8. April 2023
Ein Hauch von Sommer

Was für ein herrlicher Morgen. Draußen ist es still. Nur die Vögel zwitschern und ich kann ihre Lieder leise durch das geschlossene Steckschott hören. Der Hafen ist noch leer. So menschenleer, dass weder Stimmen, noch irgendein Klappern oder Motorengeräusche früh startender Segler zu hören sind und die Stille mit ihren Aktivitäten durchbrechen. Ich liege auf meiner Koje und genieße diese Zeit. Ich lausche, schließe die Augen und bin zufrieden. Es ist einfach so verdammt schön hier zu sein.

Die Wetteraussichten für die kommende Woche sind allerdings nicht unbedingt rosig. Der Wind wird in zwei Tagen auffrischen und sich laut aktueller Vorhersage mindestens vier Tage in einem Bereich befinden, in dem ich mit Sicherheit nicht auf dem Wasser sein möchte und schon gar mit meinem kleinen Boot. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten, wie ich meinen kurzen Törn weiter gestalte. A. Ich segle heute in die dänische Südsee und lege dort aufgrund des Windes mehrere Hafentage ein und demselben Hafen ein, oder B. Ich bleibe in der Nähe und kann binnen eines Tages zurück Richtung Heimathafen segeln. Mein Herz spricht ganz klar für die Südsee, doch mein Verstand rät mir zum Festland und damit zur Nähe nach Hause. Ein weiteres Argument gegen die Südsee und somit für eine kurze Distanz ist meine Tochter, die die Tage lieber zu Hause mit Freundinnen verbringen wollte. Es ist das erste Mal, sie ein paar Tage am Stück allein zu lassen und ich möchte schnell zurück sein können, falls sie mich widererwarten doch brauchen sollte. Muttergedanken eben.

Ich entscheide mich heute für die Dyvig und lasse mir Zeit mit allem. Der Weg durch den Als ist nicht weit, es ist zwar wenig Wind, doch die Saison ist noch so jung, dass ich mir mit Sicherheit auch am Abend noch einen der vielen freien Plätze aussuchen kann. Ich habe also Zeit. Endlich mal so richtig Zeit. Nur für mich. Ganz in Ruhe stehe ich also auf, frühstücke etwas und bereite alles an Bord vor, bevor ich den Hafen von Høruphav verlasse.

Den spärlichen Wind direkt von achtern hisse ich nur das Großsegel. Das erste Reff vom Vortag löse ich und lasse mich jetzt langsam mit nur zwei Knoten von meinem 15qm Segel vorwärts tragen. Ruhig segle ich so dahin, bis nicht weit vom Hafen plötzlich etwas hinter mir pustet. Ich weiß sofort was es ist, was die geräuschlose Stille jäh durchbricht und doch zucke ich kurz zusammen, bevor ich in Windeseile nach meinem Handy greife.

Eine kleine Herde Schweinswale begleitet mich. Vor mir, hinter mir, seitlich vom Boot tauchen sie auf und pusten in sekundenschnelle Wasser aus ihrem Atemloch, bevor sie direkt wieder untertauchen. Sie sehen so friedlich aus. In ihrem Gesicht zeigt sich so etwas wie ein dauerhaftes Grinsen und es liegt wohl in der menschlichen Natur dieses als freundlich zu interpretieren. Immer wieder tauchen sie auf und schwimmen neben mir her, um blitzschnell einen Haken unter Wasser zu schlagen und erneut in der Tiefe zu verschwinden. So süß ich sie auch finde und die Vorstellung, sie könnten diese kurze Begleifahrt als Spiel empfinden, mir ein Lächeln ins zaubert, kommt mir doch der Gedanke, dass sie es durchaus nicht ganz so gut finden könnten, wenn Segler ihre Gebiete durchfahren. Ist ihr kurzes Geleit am Ende nicht vielleicht eine Art Verteidigung? Beschützen sie ihr aktuelles Zuhause? Ihre Jungtiere, ihre Brutstätten? Diesen Gedanken im Kopf bin ich froh, als sie nach fünfzehn Minuten von mir und meinem Boot ablassen und hinter mir zurückbleiben.

Pünktlich zur Blückenöffnung erreiche ich den Stadthafen von Sønderborg und muss lediglich fünf Minuten auf freie Durchfahrt warten. Nur wenige weitere Boote folgen mir und ebenso wenige wollen von Norden durch. Hatte ich schön erwähnt, dass ich den frühen Anfang der Saison mag? Es ist einfach überall wenig los und ich persönlich finde es so schöner und vorallem entspannter.

Der spärliche Wind kommt jetzt leicht seitlich und es lohnt sich den Alssund unter voller Besegelung zu durchsegeln. Nicht schnell, auch hier wieder eher gemütlich. Ich gehöre nicht zu denen, die immer alles geben müssen und jeden noch so kleinen Knoten an Geschwindigkeit heraus holen müssen. Ich lasse mich auch gern mal treiben. Lasse mittlerweile geschehen, was geschieht. Natur und Landschaft liegen noch in winterlichem Grau da, doch die Kraft der Sonne wird in den nächsten Tagen die Farben in ihnen zu neuem Leben erwecken. So ähnlich wie auch in mir alte Farben nach einer dunklen Durststrecke neu erwacht sind.

An der Abzweigung zum Alsfjord hin schläft der Wind komplett ein. Ich stehe. Gegen langsames segeln habe ich heute nichts, doch auf der Stelle zu stehen macht auch mir jetzt keinen Spaß mehr. Ich starte schweren Herzens die Maschine, rolle die Genua ein und lasse das Fall des Großsegels hinabsausen, wie ich auf einmal erneut das Pusten eines Schweinswales höre. Ich halte inne und hoffe dieses mal, mit lauten Motorengeräuschen, schnell durch ihr Gebiet durch zu sein. Der Gedanke sie zu stören behagt mir einfach nicht und in der Tat folgen sie mir zum Glück nur kurz.

Ich bin kurz vor dem Ziel. Die Dyvig liegt vor mir. Im Sommer fürchterlich überlaufen, sind heute lediglich drei weitere Segler in Sicht, die sich auf drei Häfen aufteilen werden. Vielleicht ist es der Aussicht auf freie Platzwahl geschuldet, vielleicht liegt es aber auch an meiner inneren Einstellung, denn ich freue mich auf den Hafen.

Es ist nicht wie sonst. Wollte ich die letzten Jahre meine Zeit lieber segelnd auf dem Wasser verbringen, so freue ich mich jetzt im Hafen anzukommen. Ich freue mich auf die Zeit für mich, auf meine Unabhängigkeit und die Möglichkeit auch im Hafen nur für mich sein zu können. Keine Rücksicht nehmen zu müssen, nicht kochen zu müssen und keine Verantwortung für andere zu tragen. So lieb ich meine Kinder auch habe, bin ich doch froh, dass nun auch meine Jüngste alt genug ist und ich mir diesen Luxus des wirklichen und echten Alleinseins gönnen kann. Eine tiefe Zufriedenheit stellt sich dabei ein und ich bin einfach nur glücklich.

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