Die Nacht war kühl und ich habe recht unruhig geschlafen. Doch der frühe Morgen tut mir gut. Er erinnert mich an den bald beginnenden Herbst und erfüllt mich in diesem Augenblick trotz trauriger Gedanken mit stiller Freude. Eine leicht diesige Feuchtigkeit und eine angenehme Frische in der Luft erwarten mich bei meinem Rundgang durch den Hafen und das Licht der aufgehenden Sonne zaubert mir einmal mehr ein dankbares Lächeln ins Gesicht.

Immer wieder ist es die Stille eines erneut anbrechenden Tages in Verbindung mit den zarten Nuancen des Lichts und der Spiegelungen meiner Umgebung im Wasser, die auch mir neue Kraft und Hoffnung für einen neuen Tag geben. Ich brauche dieses Antlitz wie die Luft zum Atmen. Erfüllt es doch mein Herz und meine Seele mit Liebe und kostbarer und positiver Energie. Was würde am Ende bleiben, wenn dieses natürliche Elixier nur noch abgelöst wird von erzwungener und kontrolliert fokussierter Ruhe und so einzug in mein Leben halten soll, damit ich lediglich normgerecht funktioniere, anstatt wirklich im tiefen Inneren zu leben?

Ich genieße das morgendliche Ambiente. Und doch schieben sich kleine Gedankenfetzen der Wermut hinzu. So gern ich es auch möchte, so gern ich weiter will, den Duft der See riechen, das salzige Nass der überkommenden Gisch auf meiner Haut spüren mag und meinen Blick, auf das Blau der Ferne gerichtet, nicht abwenden will, so genau weiß ich doch, dass sowohl mein Boot als auch ich in diesem Sommer nicht wirklich frei sind.

Der mit Pocken übersähte Rumpf meines Schiffes und meine persönliche und sich rasant verändernde Welt hindern mich aktuell daran, meiner Sehnsucht auch nur in kleinen Schritten folgen zu können. Mir fehlt es an Selbstvertrauen und Mut. Ein bisschen Sicherheit und mentale Unterstützung von außen als Bestätigung für mein emotionales Sein. Ich selbst fehle mir und mir fehlt mein Boot.

Dabei bin ich doch hier. Ich bin an Bord meines kleinen Schiffes, im Hafen von Faaborg und erlebe diesen wunderschönen Sonnenaufgang, den ich so zu Hause in meiner Wohnung nie sehen könnte. Ich bin gleichzeitig frei und bin es doch nicht. Ich bin eben nicht allein und unabhängig. Zwar bin ich hier und jetzt und doch bin ich gerade unzufrieden. Und doch fehlt etwas in mir.

Mir fehlt die verbundene Seele, mit der ich teilen kann, was mich so tief berührt. Die mich beim Anblick dessen, was ich hier an Bord sehe und erlebe, und auf See empfinde, auch ohne Worte verstehen kann. Mir fehlt das Gefühl im Einklang zu sein. Im Einklang mit mir selbst und auch im Einklang mit meinem Boot.

Mir ist, als sei meine Welt aus den Fugen geraten und der Takt meines Selbst passt nicht mehr zur Frequenz des Orchesters welches mich begleitet. Die Stimmen in mir singen ihr Lied gerade nicht in ausgewogener Harmonie und die schrillen und nicht zu mir passenden Töne reißen mich aus meiner vertrauten Umlaufbahn. Ich möchte weg und weiß doch nicht wohin.

Mit dem Segeln hat es so in Findus‘ Zustand keinen Sinn. Mein Schiff ist noch immer viel zu langsam und seine Reaktionen sind zögerlich und zäh. Es ist nicht nur ein unbefriedigendes Gefühl so auf See zu sein, es macht mir auch Angst bei den Manövern. Angst nicht reagieren zu können, wenn es drauf ankommt. Und machtlos, da ich keine Kontrolle über mein Schiff habe.

Mein Entschluss steht fest. Ich werde diesen Törn abbrechen. Ich werde zurück fahren und der Plan sieht vor, für eine Woche über den Landweg nach Schweden zu fahren. So verspüre ich immerhin ein wenig Vorfreude in der Traurigkeit meinen Törn vorzeitig zu beenden.

Es fiel mir nicht leicht, diese Entscheidung zu treffen. Mein Herz möchte auf See sein. Ich träume von dem, was ich in den Jahren zuvor erleben durfte. Ich sehne mich nach den Orten, an denen ich war und auch nach denen, die ich noch nicht kenne. Ich sehne mich nach der Weite des Meeres und nach dem Gefühl, was mich an Bord die letzten Jahre begleitete.

Es fühlt sich fast wie Verrat an meinem Boot an, dass ich nun umkehren und es im Stich lassen will. Nur weil ich Findus nicht angemessen gepflegt habe, kann ich nun nicht segeln und meinem Boot sein Element zusprechen. Stattdessen lasse ich Findus im Stich. Ich werde ihn allein zurück lassen. Angebunden in seiner Box.

Ich glaube, man könnte schon sagen, dass Findus und ich in einer Art Krise stecken. Eigentlich ist es lediglich meine eigene Sinneskrise, doch sie geht unwillkürlich auf mein Boot über. Denn wenn ich nicht funktioniere, dann kann es Findus auch nicht. Mein Schiff ist darauf angewiesen, dass ich mich ausgiebig um es kümmere und letztlich kümmere ich mich damit schließlich auch um mich selbst. Ohne dass ich Findus Gutes tue, kann Findus auch für mich nichts Gutes tun.

Ich bin zur Zeit mental einfach nicht gut aufgestellt und mein Selbst fordert aktuell diverse Opfer. Es herrscht viel Unruhe im Außen und diese im Inneren abzuwehren und eben nicht erneut Einzug in mein Leben zu gewähren, kostet mich einiges an Kraft und Energie. Vielleicht ist es ganz gut, etwas auf Abstand zu gehen und mich und meine Gefühle erneut zu finden.

„Das Wollen muss man bisweilen durch die Abwesenheit des Gewollten spüren „. So oder ähnlich hat das mal jemand zu mir gesagt und es stimmt wohl. Wie wichtig ist mir mein Boot und wie wichtig bin ich mir selbst? Vielleicht braucht es wirklich eine Pause.

Die Entscheidung ist also gefallen und auch wenn es sich dennoch leicht nach Verrat anfühlt, so werde ich dennoch hier abbrechen und zurück nach Flensburg fahren. Das Wetter spielt ohnehin verrückt und auch ohne mein gesamtes Paket, was ich aktuell mit mir rum schleppe, macht ein weiter segeln wenig Sinn. Ich höre auch von anderen Seiten, dass der diesjährige Segelurlaub aufgrund von Wind und Wetter nicht so zielführend verläuft, wie er gewünscht ist.

Ich gehe eine letzte Runde über die Stege und bringe meine Hafenkarte zum Automaten. „Das war’s dann wohl“. Vorbei die Träume. Vorbei die Ziele, Wünsche und Hoffnungen in diesem Jahr. Abschied, wenn er auch noch so gering ist, tut weh wenn ihm keine Erfüllung zu Grunde liegt.

Ich bin traurig.

Um halb neun verlasse ich den Hafen von Faaborg. Nicht mal die dänische Südsee war in diesem Jahr wirklich drin und das Weiteste, was ich geschafft habe, war nur hier. Ein Tagestörn entfernt vom Heimathafen.

Mein Motor röhrt im monotonen Takt vor sich hin, während ich langsam aus der Reihe fahre und noch nicht mal den Hauch eines Windzuges spüre. Die See liegt still und spiegelglatt da und durch meinen Kopf schwirren unzählige und nicht zu bändigende Gedanken.

Da sind Erinnerungen an die vergangenen Jahre. An zehn Saisons, in denen Findus nun mein Begleiter ist. An gemeinsame Stunden mit ehemaligen Freunden und Bekannten, sowie jenen, die bis heute noch immer an meiner Seite sind. Unzäglige Geschichten, Situationen und Gefühle werden wach, während Wehmut und Traurigkeit mich überkommen. Mein Glück und meine Traurigkeit, gepaart mit einem Schmunzeln im Gesicht und gleichzeitig leisen Tränen, die still seufzend über meine Wangen laufen.

Die dänische Südsee mit ihrer landschaftlichen Lieblichkeit, der Store- und Lillebælt mit ihrem tiefen Blau. Das Kattegatt und das Smålandfarvandet, so scheinbar unendlich weit. Die farbenfrohen Sonnenauf- und untergänge. Das gelegentliche Inselhopping und die langen Meilentörns. Dänemark und Schweden mit ihrer traumhaften Landschaft. Der von Svenja geprägte Begriff vom „Sprung über den Atlantik“ nach Ærø. Meine persönlicher Heimathafen Søby und natürlich Leo. Svenja, Mark und die Kinder. Sønderborg. Høruphav. Findus und seine ewigen Baustellen. Ganz am Anfang Hark und die Kneifbändsel auf der Greta vom Museumshafen, Ich als „die Frau mit den zwei Booten“. Björn mit seiner Capella als Inspiration. Die Fahrten Rund Fyn und die Häfen Middelfart, Kerteminde und Nyborg. Der Svendborgsund, Rudkøbing und Marstal mit Torben. Polaris Drabant Klubben. Toby und Tobias und Jakob und Britta. Vordingborg, Øresund, Höganäs. Lövstaviken. Unsere Nachtfahrt nach Anholt und weiter nach Grenå. Tunø, Samsø, Juelsminde. All die unzähligen Bilder und Eindrücke. Die Gespräche, die Menschen, die Orte. Carsten, Felix, Wilfried und Sabbelpeter im Heimathafen. Der SBF See und Funkkurs. Kran- und Sliptermine und die vielen Atbeiten an Bord.

Mein Schiff hat mir so viel gegeben. Mich ermutigt und mich getragen. Mir ein Zuhause gegeben und mich gestärkt. Findus ist mein Ruhepol und mein Anker. Meine Heimat und mein Sein.

Ich habe nicht nur mein Schiff das letzte Jahr über vernachlässigt, sondern auch mich selbst. Die unliebsamen Früchte dieses Handelns ernte ich nun. Und ich lerne daraus. Dieses Jahr ist seglerisch nicht zu retten und wenn ich an die letzten Jahre anknüpfen möchte, so muss ich dafür Sorge tragen, dass Findus wieder der Alte wird. Erst dann, wird mein Schiff mir wieder geben können, was ich so sehr brauche.













Ich bin zurück auf der Förde und mein Motor rattert noch immer. Am Ende sind es über neun Stunden und ich habe in dieser Zeit mit niemandem gesprochen. Kein Gedankenaustausch, kein neuer Input und auch keine neuen Erinnerung, auf die ich in den künftigen Jahren zurückblicken kann. Ich kann meine Gedanken nur für mich behalten oder sie niederschreiben. Ich mag es allein zu sein, doch ab und an überkommt mich diese quälende Einsamkeit.


Morgendliches Hafen hoping
Es fühlt sich an, als wäre etwas beendet, was noch gar nicht wirklich beginnen konnte.
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