Es ist noch früh am Morgen und verschlafen liege ich in meiner Koje. Draußen pfeift und pustet es kräftig und mein Schiff schaukelt bei jeder Böe leicht hin und her. Für diesen Hafen hier ist das eher ungewöhnlich, denn vor Wind und Schwell ist er eigentlich recht gut geschützt.

Während der Hafen noch tief und fest schläft und ich dem Gesang des Windes lausche, stelle ich mir bereits die Frage, ob ich heute wirklich weiter möchte. Wie viel Zeit bleibt mir? Wie wird das Wetter in den nächsten Tagen? Am Freitag muss ich arbeiten und entsprechend zurück sein. Heute ist jedoch erst Montag und man könnte meinen, dass die etwas über 50 Meilen zurück nach Flensburg doch easy zu bewältigen sein sollten. Doch ich bin mir bei dem Geräusch da draußen nicht so ganz sicher. Sollte heute nicht viel weniger Wind sein?

Ich checke die Wetterapps, gehe den Wind und die Strömung durch, achte auf die Wellenvorhersage, wäge ab und überlege hin und her. Morgen wird es nicht wirklich besser werden und übermorgen wird laut Superforcast der schlimmste Tag der Woche. Eigentlich muss ich heute weiter.

Unsicher gehe ich zur Mole der Hafeneinfahrt und Blicke nach draußen. Vorm Hafen liegt Torø Rev. Ein ausgedehntes Flach, was es schwierig macht, einen realistischen Überblick zu gewinnen. Hier brechen sich die Wellen ohnehin im Niedrigbereich und peitschen ihre Gischt in die Höhe. Unentschlossen warte ich ab. Nur worauf? Weniger Wind wird es nicht werden. Und los muss ich auch.

Stunden später pfeift der Wind noch immer und ein Blick auf meinen Windmesser zeigt in Spitzen 25 Knoten. Was für ein Scheiß. Erst am späten Nachmittag kann ich mich aufraffen und in einer kurzen Phase der relativen Ruhe reffe ich mein Großsegel und bereite alles vor, um im nächsten Moment abzulegen. Jetzt oder nie. Und nie geht nunmal nicht.

Schon öfters bin ich hier raus gefahren und weiß, dass die Dünung am Ende des Revs abnimmt. Das Springen und Schaukeln, Rollen und Stampfen an der Grenze zum Flach sollte nicht ewig währen und mit achterlichem Wind sollte es im Anschluss irgendwie gehen in Richtung dänische Südsee zu gelangen. Ich weiß schließlich, dass mein Schiff das kann. Und ich kann das auch.

Die Wellen haben Zeit sich von nordost aufzubauen und erreichen laut Wetterapp etwas über einen Meter im Mittel. Bedrohlich rollen sie herbei und gleiten unter Findus hindurch. Ich kann es nicht wirklich abschätzen, doch auf mich wirken sie weit höher wie angesagt. Wie war das noch, wann erreichen sie eine Höhe, die mein Boot umwerfen kann? Findus rollt hin und her und liegt mit dem Rumpf für kurze Zeit bis zur Scheuerleiste im Wasser. Bei Krängung beim Am Windkurs ist das was ganz anderes und macht Spaß. Konstant und stabil ist es dann. Doch hier schwankt mein Boot hin und her. Ein Spielball, wie eine winzige Nussschale auf dem Meer. Die Pinne fest in der Hand, steuere ich jede Welle aus und versuche mein Schiff auf Kurs zu halten. Das Rev ist längst vorbei, doch die Dünung verändert ihre Stärke nicht. Oder vielleicht doch?


Es ist, wie Kalle einst sagte; jede siebte Welle ist höher wie alle anderen. Und sie kommen im Doppelpack. Manche brechen bevor sie uns erreichen, doch andere erwischen uns und rauschen, kurz nachdem ich ihnen wie Auge um Auge auf dem Wellenkamm geblickt habe, unter meinen Schiff hindurch und lassen Findus für einen kurzen Moment auf der Seite liegen, bevor mein Boot sich wieder wie ein Stehaufmännchen aufrichtet und wankend einpendelt. Hier spüre ich deutlich, wie leicht mein Schiff mit seinen dann doch nur drei Tonnen ist und das ein größeres und vorallem schwereres Schiff jetzt besser den Gegebenheiten trotzen könnte.

Das ganze Szenario ist mir zwar in der Tat alleine etwas zu viel, aber es hilft ja nun nichts. Da muss ich jetzt durch. Unterwegs ist in augenscheinlicher Entfernung und via AIS jetzt keiner mehr und bevor ich Gefahr laufe, mich von meinen Gedanken in die Angst führen zu lassen, mache einmal mehr meinen bluetooth Lautsprecher an und drehe die Lautstärke voll auf. Singen hilft und schon bald habe ich mich an die Intensität meiner Umgebung gewöhnt und singe lauthals mit, während Findus die Wellen abreitet. Nur hin und wieder unterbreche ich meinen schrägen Gesang, wenn ich mit den Wellen und meinem Boot spreche.

Und sprechen muss ich, denn ich gehöre eher zu jenen Menschen, die, wenngleich auch anfangs noch schüchtern, gern reden und eine Meinung haben. Insbesondere allein auf See spreche ich deshalb mit Findus. Ich frage mein Boot um Rat, erzähle ihm Geschichten und bitte es um Hilfe. Findus hört mir zu. Und manchmal antwortet er sogar. Doch auch der Wind und die Wellen sind hier draußen meine ständigen Begleiter. Manchmal sind sie zu doll und ich bitte sie, einen Gang runter zu schrauben. Oder ich rufe nach ihnen, weil sie mir fehlen. Und nicht selten frage ich mich, ob ich noch ganz richtig im Kopf sein kann, hier draußen im Nichts eine vermeintlich menschliche Kommunikation zu betreiben.


Kurz vorm Ziel, nun im Schutze der Insel Ærø, beruhigt sich die See. Auch präsentiert sich die Sonne jetzt in einem traumhaften Licht. In mir steigt mehr und mehr dieses wunderschöne Glücksgefühl empor. Ich bin hier. Ich habe es geschafft. Ich habe meine Angst überwunden und mir selbst meinen Mut bewiesen. Ich bin an meine Grenzen gegangen und habe sie leicht überschritten. Ein Schritt in die richtige Richtung. Ich bin.

Der Hafen ist gut besucht. Von weitem schon sehe ich durchs Fernglas die unzähligen Masten und habe wie immer leichte Sorge, ich könnte keine Box mehr finden. Doch ich kenne Søby und weiß, für kleine Boote findet sich hier immer was. Die wenigsten Schiffe passen in die schmalen Boxen zur Landseite in der ersten Reihe. Eine kurze Nachfrage bei Freunden im Hafen bestätigt meine Annahme und mit der Gewissheit eine für Findus optimal passende Box zu bekommen bereite ich alles für das Anlegen vor.

Als Einhandsegler lege ich mir in Sachen Anleger grundsätzlich einen Plan zurecht. Sollte dieser, aus welchen Gründen auch immer, nicht umsetzbar sein, reagiere ich auf die gegebenen Umstände. Doch ziehe ich mein Ding durch und lasse mich nicht beirren. So auch heute. Ich halte mich Backbord in der Boxenreihe, als mir freundliche Menschen verbal signalisieren, dass neben ihnen, von mir aus gesehen an Backbord, noch was frei ist. Meinen Blick jedoch star auf mein Ziel gerichtet, nämlich die Boxen an Steuerbord, vermeide ich es, mich umzudrehen und die hilfsbereiten Segler anzusehen. Ich rufe stattdessen nur mit starrem Blick nach vorn gerichtet zu ihnen rüber, dass ich bei Misserfolg gern auf ihr Angebot zurückkommen werde.

Es mag hochnäsig oder arrogant erscheinen, dass nettgemeinte Hilfsangebot, mit keinem Blick gewürdigt, auszuschlagen, doch ein kleiner Augenblick der Unaufmerksamkeit reicht oft aus, den gesamten Anlegeprozess zu verhauen und somit unnötig in Schwierigkeiten zu geraten. Das möchte ich vermeiden. Also liebe Mitmenschen, verurteilt einen Einhandsegler nicht wegen seiner auf euch ignorant wirkenden Reaktionen. Es ist wie im wirklichen Leben. Manchmal muss man sich nunmal voll und ganz auf sich selbst und seine Handlung konzentrieren, um zu sich selbst und an sein Ziel zu gelangen. Mit euch anderen da draußen hat das aber rein gar nichts zu tun. Nein, im Gegenteil, ich weiß eure Hilfe sehr zu schätzen und hoffe ihr werdet nicht müde, diese auch weiterhin in eurem Angebot parat zu halten.

Auch diesen Abend lasse ich wieder in netter Gesellschaft ausklingen. Gemeinsame Gespräche über den wilden Ritt von Assens nach Søby am heutigen Tage, über den Wind und die Wellen und ein spartanisches, jedoch leckeres Abendessen an Bord der Windrose geben mir ein Wir-Gefühl im Hafen, von dem ich mir hin und wieder mehr wünsche.

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