8. Mai 2024
Begleitung

Viel Wind ist heute nicht angesagt. Im Gegenteil, es soll, wenn überhaupt, dann nur ein laues Lüftchen wehen. Doch das ist mir egal. Es ist Vorsaison und da mache ich mir wenig Sorgen, spät am Abend keinen Platz mehr im Hafen zu finden.

Irgendwann am Vormittag verlasse ich den Hafen von Høruphav und setze voller Enthusiasmus die Segel. Ich möchte segeln. Jetzt, wo ich vollkommen unabhängig bin, zu nichts außer mir selbst verpflichtet, möchte ich den ganzen Tag so verbringen, wie es mir gefällt und wie es mir gut tut. Doch hier in der Bucht vorm Hafen rolle ich das Vorsegel direkt wieder rein. Null Knoten Wind bringen mich nicht wirklich voran und das lange und gemächliche Dümpeln hebe ich mir lieber für den kleinen Belt auf. Doch bevor ich meinen Kurs Richtung offene Ostsee setze, steuere ich direkt auf einen „alten Freund“ zu. Der Kalkgrund. Der Leuchtturm inmitten des Eingangs zur Flensburger Förde ist für mich sowas wie ein Wegweiser meiner persönlichen Freiheit. Denn sobald ich ihn passiert habe, bin wirklich bei mir selbst angekommen.

So wie auch jetzt. Den Blick nach vorn gerichtet, geht es langsam aber beständig voran ins Offene. Vor mir der Horizont. In Teilen zumindest. Ich weiß, was eigentlich vor mir liegt, kenne die Geografie in dieser Gegend, doch für einige Zeit sehe ich kein Land und ergebe mich der Illusion der vollkommenen Freiheit. Der Gedanke ist einfach schön und während die Realität mich vielleicht nie wirklich dort hin segeln lässt, wo ich so gern wäre, erschließen sich hier in meiner Fantasie unzählige und wunderbare Wege.

Ich genieße den Moment und erfreue mich am Hier und Jetzt. Ich bin dankbar dafür, dass ich mir selbst die Möglichkeit geschaffen habe, hier auf See sein zu können und ich bete dafür, dass sich niemals etwas zwischen mein Boot und mich stellen wird, was dort nicht hingehört.

Findus bedeutet mir einfach unendlich viel. Dieses kleine und mittlerweile 45 Jahre alte Boot in seiner schlichten Einfachheit ist genau das, was mir dabei hilft, mein Leben so zu gestalten, dass Glück und Liebe mich auch dann erfüllen, wenn ich glaube in tiefster Dunkelheit gefangen nicht mehr weiter zu kommen.

Mit durchnittlich 2,5 Knoten trägt mein Schiff mich durchs Wasser. Der Wind ist dabei gerade so viel, dass der leichte Druck in den Segeln nicht abreißt und sie nicht zu Schlackern beginnen. Hier auf dem Lillebælt ist kaum etwas los und nur in weiter Distanz sehe ich hier und dort mal einen Segler, dessen weißes Tuch in der Ferne ihn ebenso langsam voran bringt.

Es ist verdammt schön hier zu sein und in mir drin fügt sich wieder alles so, wie es mich glücklich und zufrieden stimmt. Das Gleichgewicht ist wieder hergestellt und ich bin dankbar dafür, mein Leben wieder in dieser Positivität zu spüren. Ich genieße jeden Augenblick und egal wohin ich auch sehe, die Schönheit um mich herum erfüllt mich mit unendlich viel Liebe.

Urplötzlich werde ich aus meinen Träumen und Gedanken gerissen. Ein Schweinswal taucht neben mir auf und pustet eine kleine Fontäne aus seinem Atemloch. Ich erschrecke mich jedes Mal, wenn einer von ihnen wie aus dem Nichts auf einmal auftaucht und genauso schnell wieder in der Tiefe der See verschwindet wie er gekommen ist.

Doch dieser Junge Freud hier ist anders und hat unendlich viel Ausdauer. Ich frage mich, ob er nur spielen möchte oder ob ich vielleicht in sein Revier eingedrungen bin und er es nun verteidigt. Ewig schwimmt er vor und hinter mir. Taucht hier und da auf und pustet sein Atemloch frei. Kurzzeitig kommt ein zweiter Schweinswal hinzu und gemeinsam jagen sie um mein Boot herum. Als wollten sie mich einkreisen scheint es mir fast.

Der zweite ist allerdings nur kurz dabei, doch der eine gibt alles. Vor meinem Bug, unter meinem Schiff hindurch und auf der anderen Seite ein kurzes Auftauchen. Er schwimmt von rechts nach links und taucht kurz in die dunklen Tiefen unter mir, um ebenso so schnell wieder aufzutauchen und zu pusten. Es ist ein wahnsinniges Schauspiel und ich wünschte, ich könnte mit ihm unterhalten. Ich rede ja mit ihm, stelle ihm Fragen, die ich selbst beantworte und erzähle ihm was ich denke.

Er schwimmt teilweise so dicht, dass ich hoffe ihn nicht zu „überfahren“. Doch er kommt jedes Mal zurück, legt sich im Wasser auf die Seite und scheint mich mit seinem seitlichen Auge lächelnd anzusehen, bevor er wieder blitzschnell die Richtung ändert. Immer wieder drücke ich auf den Auslöser meiner Kamera im Handy, doch er ist so schnell, dass es mir nur schwer gelingt, brauchbare und erkennbare Bilder zu erzielen.

Irgendwann sind wir uns beide unausgesprochen einig, dass es nun genug ist. Mir wird barfuß langsam kalt auf dem im Sonnenschatten liegenden Vorderdeck und ich möchte zurück ins Cockpit und mich aufwärmen. Auch der Schweinswal hat nun genug und verlässt mich nach rund vierzig Minuten, um in der dunklen See ins für mich Unbekannte zu verschwinden.

Ich bin wieder allein, doch mein kleiner Freund lässt mich nicht nur mit einem Lächeln, sondern auch einer gehörigen Portion Respekt zurück. Das hier ist sein Lebensraum. Ihm gehört das Meer, in dem er sich wie schwerelos fortbewegt und lebt. Ich mache es mir nur zu Eigen, indem ich mit meinem Boot als Hilfsmittel in seine Welt eindringe. So rücksichtsvoll ich auch versuche zu leben, auch ich kann mich nicht freisprechen von einem klaren Part an Egoismus, den ich nutze, um meinen eigenen emotionalen Vorteil daraus zu ziehen.

Ærøs Nordspitze liegt nun querab und ich sehe noch einmal nach Norden und ebenso nach Süden. Hier auf dem Lillebælt ist nichts mehr los. Ich bin augenscheinlich mal wieder die einige weit und breit, die hier noch unterwegs zu sein scheint.

Ich liebe diesen Anblick. Kein Land, was mich komplett einschließt, sondern den Blick zum blauen Horizont frei gibt. Ich weiß nicht warum, doch dieses Bild sprengt meine inneren Mauern. Es gleicht einem Gefühl von zu Hause sein. Geborgen und gleichzeitig frei.

Ich passiere Skjoldnæs und die dänische Südsee liegt nun vor mir. Es ist schön hier. Und auch wenn meine Träume eigentlich ganz andere sind, so freue ich mich dennoch hier sein zu können. Mittlerweile weiß ich nämlich, dass es ist nicht selbstverständlich ist was ich hier mache.

Ich bin alleine unterwegs, Einhand auf eigenem Kiel. Mein Boot und ich sind ein eingespieltes Team und allein die Vorstellung zu zweit auf Törn zu gehen, bereitet mir leichtes Unbehagen. Nein, ich bin froh darüber meine eigenen Entscheidung zu treffen, in meinem eigenen Tempo unterwegs zu sein und mich nicht anpassen oder Kompromisse machen zu müssen. Einfach spontan sein und meinen eigenen Bedürfnissen Rechnung tragen. Die eigene Angst überwinden, meinen Gedanken freien Lauf lassen und vor allem ich selbst zu sein.

Ja, ich genieße diese intensive Zeit und spüre neben dem Leben auch mich selbst, was nur durch das Alleinsein, und ohne jegliche Einflüsse, in dieser Form für mich möglich ist. Kein Druck, keine Erwartungen, keine Rollen. Und ja, ich bin auch ein bisschen stolz auf mich. Denn was ich für völlig normal halte, nämlich einhand unterwegs zu sein, scheint für Außenstehende nicht immer selbstverständlich. Erst kürzlich zeigte sich dies wieder in den staunenden Blicken meines Gegenübers, was in wiederum ein positives und anerkennendes Gefühl auslöst.

Nur manchmal verspüre ich den starken Wunsch die Bilder, die mir auf meinem Weg begegnen, die Gedanken und Gefühle die aufkommen, teilen zu wollen. Dann fehlt mir ein wenig diese eine vertraute Seele, die mich auch ohne Worte versteht….

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