26. Dezember 2021
Christmas 2021

Mit Weihnachten habe ich persönlich nicht ganz so viel am Hut. Es gehört eben dazu und irgendwie muss man sich da ja ein Stück weit fügen und anpassen. Habe ich getan. Heute ist dann dafür mein Weihnachten und das brauche ich für mich.

Schnee und Minusgrade haben die Stege im Hafen in den letzten Tagen in gefährliche Rutschbahnen verwandelt und auf und von Bord zu kommen, ist nicht immer ganz angenehm. Immer dabei ist auch die Angst zu stützen und ins eisig kalte Wasser zu fallen oder sich erneut den Arm zu brechen. Nein, fallen möchte ich nicht noch einmal. Das habe ich von vor dreieinhalb Jahren noch zu gut im Gedächtnis.

Dennoch war ich über die Tage immer mal wieder beim Boot. Weihnachten ist schließlich das „Fest der Liebe“ und da kann und ich will ich nicht den ganzen Tag ohne Findus sein.

Von Schnee und Eis grob befreit blieb dennoch die letzten Nächte die Sorge um den Motor. Ein Stegnachbar hat seinen zwei Tage zuvor extra noch eingewintert. Doch ich möchte wieder los, sobald die wenigen Frosttage vorbei sind und laut Vorhersage wird es vorerst nur drei oder vier Tage so richtig kalt mit Minusgraden um die acht bis neun Grad. Nein, Harry einwintern lohnt sich nicht wirklich.

Per Modem und App überwache ich stattdessen die Temperatur im Boot und starte zur Not die Heizung aus der Ferne übers Handy. Manchmal ist so ein bisschen Spielkram ja doch auch praktisch.

Bei null Grad Lufttemperatur verlasse ich heute am zweiten Weihnachtsfeiertag also für ein paar Stunden den Hafen. Findus ist immer noch hier und da mit Eis überzogen und die Schoten lassen sich ebenso wenig bewegen wie die Festmacher, die ich im gefroren Zustand kaum von der Klampe am Steg bekommen habe. Vollkommen steif liegen sie heute auf den Vordeck, statt aufgeschossen am Bugkorb zu hängen.

Ich habe Glück mit meinem Heimathafen. Hier strömt das acht Grad warme Wasser aus einer in der Nähe ansässigen Papierfabrik und der Brauerei direkt in die Hafenspitze und an den Booten vorbei, sodass die Boxen kaum zufrieren. Andere Marinas im Flensburger Hafen haben da weniger Glück.

Auf dem Wasser treiben kleine Eisschollen und am Ostufer bedeckt eine leichte Eisschicht den Rand des Hafens. Es knistert und bricht beim vorbei Fahren.

Doch nein, Findus spielt nicht Eisbrecher. Wie das Unterwasserschiff aussehen kann, wenn man durchs Eis mit einem GFK Boot fährt, habe ich vor ein paar Jahren mal gesehen. Das möchte ich Findus nicht zumuten.

Wir halten uns dennoch ans Rechtsfahrgebot und ich bestaune das Eis. Draußen auf der Förde erinnert dann nur noch Findus‘ Deck daran, dass es Winter und verdammt kalt ist.

Das Eis an Deck will einfach nicht tauen. Und auch an den Schoten hält es sich hartnäckig, was ein Wenden des Segels zu einer interessanten Angelegenheit macht. Doch Wind ist ohnehin keiner und ich treibe mehr, als das ich segle.

Die Förde ist leer. Nur Lille Bjørn ist irgendwo hinter mir. Findus’ kleiner Bruder ist das einzig weitere Schiff, was heute unter Segeln draußen ist. Doch Lille Bjørn und Findus passen auseinander auf, da muss ich mir keine Sorgen machen.

Und genau deshalb gönne ich mir den Luxus, mitten auf dem Wasser, bei vollkommener Flaute, einfach abzuschalten. Mein Boot treibt vor sich hin, ich lehne mich zurück und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Ich resümiere. Mein Segeljahr, meine privaten Hoch- und Tiefflüge und die vergangenen Tage.

Und ich komme wieder zu diesem einen Ergebnis: Was für ein verdämmtes Glück ich doch habe. Denn auch wenn das eine oder andere nicht so in meinem Leben läuft, wie ich es gern hätte und auch wenn hier und da mein Herz schwer wird und ich meine Sehnsucht oft nur schlecht im Zaum halten kann, so ist das, was ich mit meinem kleinen Schiff zu erleben vermag, einfach alles Gold der Welt wert!

Bei diesem Gedanken laufen mir unwillkürlich ein paar Tränen über die Wange und ich bin mir gar nicht sicher, ob die dem gelten, was ich so sehr misse, oder doch dem, was ich wunderbares erleben darf.

Dieser Emotionscocktail ist mir seit langem bewusst. Das Traurige und Melancholische steht nicht selten direkt an der Seite des vollkommenen Glücks. Beide Seiten gehören zueinander und werden wohl nie für sich stehen. Sie sind Teil meines Selbst und ich liebe diese beiden Seiten, die jede für sich so viel Energie und Schönheit mit sich bringt.

Ich werfe einen letzten Blick auf die Förde. Stille. Ich möchte es nicht, doch die Vernunft siegt. Wie leider viel zu oft. Der Kopf regiert über das Herz. Ich nehme die Segel runter und starte den Motor.

Es gibt Dinge, die werden im Leben niemals vorbei sein. So sehr man auch versucht sie zu unterdrücken, sie nicht an sich heran zu lassen, sie sind dennoch da und sie werden bleiben. Immer. Und manchmal ist das auch gut so. Denn was niemals gehen wird, nennt sich am Ende Liebe.

Dieses Jahr neigt sich dem Ende. Es ist mein fünftes Jahr mit Findus. Fünf Sommer durfte ich jetzt schon segeln und mich für eine gewisse Zeit auf dem Wasser wohl fühlen. Ist die Zeit wirklich so schnell vergangen? Ich habe dieses Schiff doch gerade erst übernommen. Ich lerne doch immer noch täglich so viel dazu.

In diesem Jahr war es mein Törn rund Fyn, mit Abstecher in die dänische Südsee, den ich überwiegend Einhand gemacht habe, während meine Tochter unter Deck die wertvolle Segelzeit inklusive Hafenmanöver lieber verschlafen hat.

Zurück im Hafen begrüßen mich als erstes wieder kleine und dünne Eisschollen. Dieses Mal auf der Westseite. Auch hier sind die Marinas zugefroren und die Boote halten ihren Winterschlaf.

Ich fahre einen kleinen Schlenker direkt am Eis entlang. Es sieht wunderschön aus. So glatt und in der Sonne schimmernd. Es ist ein Anblick, der äußerst selten ist. Vielleicht aber auch zum Glück, denn sonst wären mein Boot und ich früher oder später wahrscheinlich auch gefangen in Findus‘ Box. Nein, Schnee und Eis gehören an Land, nicht auf’s Wasser. Nur den Möwen scheint dies egal zu sein.

Zurück am Liegeplatz mache ich es mir gemütlich. Draußen ist es jetzt dunkel und kalt, doch im Salon ist es warm und behaglich. Ich mache das Radio an und lasse Musik aus den Achtzigerjahren laufen, während ich mich in meinem kleinen Wohnzimmer wieder meinen Millionen Gedanken hingebe.

Frohe Weihnachten Findus.

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