesachen und Handtücher sind noch genauso nass wie am Abend zuvor.

Auch im Schiff ist es feucht. Die Fenster sind beschlagen, die Luft unangenehm klamm und vom Mastfuss tropft Regenwasser auf den Salonboden. Sommer ist das gerade nicht und ein Blick nach draußen zeigt auch keinerlei Aussicht auf Besserung.

Wieder überkommt mich der Druck etwas bieten zu müssen. Nun ist meine Tochter doch mal dabei und dann stehen wir bei Sturm und Regen hier im Hafen und können nichts machen. Alleine würde mich das nicht stören. Lesen, Schreiben, Denken. Ich wäre beschäftigt. Doch mit zwei Teenies an Bord sieht das einfach anders aus.

Die Verantwortung ist manchmal einfach zu viel und an Tagen wie heute scheint mir alles über den Kopf wachsen zu wollen. Hier bin ich Mutter, Skipperin und Eignerin und jede dieser Rollen ist mit Funktionen besetzt. „Wann geht’s weiter?“ Höre ich die ungeduldige Stimme meiner Tochter aus dem Bug. Eine verbindliche Antwort kann ich darauf nicht geben. Das Wetter hat längst seine Beständigkeit verloren und wo noch immer unzählige Menschen den Unterschied zwischen Klima und Wetter nicht verstehen, sind die Zusammenhänge hier doch deutlich spürbar.

Es fällt einfach viel zu viel Regen in viel zu kurzer Zeit. Und es stürmt draußen oder es herrscht Flaute. Motore ich in einer Sturmpause zurück? Verdammt nein, ich habe schließlich ein Segelboot und möchte segeln. Ich möchte den Wind spüren, die Stille auf See genießen und mich tragen lassen. Doch wie kann ich das, wenn die Bedingungen mir nicht hold sind? Wieder packt mich die Verantwortung im Nacken und schnürrt an meiner Kehle. Ich muss wieder rüber in die Förde. Ich muss. Die Zeit ist nicht auf meiner Seite, die Mädchen müssen zurück und ich habe Termine.

Vielleicht können die Mädchen mit der Fähre und dem Bus zurück? Ich spiele sämtliche Möglichkeiten im Stillen durch. Ich informiere mich über Verbindungen, Zeiten und Preise und checke immer wieder die Wetteraussichten. Ich gehe raus und spaziere meine Runde durch den Hafen, nur um vollkommen durchnässt und ohne neue Erkenntnisse wieder an Bord zu kommen.

Auch die Mädchen sind immer wieder draußen unterwegs und lassen sich nass regnen. Findus hat für den Moment längst seine Gemütlichkeit verloren, denn überall hängen nasse Jacken, liegen feuchte Klamotten und Schuhe. Der Heizlüfter bläst derweil mit wärmer Luft um sich, um wenigstens einen Teil der Kleidung, wenn auch nur annähernd, wieder trocken zu bekommen und mein Gewissen versucht nach einer adäquaten Lösung zu suchen.

Morgen Nachmittag soll es ruhiger werden. Der Regen soll nachlassen und auch der Wind soll eine Atempause nehmen. Es steht also fest. Wir bleiben. Alle. Keine Fähre, keine Busverbindung. Morgen werden wir zusammen zurück in die Förde segeln. Morgen. Und heute müssen wir sehen, dass wir das Beste aus dem Rest des Tages herausholen

Müde, ausgelaugt und kraftlos koche ich für meine beiden jungen Mitseglerinnen, während ich mir nochmal einen Arthurs-Chicken-Burger mit Pommes gönne. Kalorien und Diät sind jetzt das Letzte, worauf ich Wert lege. Es gilt die Seele zu füttern, denn die ist gerade nah dran, vor lauter selbstauferlegtem Druck, Verantwortung und heimlicher Sehnsucht zu verhungern.

Zurück in die Förde

Ich wache auf und es ist noch immer grau. Doch der Regen hat aufgehört. Nur gelegentlich fallen noch dicke Tropfen von der Segelpersenning. Ich muss aufstehen und anfangen Ordnung zu machen. Das Schiff grob aufräumen, den Müll wegbringen. Alles riecht irgendwie verbraucht und unangenehm. Essensreste und Feuchtigkeit, verschwitze Kleidung und nasse Schuhe. Außerdem muss ich Diesel nachfüllen, denn mein Motor frisst aus irgendeinem Grund mehr Treibstoff wie üblich. Und die Kuchenbude, noch immer feucht, muss ich auch noch zusammen packen und verstauen. Eigentlich bin ich viel zu müde und Lust habe ich auch keine, doch es muss jetzt weitergehen. Viel zu lange hat mich das trübe Wetter in seinen monotonen Trott gezogen und nun will ich da wieder raus.

Der kreischende Ton eines Handys tönt aus dem Bug. TikTok und Co. flimmern über die kleinen Displays und meine Nerven können diese Geräusche nur noch schwer aushalten. Ein letzter Gang durch den Hafen und ein Blick nach draußen. Ja, der Wind ist weg und die Wellen größtenteils verschwunden.

Endlich bin ich wieder unterwegs, wenngleich das Grau uns noch eine Weile begleiten wird. Doch es tut gut zu segeln. Die Mädchen sind wach und nach kurzem Blick auf die neue Umgebung, zieht es sie doch wieder zurück in den Bauch des Schiffes. Ich genieße mein augenscheinliches Alleinsein im Cockpit und spüre, wie ich mich innerlich wieder etwas zusammenbaue und meine Zuversicht dabei wieder die Oberland übernimmt. Ich lebe. Ich bin.

Ein weiteres Mal umrunde ich die Nordspitze Ærøs und hoffe im Stillen, auch beim nächsten Besuch erneut mit Leo sprechen zu können. So ganz lassen mich seine Geschichten einfach nicht los. Doch es ist absehbar, dass ich bald wieder komme, weshalb ich guter Dinge bin, was ein Wiedersehen mit ihm betrifft.

Wir segeln den Lillebælt gen Süden. Der Wind ist kurz davor uns völlig wegzubrechen, doch noch geht es. Unser Ziel ist dieses Mal Høruphav und dieses Mal bin ich mir sicher, dass ich auch zu später Stunde einen Platz in einer kleinen Box finden werde. Es ist mitten in der Woche und wenn Høruphav auch unter Fördeseglern recht beliebt ist, so ist der Hafen eher an den Wochenenden überlaufen.

Hinter Gammel Pøl hat es dann keinen Sinn mehr und ich muss die Maschine anwerfen. Spiegelglatt liegt die See nun da und die Ungeduld an Bord beginnt so langsam wieder aufzukeimen. 

Ich genieße das Licht und die Farben und ein bisschen macht es mich traurig, dass ich diese Bilder nicht teilen kann. Immer wieder fehlen mir Gleichgesinnte. Menschen die schweigend verstehen, deren Tiefe fühlt, was ich fühle. Mir fehlt die Verbundenheit, die auch ohne Worte und mit nur einem Lächeln sagt „Ja, ich empfinde genau dasselbe“.

Ich akzeptiere, dass ich alleine bleibe mit meine Gedanken und Gefühlen auf See. Es stimmt einfach immer wieder, dass die Menschen eben nicht alle aus dem selben Grund segeln.

Kaum an Land verschwinden Emma und Greta und erkunden die für sie neue Umgebung. Auch ich wandere über die Stege und gucke mal hier und mal dort. Das Lachen und Erzählen aus den Cockpits stimmt mich traurig. Ich möchte auch so gern teilen. Doch es ist niemand da. Die kleinen Boote sind verweist oder Pärchen sitzen auf ihnen. Das Heck zur Reihe gibt es keine Chance in Kontakt zu treten. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das wirklich wollen würde. Als Frau alleine ist es einfach nicht vergleichbar mit einen männlichen Segler, der überwiegend allein unterwegs ist.

So sitze ich am Ende also wieder nur für mich im Cockpit meines Schiffes und beobachte das Licht der untergehenden Sonne. Tiefe orangefarbene Töne spiegeln sich vom Firmament im Wasser. Wie schön das ist.

Nicht selten frage ich mich, wieso ich so bin wie ich bin. Schon als Kind galt ich als komisch und auch heute noch höre ich oft genug, dass ich irgendwie anders sei. Ja, ich bin nicht wie die Masse. Ich sitze nicht gern rein oberflächlich mit anderen zusammen. Nicht im Cockpit und auch nicht in der Grillecke. Ich trinke keinen Aperol oder Piccolo und ich kann oft auch nicht über die Themen lachen, die bei so vielen anderen zur Beheiterung beitragen. Ich spreche nicht über Rezepte und sitze nicht strickend im Cockpit. Ich fühle mich den (mit)segelnden Frauen nicht verbunden und kann ihren Gesprächsthemen nicht folgen. Ich bin eine Einhandseglerin, die sich alles an Bord selber beigebracht hat und nicht gern auf die Hilfe anderer zurückgreift.

Ich sitze hier, diese unverkennbare Schönheit um mich herum, und höre aus der Ferne die fremden Stimmen irgendwelcher mir unbekannter Menschen. Ich habe nicht das Bedürfnis dazugehören, denn ihre Welt ist nicht die meine. Und doch fühle ich mich an diesem Abend verdammt einsam. Wie ein Alien. Allein unter Fremden. Unverstanden und ausgegrenzt.

Ja, vielleicht bin ich irgendwie komisch. Nicht falsch, aber auch nicht richtig…

Letzter Tag mit den Mädels

Der Morgen beginnt mit leichtem Nebel, doch er lichtet sich schnell und ich verlasse Høruphav zeitig. Die Mädchen möchten nach Hause und auch mein Bedarf am Boot ist gerade etwas gedeckt.

Nach ein paar Meilen unter Maschine haben wir vorübergehend doch noch mal genügend Wind, um die Segel setzen zu können. Es ist nicht viel los auf der Außenförde und schnell sind wir auch nicht. Es ist eher gemütlich und so biete ich Greta an, die Pinne zu übernehmen. Ich gebe eine kurze Einweisung, erkläre Kurse zum Wind, erläutere einfache Regeln auf dem Wasser. Ich erzähle, dass mir persönlich die Praxis das Segeln beigebracht hat, man jedoch nie ohne jegliches Wissen über Vorfahrtsregeln und Kurshaltepflicht einfach los sollte. Schnell bekommt sie ein Gefühl dafür, dass Findus mal schneller, mal langsamer wird und der Druck im Segel sich bei mehr oder weniger Wind verändert und man mit der Pinne den Kurs ausgleichen kann.

Emma schmiert derweil Brote und lässt ihre Freundin gewähren. Segeln macht ihr noch immer keinen Spaß und wenn sie nicht muss, dann hilft sie auch freiwillig an Deck nicht wirklich mit. Doch das ist ok. Meine Tochter muss meine Leidenschaft nicht teilen. Sie darf ihre eigenen Wege im Leben finden und ich freue ich mich, wenn sie mal dabei ist. Vielleicht bleibt ja doch etwas positives hängen, was in Jahrzehnten zu neuem Leben erwachen möchte.

Hier draußen bin ich zufrieden mit mir. Ich denke, ich habe Erinnerungen angelegt und mein bestes gegeben. Als Mutter, als Skipperin und Eignerin eines kleines alten Schiffes. Ich muss aufhören alles zu wollen und vor allem alles perfekt machen zu wollen. Ich bin nicht perfekt. Ich habe Ecken und Kanten. Ich bin fröhlich und traurig. Ich habe Wissen und bin unwissend. Ich habe Stärken und Schwächen, Interessen und Desinteressen. Ich bin mutig und habe Angst. Manchmal bin ich voll mit Gefühlen und manchmal auch vollkommen leer. Ich lebe, ich liebe und ich lache. Nur nicht immer und überall. Ich bin vieles. Doch am besten fühle ich mich, wenn ich einfach nur bin. Ich.

Danke

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