2. Juli 2022
Erstmal los

Die vergangenen Tage war das Wetter traumhaft schön. Sonne satt und Temperaturen, wie sie im Sommer üblich sind. Die letzten Arbeitstage vor meinem diesjährigen großen Sommertörn zogen sich endlos und ich beneide jene, die bereits die Chance haben seit Tagen unterwegs sein zu können und nicht aufgrund Schulpflichter Kinder und somit auf die Schulferien angewiesen sind. Ist dies doch ein Garant für wesentlich leerere Häfen und weitaus selbstständiges Sein.

Bei weit über 20°C hieß es die letzten Tage bunkern was das Zeug hält. Essen, Trinken, Kleidung. Süßigkeiten, Seekarten und Persönliches. Findus ist mal wieder bis in den letzten Winkel und bis in die kleinste Ritze vollgestopft mit allem was nötig und möglich ist. Nötig für mich und meine verträumten Ziele und möglich für die Annehmlichkeiten meiner Tochter.

Favorisierte ich dabei das Prinzip „weniger ist mehr“ und bin froh allem Überflüssigen den Rücken kehren zu können, so scheint bei meiner pubertierenden Tochter das Gegenteil hoch im Kurs zu stehen. Tränen fließen während sie bereits nach wenigen Meilen verkündet, dass der Urlaub für sie gelaufen sei, da das überlebenswichtige Glätteisen für ihre Haare den Weg an Bord verfehlt hat und nun die nächsten Wochen unbenutzt zu Hause in der Schublade verweilen wird, während sie nicht mal top gestylte Selfies machen kann. Sie ist wütend und redet mal wieder nicht mehr mit mir und wenn sie es ausversehen doch tut, dann ernte ich lediglich Vorwürfe und Beleidigungen und bekomme klar von ihr zu spüren, dass sie weder Lust hat mit ihrer kleinen Familie zu segeln, noch in irgendeiner Weise bereit ist mitzuhelfen oder das Beste aus der Situation zu machen. Als Mutter stellt sich dabei ein Gefühl des Versagens ein und ich versuche genau das nicht zu sehr an mich heran zu lassen.

Meine beiden Jungs fahren zusammen auf Lille Bjørn. Familienurlaub wieder einmal anders. Jeder für sich und doch gemeinsam. Ich freue mich auf diese Zeit. Bietet diese Variante für jeden Einzelnen doch mehr individuelle Rückzugsmöglichkeiten auf den beiden kleinen Booten, als wären wir gemeinsam auf etwas Größerem unterwegs. Eigene Erfahrungen, Selbstständigkeit und ein größerer Spielraum des persönlichen Seins tragen so zu mehr Zufriedenheit bei und schaffen gleichzeitig die Möglichkeit auf gemeinsame Erinnerungen.

Bis zur Schwiegermutter läuft Findus unter Maschine. Ich möchte vorwärts kommen und meinen ersten Tag auf See nicht mit dem ewig gleichen Bild der Flensburger Innenförde vertun. Wohin die Reise uns heute bringen wird weiß ich noch nicht. Das Wetter ist unbeständig und immer wieder beginnt es für kurze Zeiten zu nieseln. Wichtigstes Ziel ist vorrangig heute durch die Kong Christian X’s Bro bei Sønderborg zu kommen, da diese in den kommenden Tagen weges der Tour de France nicht öffnet und es in der Region nicht nur voll werden wird, sondern auch die Möglichkeit zur Weiterfahrt verhindert.

In Absprache mit Lille Bjørn werden wir spontan entscheiden, wo der heutige Törn  endet. Vielleicht wird es ein kleiner Steg im Alssund oder eine der dort ausliegenden Ankerbojen. Dyvig und Mjels bieten sich ebebso an, auch sie als eigentliches Ziel nicht auf unserer Favoritenliste stehen. Vielleicht lassen wir die Boote auch einfach laufen bis wir selbst nicht können.

Den ruhigen und fast windstillen Sund hinter uns gelassen setze ich im Alsfjord zusätzlich zur Maschine das Vorsegel. Der Wind weht jetzt frisch mit um die 16 Knoten, jedoch kommt er direkt von vorn. Es ist bereits nach 20 Uhr und kreuzen möchte ich jetzt nicht mehr. Noch immer wissen wir nicht, in welchem Hafen wir wirklich festmachen werden, doch der Abendhimmel verspricht bereits jetzt ein malerisches Bild zu zaubern und es wäre schon fast Sünde, ihm nicht bei diesem Schauspiel zu begleiten, weshalb wir nun beschließen, dass unser Zielhafen an diesem Abend Assens werden soll.

Nördlich von Alsen nehmen die Wellen nochmal deutlich zu und schubsen Findus gut voran. Auch wenn sie laut DMI nur einen halben Meter im Mittel messen, so ist mir doch ein wenig mulmig dabei zumute. In die Nacht hinein und im Dunkeln über den kleinen Belt zu segeln ist ohnehin eine neue Herausforderung, doch ich bin bereit, sie anzunehmen.

Vier weitere Stunden werde ich nun auf See sein. Vier weitere Stunden nahezu allein der Stille lauschen können. Es ist traumhaft schön und ich liebe diesen Anblick. Sonnenauf- und untergänge auf See sind für mich mit ihren Farben und der sich permant verändernden Optik eines der schönsten Naturerlebnisse, die unsere Welt zu bieten hat. Ich lasse den Autopiloten steuern, lehne mich zurück und genieße.

Meine anfängliche Unsicherheit verflüchtigt sich und ich beobachte die heranrauschenden Wogen, wie sie sich immer weiter meinem Boot nähern. Einige brechen bevor sie uns erreichen. Andere rauschen schäumend unter Findus hindurch und führen ihren Weg in den Weiten der See fort.

Hier draußen allein sein zu können fühlt sich unendlich gut an und für den Moment bin ich froh, dass auch meine Tochter nicht mit mir sprechen will. Sie liegt derweil lieber mit Kopfhörern in der Koje und guckt in ihr Handy. Was soll’s, mehr wie anbieten kann ich ihr diese wunderbare Schönheit nicht. Zugreifen muss schon jeder für sich.

Die Nacht bricht an und der eben noch in feuerfarben erleuchtete Himmel wechselt nun sein Antlitz. Es wird immer dunkler und schon bald ist es stockfinster um mich herum. Weit entfernt kann ich Lille Bjørns Lichter ausmachen, doch das kleine Schiff ansich kann ich wenn überhaupt nur schemenhaft erkennen. Ehrfürchtig Blicke ich in die Dunkelheit. Es ist schon etwas verrückt, was ich hier mache.

Vor mir blinckt es grün. Hier beginnt das Fahrwasser vor Assens. Ich halte mich daran und möchte nicht durch die vorgelegen Flachwasser fahren. Zu riskant kommt es mir vor. Nicht zwingend aufgrund der Düngung, eher wegen der Gefahr unbemerkt in Fischernetze zu geraten. Die digitale Seekarte zeigt mir meine Position, doch in der Dunkelheit wirkt alles viel weiter weg. Wo um Himmels willen ist denn nun die grünblinkende Lateraltonne, die ich schon so lange in meinem Blickfeld habe? Und wo um alles in der Welt ist die dazu gehörige aber unbeleuchtete rote Tonne? Ein winziger Hauch von Angst, mit ihr kollidieren zu können, mischt sich in meine Gedanken und nur mit meinem Suchscheinwerfer kann ihr reflektierendes Rot ausmachen.

Die letzten Meter vorm Hafen sind die schlimmsten. Die rollenden Wassermassen kommen nun von der Seite und Findus bewegt sich in ihrem Takt hin und her. Für einen kurzen Moment fühle ich mich der Situation nicht gewachsen und stelle für sekunden mein Unterfangen selbst in Frage. Es macht eben doch einen Unterschied, ob man allein oder mit einem gleichwertigen Partner, nicht zu verwechseln mit einer Beziehung, einem Lebenspartner oder einer Liebschaft, unterwegs ist. Zumindest in dieser Situation wünsche ich mir gerade einen guten Freund und gleichzeitig erfahrenen Segler, der mich unterstützt und der einfach da ist, um im norfall eingreifen und handeln zu können. Die Lichter der Stadt verwirren mich und es fällt mir schwer, mich auf die Seezeichen der Hafeneinfahrt zu konzentrieren.

Der zuvor leicht nachgelassene Wind nimmt pünktlich im Hafen wieder zu und meine Windmessanzeige steigt stetig. 13,14,15,16 Knoten Wind sind es jetzt im Vorhafen. Ich bin verunsichert und denke nur noch „Scheiße!“ Wie soll ich das nur schaffen? Allein im Dunkeln und dann der Wind, der sich in der Nacht irgendwie viel stärker anfühlt wie an Tag. Mein Handy klingelt. Die Jungs sind bereits fest und haben einen Platz für mich ausgemacht. Mit Lichtzeichen dirigieren sie mich zum Steg und helfen mir beim Anlegen. Ich bin irre stolz auf die beiden. Kurz nach Mitternacht, nach fast 50 Meilen und knapp zehn Stunden bin ich fest und kann es kaum fassen. Was für ein Wahnsinn.

Die Nacht war kurz, der Abend zuvor anstrengend. Auch heute ist es pustig draußen und ich möchte nicht weiter und teile damit auch die Meinung meines verantwortlichen Sohnes auf Lille Bjørn. Es ist Urlaub und auch wenn ich mein Ziel, die schwedischen Westschären, nicht erreichen sollte, so birgt das Segeln und das Ankommen in Gasthäfen doch bereits ein einmaliges Ambiente und einfach ein schönes Gefühl, welches ich nie mehr missen möchte. Ich lasse den Tag also ohne Stress laufen und versuche auch so, ohne weitere Gedanken, ganz nah bei mir sein.

2 Kommentare

  1. Was ein erlebnisreiche Auftakt in den Sommertörn 2022. Was man alles an nur einem Tag erlebt, so viel Schönheit, Höhen und Tiefen. Das macht es doch auch iwie aus. Weiterhin fiar Wind!

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  2. Mal wieder ganz toll geschrieben und das Ganze zeigt doch, dass es sich lohnt, egal wie viel Widrigkeiten einem in den Weg geworfen werfen!

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