Das hat mit Urlaub doch irgendwie nicht mehr viel zu tun. Jeden Tag habe ich die selben leicht beängstigenden Fragen im Kopf „Kann ich morgen weiter oder ist wieder zu viel Wind? Soll ich es weiter nach Norden versuchen oder doch zurück und wie ursprünglich angedacht Richtung Småland farvandet segeln?“ Ich bin total verunsichert. Vor zwei Tagen sahen die Windprognosen nördlich von Fyn noch deutlich besser aus wie die für das Småland. Doch jetzt scheint es wieder andersherum zu sein. Fast stündlich ändern sich die Farben in den unterschiedlichen Wetterapps. Heute sagt der Däne so, morgen so. Und der Deutsche sieht es morgens ebenso und abends dann genau anders. Auch der Blick in den Himmel verrät mir nicht wirklich, was für die kommenden Tage nun das Beste sein könnte. Wo eben noch blauer Himmel war, ist zehn Minuten später plötzlich eine dicke schwarze Wolke, die ihre gesamten Wassermolekühle auf die Erde herabwirft. Und vor Regen kommt dabei meist Wind und das nicht zu wenig.
Heute scheint es grenzwertig zu werden, doch ich beschließe dennoch loszufahren. Bei Sonnenschein und blauem Himmel mache ich Findus startklar. Segel auspacken, das Fall anschäkeln, die Fender rein holen. Alle nötigen Instrumente einschalten und lose Gegenstände an Bord krängungssicher machen. Mein Ölzeug parat legen, die Navigationsapp öffnen und gucken, dass alles richtig läuft und am Ende dann den Motor starten und zügig nach vorne auf den Bug gehen, um ohne jetzt noch weiter nachzudenken direkt die Leinen loszuwerfen. Doch kaum liegen beide Vorleinen an Deck und Findus bewegt sich langsam nach achtern, bekomme ich auch schon die ersten Tropfen ab. Schnell ziehe ich mich aus der Box und fahre aus der Reihe, wo ich erstmal etwas Platz habe und ziehe mir schnell eine dünne Regenjacke über. Was habe ich denn jetzt übersehen? Kein nennenswerter Wind, der plötzlich zugenommen hat und doch Regen. Wo kam der denn nun her?
Nach fünf Minuten ist er wieder genauso schnell verschwunden, wie er gekommen ist und ich setze schnell das Großsegel. Hier im Fænøsund herrscht doch ein anderer Verkehr, wie auf der heimischen Förde. Auch heute ist das erste Reff eingebunden. Zwar bin ich noch in der Abdeckung, doch draußen sind wieder um die 20 Knoten Wind angesagt. Vorstellen kann ich mir das noch nicht, da hier gerade überhaupt kein Lüftchen weht.
Ich muss kreuzen um Richtung Lillebælt zu kommen und aufgrund des Reffs komme ich nicht hoch genug an den Wind. Es geht kaum voran und nervt ein wenig. Auf der anderen Seite wäre es schön, wenn ich jetzt einfach ganz entspannt und langsam vor mich hinsegeln könnte. Ohne Druck wegen irgendwelcher Plätze, ohne kräftemäßigem Kampf wegen des Windes und auch ohne Zeitdruck, der mich immer wieder hetzt und an meine Rolle erinnert. Ich würde so gern einfach mal vollkommen entspannen und die Gegend auf mich wirken lassen.
Landschaftlich gefällt es mir hier sehr. Das unterschiedlich saftige Grün im Kontrast zum jetzt blauen Himmel ist unheimlich anreichernd und energiespendend und die Farben des Flachwassers vor der privat geführten Insel Fænø laden förmlich ein, dort zu ankern. Ich darf nicht zu lange hinsehen, denn ich merke, wie melancholische Gedanken in mir auftauschen. Wie verbanne ich meine Träume in eine Ecke, wo sie mich nicht mehr mit Wehmut attackieren können, wenn ich einfach nur den Anblick dieser schönen Umgebung in mich aufnehmen will? All diesem Schönen haftet immer auch dieser fade Beigeschmack der Einsamkeit an. Stop!
Wieder und wieder verbanne ich diese Gedanken. Diese Tagträume und irrealen Vorstellungen. Hier und Jetzt bin ich und sonst gar nichts.
Ich merke wie mich mein Mut verlässt. Ich fühle mich leer und schwach und weiß nicht wohin mit dem Cocktail an Emotionen. Mir ist einfach alles zu viel. Das ständig durchwachsene Wetter, der fucking Wind, meine permanent quengelnde und nörgelnde Tochter, meine eigene Unsicherheit und obendrein diese durchaus schönen, aber dennoch verqueren romantischen Phantasien. Ich merke, wie ich das alles so nicht will. Meine Sehnsucht liegt anders gelagert und diese zu erfüllen liegt weit außerhalb jeglicher Realität. Ich weiß, ich sollte dankbar sein für das, was ich habe. Für alles, was ich bisher erreicht habe. Doch dieser Wermutstropfen breitet sich aus wie ein riesiger Schatten und benetzt alles Schöne mit einer tiefen Traurigkeit.
Ich komme langsam aus der Abdeckung der Insel heraus und der Wind nimmt jetzt stetig zu. Das Reff hindert mich daran den Kurs halten zu können und vor mir liegt Land. Ich müsste erneut kreuzen, um die unter Wasser liegenden Landzunge zu passieren, doch aufeinmal sind diverse Segler hinter mir. Wenn ich rüber gehe fahre ich ihnen direkt vor den Bug. Ich hätte dann Wind von Steuerbord, wäre also in der Kurshaltepflicht und hätte sozusagen Vorfahrt. Insbesondere vor den motorenden Booten, doch der Sund ist hier nur knappe 400 Meter breit und der Wind gibt jetzt ordentlich Druck in meine Segel. In weniger wie drei Minuten müsste ich erneut kreuzen und wieder allen vor den Bug fahren. Nur dann hätte ich Steuerbordbug und wäre zumindest den segelnden Booten ausweichpflichtig. Ein logischer Vorgang und doch fühle ich mich gerade irgendwie unwohl und schuldig. Hätte ich den Kurs zuvor schon anders gestalten müssen? Ohne Reff wäre es nicht zu diesem Kurs gekommen und mein Boot wäre mehr Höhe gelaufen und ohne Probleme an der Fachstelle vorbeigekommen.
Ich habe plötzlich Gefühl des Versagthabens und will nicht mehr. Ich bekomme leichte Angst, fühle mich überfordert und will hier einfach nur noch weg. Ich starte den Motor und nehme das Vorsegel rein. Vielleicht gibt sich das alles gleich wieder, wenn ich erstmal aus dieser etwas beklemnenden Situation raus bin und die Kurve im Lillebælt erreicht habe. Doch hier nimmt der Druck nochmals zu. Eigentlich wäre das richtig geiles segeln, doch meine emotionale Verfassung lässt das einfach nicht zu. Wütend auf mich selbst blicke ich mich um. Die Boote um mich herum sind mir zu schnell. Ich bekomme die Situation unter Segeln nicht schnell genug für mich einsortiert. Die Wellen sind nicht hoch, aber steil. Strom gegen Wind. Eine Situation, die ich viel zu selten habe, um routiniert mit ihr umzugehen. Resigniert lasse ich nun auch das Großsegel fallen. Ich habe versagt.
Unter Motor fahre ich weiter. Wohlwissend, dass mein Boot weitaus stabiler fahren könnte, wenn ich wenigstens einen kleinen Fetzen Fock stehen hätte. Doch auch dafür fehlt mir die Kraft. Stattdessen sitze ich im Cockpit und heule. Wie kann das angehen? Wieso segeln alle um mich herum und ich bekomme das nicht auf die Reihe? Ich hasse mich dafür. Bin wütend, weil ich alleine bin und mir keiner zur Hand geht. Bin enttäuscht von mir selbst, weil ich es doch eigentlich so sehr möchte. Niedergeschlagen und unendlich traurig fahre ich langsam in den Kolding Fjord.
Wunderschön ist es hier und bei weniger Wind gibt es hier wohl einiges zu entdecken. Und wieder fehlt mir jemand an meiner Seite, mit dem ich genau dafür jetzt und hier Pläne schmieden kann. Traurig nehme ich die Bilder in mich auf und folge der rund vier Meilen langen Betonnung bis zum Südhhafen Koldings.
Mein ältester Sohn ist segelnd vorausgefahren. Ein mutiger junger Mann, den ich in diesem Moment unendlich beneide. Er hat das selbe Schiff wie ich, ist alleine unterwegs und die gesamte Strecke unter Vollzeug gesegelt. Wie herrlich schön das aussah. Diese Polaris Drabant, wie sie konstant auf der Seite liegt und sich ihren Weg durch Wind und Welle bahnt. Ich bitte ihn via WhatsApp einen Platz im Hafen für mich frei zu halten. Ich habe noch immer Angst und mir graut davor wohlmöglich erneut zu versagen.
Im Hafen ist Platz genug und in Abdeckung der umliegenden Stadt wirkt der Wind auch nicht mehr so bedrohlich. Dennoch bin ich froh, als mein Boot endlich fest im Hafen liegt und ich den Druck des heutigen Tages langsam beim spazieren gehen aus mir raus bekomme.
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