27. April 2025
Veränderungen

Um 6.30 Uhr verlasse ich den Hafen in Flensburg. Ich habe nur wenig geschlafen die Nacht über und bin eigentlich noch ziemlich müde. Doch ich muss nach Søby rüber. Nicht weil ich zwingend muss, sondern weil ich es dringend möchte.

Still und spiegelglatt liegt das Wasser im Hafen noch da und für einen kurzen Moment frage ich mich, ob die Entscheidung so früh los zu fahren richtig ist. Ich wollte doch segeln und nicht unter Maschine fahren. Die Windvorhersage verspricht in den frühen Morgenstunden zwar nicht viel, so doch eigentlich aber segelbaren Wind.

Ich lasse die Spiegelbilder der Gebäude am Ufer des Hafens vorerst an mir vorüber ziehen und genieße das Licht des frühen Morgens. Ich liebe es, so zeitig unterwegs zu sein und spüre in mir ein ähnliches Erwachen wie das des neuen Tages.

Hinter mir verlässt auch Svenja den Stadthafen, um zeitig die Charteryacht „Børge“ zurück zu bringen. Unsere Wege trennen sich nun wieder für unbestimmte Zeit. Doch ich weiß, wenn wir uns das nächste Mal sehen, wieder auf irgendeinem Boot, dann werden wir erneut unsere alten und neu dazu gewonnen Geschichten austauschen und darauf freue ich mich.

Draußen herrscht eine ebenso laue Flaute wie im Hafen und ich überlasse vorerst dem Autopiloten das Ruder. Den Kaffee habe ich zu Hause noch aufgebrüht und erfreue mich nun an der warmen Tasse in meiner Hand und dem heißen Schluck, der wohltuend meine Kehle hinuntergleitet.

Noch ist es recht frisch. Das Deck war eben beim Ablegen sogar noch leicht gefroren. Doch die Sonne verspricht bereits jetzt, dass dieser Tag auch mit wenig Wind ein guter Tag werden wird.

Zarte Nebelschwaden in Landnähe lichten sich nun langsam und die Sonne nimmt in ihrer Intensität beständig zu. Es ist nicht das erste Mal, dass die Förde in ihrer prallen Schönheit so vor mir liegt, doch der Anblick dessen, was meine Augen erblicken, berührt immer wieder aufs Neue mein Herz. An das täglich jungfräuliche Antlitz der Natur werde ich mich nie gewöhnen und ich möchte es auch gar nicht. Die Freude über dieses immer wiederkehrende Schauspiel fesselt mich einfach und weckt auch meine Lebensgeister immer wieder aufs Neue.

Erst kurz vor der Schwiegermutter kommt etwas Wind auf, der es mir erlaubt, endlich die Segel zu setzen und den Motor verstummen zu lassen. Es tut gut in die Stille hinein zu lauschen und meine Gedanken nun noch deutlicher zu hören. Ich mag diese leisen Selbstgespräche mit all ihren Fragen und Antworten.

Knapp 40 Seemeilen sind es bis nach Søby. Bei gutem Wind und einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von rund viereinhalb Knoten wären das neun Stunden. Bin ich langsamer und muss oben drauf auch noch kreuzen, dann bin ich entsprechend länger unterwegs. Vorm frühen Abend werde ich heute nicht ankommen.

Und wenn ich drüben bin? Was wird mich erwarten? Werde ich Leo sehen können? Wird er da sein? Nachdem was Svenja mir vor ein paar Tagen erzählte, dreht er keine Runden mehr durch den Hafen. Ihm geht es nicht gut und seine Tätigkeit als immer gut gelaunter und stets freundlicher Hafenmeister scheint nun ein Ende gefunden zu haben.

Søby ist gefühlt sowas wie meine zweite Heimat in Urlaubszeiten geworden und ich freue mich jedes aufs Neue dort einzulaufen. Im Hafen ist alles ist so vertraut und ich fühle dort wohl. Ich habe einfach das Gefühl dort richtig zu sein. Ich weiß, dass ich dort willkommen bin. Nicht nur als Gastlieger, sondern auch als Freund und eben wegen genau dieser Freundschaft muss ich heute rüber.

Die anfängliche Flaute hat sich zu gutem Segelwind entwickelt und Findus rennt einmal mehr um die Wette mit den Wellen, die jetzt beständig angerauscht kommen. Ich liebe es, wenn mein Boot so durchs Wasser springt und die Gischt sich am Rumpf bricht und zurück in die See spritzt. Diesem ewig wiederkehrenden Schauspiel kann ich stundenlang zusehen ohne das es mir langweilig wird.

Es ist nur der Lillebælt und doch fühle ich hier einen Hauch von unendlicher Freiheit. Das Land ist weit genug entfernt und erscheint zeitweilig nur als schmaler Streifen am Horizont. Durch die Erdwölbung und die nur geringe Höhe meines Bootes über der Wasseroberfläche beginnt die Kimm für mich früher wie für große Schiffe. Der Horizont beginnt so für mich früher und endet später. Allein das ist Grund genug für mich, kein größeres Boot haben zu wollen.

Es ist ein komisches Gefühl jetzt hier einzulaufen. Auch wenn mir alles so vertraut ist, so ist da heute doch diese Ungewissheit. In der ersten Reihe ist wie gewohnt alles frei und dem Südostwind entsprechend halte ich Ausschau nach einer Box, in der zu meiner Steuerbordseite bereits ein einheimisches Boot liegt. Das kleine und alte Motorboot liegt dort immer und ich weiß, dass jeden Morgen ein alter Mann vorbeikommt, um nach dem Rechten zu sehen. Hier kann ich mich im Zweifel getrost anlehnen, doch heute ist das gar nicht nötig. Wie im Schlaf belege ich die Dalben und stoppe mein Schiff so auf, dass ich mit einem Schritt auf den Steg komme und Findus im Nu fest vertäut auf Platz 27 liegt.

Und nun? Leo wird nicht kommen, das weiß ich. Der Hafen ist recht leer und sein Chef, der aktuell zum Abkassieren über die Stege geht, hat seine Runde längst beendet. Kurz zweifle ich und hardere mit mir selbst. Soll ich Leo jetzt wirklich anrufen? Steht mir das zu? Ja. Ja, es steht mir zu. Und nein, es ist nicht übergriffig. Leo ist ein Freund. Hier auf der Insel, in der dänischen Südsee, ist Leo immer für mich da gewesen und diese Verbindung gibt mir das Recht, ihn hier und jetzt persönlich, außerhalb seiner Hafenmeistertätigkeit, auf seiner privaten Nummer anzurufen.

Es dauert keine zehn Minuten und Leo ist da. Wir treffen uns im Café Arthur und ich bin froh, ihn zumindest in äußerlich guter Verfassung anzutreffen.

Leo ist der bunte Hund des Hafens. Kaum einer hier kennt ihn nicht und jeder grüßt ihn, winkt freudig rüber oder spricht ihn an. Er ist die Prominenz der Marina und ich glaube, ein wenig genießt er diesen Bekanntheitsgrad. Nachdem er jeden begrüßt und in alter Gewohnheit seine kleinen Anekdoten zum besten gegeben hat kehrt nun Ruhe ein.

Es ist schön ihn zu sehen und unser Gespräch knüpft da an, wo wir im letzten Sommer aufgehört haben. Er wechselt von deutsch zu dänisch wenn „seine Leute“ durchs Lokal huschen und übersetzt, was ich nicht verstehe. Wir sprechen über seine Krankheit, über meine aktuelle Lage und reden über längst vergangene Zeiten unserer jeweiligen Leben und deren Auswirkungen, die uns als Mensch bis in die Gegenwart gebracht haben. Nicht immer sind es schöne Erinnerungen im Leben, doch es sind Themen, über die gesprochen werden muss. Ich bin Leo unheimlich dankbar für seine Offenheit und für sein Vertrauen.

An diesem Abend fällt es mir nicht leicht zur Ruhe zu kommen. Meine Gedanken kreisen um die Veränderungen, die im Leben so plötzlich kommen und nichts mehr so sein lassen, wie es mal war. Ob ich Leo wiedersehen werde weiß ich nicht. Doch wir haben uns fürs nächste Mal verabredet. Ich werde ihn anrufen, wenn ich wieder nach Søby komme.

Alleine drehe ich meine Runde durch den Hafen. Das Licht, die Farben, die Stille. Hier ist immer wieder wunderschön und immer wieder bin ich glücklich hier sein zu können. Der erste Hafen außerhalb der Flensburger Förde wird auf ewig was Besonderes für mich sein.

Die Nacht war kurz und an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Der Himmel begrüßt mich um 4.44 Uhr in denselben Farben, in den er sich vor wenigen Stunden verabschiedet hat. Es ist verrückt, so wunderschön ist es. Blitzschnell stehe ich auf und ziehe mich an. Ich muss raus.

Der Hafen schläft noch tief und fest, doch mich zieht es raus. Ich kann und will diese Bilder nicht verpassen, die die Natur zu bieten hat. Wieder und wieder geht die Sonne hinter irgendeinem Horizont auf und wieder und wieder bin ich fasziniert von den Farben des frühen Morgens.

Von nun an wird hier dennoch alles sein. Es wird keinen Kaffee mehr auf der „Lügenbank“ vorm Hafenmeisterbüro geben. Es werden keine Geschichten mehr erzählt. Es wird nicht mehr gescherzt, gewitzelt und gelacht beim kassieren am Steg. Es wird anders. Das Leben ist im ständigen Wandel und auch ich fern festhalten möchte, was mir vertraut und wohlgesonnen ist, so muss ich diese Veränderungen doch akzeptieren.

Ich gehe durch den Hafen. Über den Strand bis hin zum Fuße der Klippe. Die dänische Südsee. Café Artur. Die Sonne, die Stege, der Sand. Alles was war und was nun ist. Erinnerungen. Traurige und schöne. Es war eine schöne Zeit und ich bin unendlich dankbar, daß alles erlebt zu haben.

Ich weiß, eines Tages werde ich Leo vermissen und ich hoffe inständig, dass dieser Tag noch in weiter Ferne bleibt. Und doch, jetzt wo hier am Strand in der leuchtend aufgehenden Sonne stehe und an all diese Dinge von gestern, heute und morgen denken, kommen mir die Tränen und ich weine um eine Gewohnheit, die es so nie wieder geben wird.

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