25. Juni 2023
Findus hat Geburtstag

Sieben Jahre ist es mittlerweile her, da saß ich im Bistro neben der Steganlage, den Blick ungläubig auf den Hafen gerichtet und unterschrieb mit feuchten und zittrigen Händen den mit krakeliger Handschrift vom Voreigner verfassten Kaufvertrag für Findus. Glauben konnte ich damals kaum was geschah. Alles wirkte so verdammt surreal und ich hätte fast meinen können, mich in einem unwirklichen und irgendwie schwebenden Zustand zu befinden. Ich war wie betäubt und fühlte mich nicht wirklich im Hier und Jetzt anwesend. Saß ich etwa tatsächlich hier am Tisch mit einem Fremden und wir tauschten mein mühselig angespartes Geld gegen sein altes und vernachlässigtes Boot und besiegelten dieses Geschäft mit unseren gegenseitigen Unterschriften auf diesem chaotisch geschrieben Vertrag? Vielleicht war es nur eine vage Fantasie? Eine Illusion? Der verbliebene Teil eines nächtlichen Traums, von dem man beim Erwachen nicht sicher ist, ob man seine Gedanken sortiert bekommt oder doch noch schläft.

Was ich da damals tat, kam mir jedenfalls fernab von allem vor, was mein bisheriges Leben zu der Zeit darstellte. Konnte das überhaupt die Wirklichkeit sein? Sollte dieser Tag, dieser Moment damals im Bistro, mein Leben von da an in vollkommen neue Bahnen lenken? Da waren zu jenem Zeitpunkt zum Einen meine desolate und aus verschiedenen Gründen vollkommen unglückliche Ehe, die letztlich von vornherein auf sandigem Fundament gegründet und im Nachhinein bereits zu Beginn zum Scheitern verurteilt war. Da waren auch unsere drei Kinder im Alter zwischen sieben und fünfszehn und das Haus mit Garten in einer spießigen Kleinstadt im Speckgürtel Hamburgs. Ich führte all die Jahre ein Leben, von dem ich glaubte, ich müsse es so leben. Einfach weil meine Konditionierung von frühester Kindheit, aber insbesondere auch als Frau es so vorgab. So wie viele andere Frauen und Mütter es auch taten und um mich herum noch immer tun, machte ich lediglich das, was ein Außen von mir erwartete und hatte mich selbst lange Jahre vergessen.

Auf der anderen Seite jedoch war da mein eigenes kleines Leben, was ich selbst bis dahin überhaupt nicht mehr kannte. Wer war ich eigentlich? Was machte mich aus? Was wollte ich? Einer sich im tiefsten Inneren gut anfühlenden Inspiration folgend war ein winziger Funke meines verschütteten Selbst entflammt und mein Wunsch zu leben, meine persönliche Vergangenheit zu bearbeiten und neu zu beginnen gewann immer mehr an Bedeutung. Ich ahnte damals, da gibt es noch mehr als das, was ich bis dahin Leben nannte.

Da saß ich also am 25. Juni 2016, dem Tag der Seefahrer übrigens, und hatte mit nicht der geringsten Ahnung ein altes GFK Boot aus den siebzigern gekauft. Ich hatte bis dahin keinerlei Erfahrung und keine Idee vom Segeln. Das einige was ich hatte waren meine verschwommen und frühen Kindheitserinnerungen an eine Zeit, die ich mit meinen Eltern auf einen Containerschiff zwischen Ostsee und Biskaya verbracht hatte und die ich lange Zeit aufgrund seelischer Verletzungen nicht an mich heranlassen konnte. Und ich hatte Vertrauen. Vertrauen in jenen Menschen, der mir mit seiner Liebe zur See und zu seinem eigenen Schiff als Inspiration diente und in mir unbewusst den nötigen Mut entfachte das hier zu tun.

Was für ein irreales Gefühl das damals war. Was für ein abenteuerliches Unterfangen. Was für eine überaus verrückte Idee, die mich in ein ganz neues Leben katapultierte. Ich stand im wahrsten Sinne neben mir und alles kam mir irgendwie gedämpft vor. Die Menschen im Raum, ihre Stimmen, die ganze Situation. Ich betrachtete alles was geschah wie durch einen akustischen und virtuellen Nebel.

Es war ein trüber Tag damals. Die Stege waren Menschenleer, die Boote verweist und der Himmel öffnete unentwegt seine Pforten. Dichter Regen prasselte herab und ein unscheinbares Pärchen verließ schlendernd den Nachbarsteg durch das metallende Gittertor und zog Hand in Hand mit jeweils einen roten und einem grünen Regenschirm in der freien Hand von dannen. Immer wieder muss ich heute noch lächeln, wenn ich an dieses Bild zurückdenke. Wie Steuerbord und Backbord verließen sie den Hafen und ich habe ihnen lächelnd noch so lange nachgeschaut, bis sie hinter dem dichten Regenschleier im Grau des Tages verschwanden. Während ihres verschwinden aus meinem Blickfeld war ich plötzlich zum Eigner einer kleiner Yacht geworden. Ich besaß nun ein Boot und das Ausmaß an Ereignissen, was in den kommenden Jahren folgen sollte, konnte ich zu der Zeit nicht mal erahnen.

Dieser Tag vor sieben Jahren hat nicht nur Findus‘ künftige Weichen gestellt, sondern auch mein Leben hat sich von da an drastisch und grundlegend verändert. So vieles ist seitdem geschehen, was ohne mein Boot niemals in mein Leben getreten wäre. Endlich hatte ich die nötige Kraft zur Trennung und anschließenden Scheidung, hatte den Mut mein Leben in die eigene Hand zu nehmen und samt meiner drei Kinder in das 200 Kilometer entfernte Flensburg zu ziehen. Ich wollte nahe bei meinem Schiff sein. Weit entfernt von den Erinnerungen an ein Leben, was mir die Luft zum Atmen geraubt hatte. Doch auch die ersten Jahre in meiner selbst gewählten neuen Heimat waren hart und mein Neustart geprägt von schmerzhaften Enttäuschungen. Selbstzweifel, Ängste und Depressionen, bis hin zu leichten Panikattacken zogen ein in meinen Alltag und hier und da war es sogar der Alkohol in dem ich versuchte meinen Kummer zu ertränken. Findus verurteilte mich nicht dafür und gab mir von Anfang immer wieder den nötigen Halt, wenn ich dabei war, mich selbst erneut zu vergessen. Mein Schiff hörte mir zu, wenn ich über Dinge sprechen musste, die sonst keiner hören wollte und es gab und gibt mir noch immer, das Gefühl wirklich zu Hause zu sein. Findus ist meine Zuflucht, meine Liebe, mein Zuhause. Findus ist Lehrmeister und Wohlfühloase und es bedeutet Ankommen und Sein.

Schritt für Schritt fand ich im Laufe der Zeit doch neue Freunde und Bekannte. Tolle Menschen, oft mit ähnlichen Geschichten, ähnlicher Liebe zur See und Spaß oder Freude am Segeln und der Natur. Menschen mit denen ich lachen und weinen kann, mit denen anregende und kritische Gespräche möglich sind und die in meinen vermeintlichen Schwächen gar meine wahre Stärke erkennen. Ohne meinen Mut wären diese wunderbaren Menschen nie Teil meines Lebens geworden und heute bin ich so froh, dass es euch gibt.

Doch das, was ich mit Findus da draußen erleben darf, dort, wo ich bevorzugt 360 Grad um mich herum, nichts als Horizont sehe, wo mein Herz endlich seine innere Gelassenheit und ein Ankommen in mir selbst spürt, das ist das Eigentliche, wo ich wirklich sein möchte. Da, wo ich einfach nur bin und wo mich niemand in eine Schublade steckt und ich nicht funktionieren, sondern schlicht sein kann. Wo ich eins bin mit mir und meinen Emotionen und auch mit allem, was mich umgibt. Da draußen habe ich meine Liebe zum Alleinsein wieder entdeckt, auch wenn ich mich dabei so manches Mal in Einsamkeit verliere. Ich habe geweint vor Glück, aber manchmal auch aus Traurigkeit und ich war nicht selten unsicher, ob das was ich tue auch richtig ist. Als Mutter. Als Skipper. Als Mensch. Ein ewiger Spagat begleitet mich noch immer, doch in Momenten in denen die Gischt an Findus‘ Bug empor spritzt und mein Schiff durchs Wasser rauscht weiß ich, wo ich hingehöre und das Gefühl unendlichen Glücks durchströmt jede Faser meines Seins. Es war so verdammt richtig, diesen improvisierten Vertrag vor sieben zu unterschreiben und meinen Weg genau so zu gehen, wie ich ihn die letzten Jahre gegangen bin.

Ich habe mein Schiff aus seinem Dämmerzustand befreit und überwiegend mit meinen eigenen Händen zu dem gemacht, was es heute ist. Ich habe gebastelt und gemalt, gepachtelt und geschraubt, habe mich mit Elektrik, Technik und Mechanik auseinander gesetzt und auch wenn der größte Teil dessen wieder in den Tiefen der Unkenntnis verschwunden ist, so weiß ich doch, ich könnte es wieder hervorkramen. Ich habe Findus für meine ganz eigenen Bedürfnisse hergerichtet und mir so mein kleines und ganz persönliches Paradies geschaffen. Im Gegenzug dafür, dass mein Schiff nach vierzig Jahren in neuem Glanz erstrahlt, hat es mir geholfen, das Beste aus mir selbst herauszuholen. Ohne Findus, und sicherlich auch ohne die Hilfe und wohlwollenden Ratschläge von guten Freunden und Bekannten, wäre ich heute nicht hier an diesem Punkt in meinem Leben.

Ich bin dankbar und dieser Dank gebührt allen, die mir je mit ihrer mentalen, emotionalen und physischen Anwesenheit zur Seite standen und es zum Großteil noch immer tun. Ich liebe euch alle. Und ich liebe dich, mein Findus!

Die Reise geht weiter, mit jedem Tag und mit jedem kleinen und größeren Törn und mit jeder neuen Erfahrung….

1 Kommentar

  1. Wow! Was für eine Liebeserklärung!

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