4. Juni 2023
Fragen ohne Antworten

Wie kann ich es meiner Umwelt nur begreiflich machen? Muss ich das überhaupt? Muss ich es wirklich begründen und mich erklären dafür, dass es mir gut geht? Das ich Leben in mir spüre und mich mit allen Sinnen rundum wohl und in meinem inneren Kern angekommen fühle? Das ich ausgeglichen und zufrieden bin? Die Antwort ist eigentlich Nein. Denn ich muss mich nicht rechtfertigen dafür, dass ich gern allein unterwegs bin und mir selbst ein Maß an Liebe schenke. Und doch wirft mein im Augenblick selbstgewähltes und so kostbares Alleinsein ungeklärte Fragen in mir auf.

Fragen bezüglich meiner persönlichen Freiheit und Verantwortung. Fragen zum Thema Muttersein und den damit verbundenen Pflichten als auch Rechten. Fragen in Sachen zwischenmenschlicher Beziehungen und letztlich auch Fragen zu mir und meinem Leben. Ich mag diese Art von Fragen und wo, wenn nicht ungestört an Bord meines kleines Schiffes, auf See oder wie heute wieder nur auf den Gefilden der Flensburger Förde, habe ich die Möglichkeit, mich so ausführlich mit mir und meinen Gedanken zu beschäftigen? Mich intensiv auseinanderzusetzen mit den Fragen meines Lebens und meines Seins? Hier an Bord und in aller Stille habe ich den Kopf frei und kann meine Gedanken vertiefen und wie Pingpong-Bälle hin und her springen lassen.

Der Wind weht mäßig und nur langsam komme ich voran. Finde ich es hin und wieder auch extrem müßig, die rund zehn Meilen der Innenförde bei Ostwind hoch zu kreuzen, so genieße ich heute jede noch so zeitintensive Meile. Ich bin unterwegs, egal wie schnell oder egal wie weit ich heute komme. Vor ein paar Stunden noch war ich unsicher, ob ich überhaupt los fahren soll. Die mir permanent auferlegte Mutterrolle quält mich zuweilen doch recht stark und ich habe Schwierigkeiten mit der Richtigkeit der Abgrenzung zu meinem eigenen Ich. Immer wieder stehe ich der 100%igen und alleinigen Verantwortung gegenüber, die mich nicht selten ratlos mit und um die Sorgen einer Heranwachsenden an den Rand meiner persönlichen Grenzen bringt. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich auf einer ewigen Gratwanderung zwischen Rolle und Selbst befinde und mir der Erfahrungsaustausch mit anderen alleinerziehenden und vorallem segelnden Müttern, insbesondere von Heranwachsenden, fehlt. 

Doch was ist es nun eigentlich? Was hat es auf sich mit dem, was es mit mir macht, wenn ich insbesondere allein an Bord bin? Allein segle. Ohne das es von Nöten wäre, verspüre ich nämlich doch das Bedürfnis, diese Frage wenigstens für mich selbst zu ergründen und festzuhalten. Immer wieder stoße ich in Gesprächen auf ein ungläubiges: „Aber zu zweit wäre es doch bestimmt viel schöner, oder?“ Jein.

In erster Linie fühle ich mich einfach wohl auf dem Wasser. Das sanfte Schaukeln an Bord ist wie ein liebevolles Getragenwerden, wie ein Ankommen im wahren Zuhause. Vielleicht liegt es irgendwo, wie so vieles was einem im Laufe des Älterwerdens begegnet, in der frühen Kindheit begründet. In einer Zeit, wo ich selbst klein war und mein Zuhause, zumindest zeitweise, zwischen Nord- und Ostsee und bis runter in die Biskaya lag. In einer Zeit, wo ich nichts sein musste, wo ich keine Rolle innehatte, keine Erwartungen erfüllen musste und mir auch keinerlei Verantwortung oblag und ich nur ein zufriedenes und ausgeglichenes Kind war. Wissbegierig auf die Welt und umsorgt von Seeleuten unterschiedlicher Nationen im Schoße eines Containerschiffes. Vielleicht komme ich deshalb auf Findus bei mir selbst an, weil ich mir hier ein Stück Zuhause zurückerobert habe. Weil ich mir die Möglichkeit geschaffen habe, ein Stück meiner sorglosen Kindheit zurück zu holen. Findus ist für mich soetwas wie eine Brücke. Eine Brücke von meiner Kindheit zu meinem erwachsen Sein, über die ich heute jederzeit zwischen den Welten von Damals bis zum Jetzt switchen kann.

Mein Schiff gibt mir Geborgenheit. Doch nicht nur das. Es bietet mir auch jede Menge Abenteuer, neue Erfahrungen und die Möglichkeit unbekanntes zu entdecken. Gleichzeitig dient es mir als Rückzugsort und schenkt mir Ruhe und Stille in einer Welt, die vor lauter Lärm nicht selten zu zerbersten droht. Es spendet Trost und gibt mir Hoffnung. Es trägt mich sicher, Meile um Meile und akzeptiert stoisch meine Launen. Findus hört mir zu, egal was ich zu sage habe. Ob laut oder leise, ob überschwenglich vor Glück oder mit schweren Tränen und weinend vor Traurigkeit. Mein Schiff ist mein Wohnzimmer, mein Schlafraum, meine Küche. Hier habe ich alles, was ich brauche. Materiell und emotional und jeder Vergleich mit anderen oder gar größeren Booten, mögen sie auch noch so schön, komfortabel oder luxuriös sein, ist in der Lage, meiner Liebe zu Findus etwas anhaben zu können. Mein Gefühl gibt mir einfach recht und meine Entscheidung liegt ganz klar auf meiner kleinen Polaris Drabant 26 mit der Segelnummer 252.

Sind es oft auch nur kurze Törns und im Verhältnis zu meiner wahren Sehnsucht viel zu wenige Stunden, die ich auf dem Wasser zubringen kann, so sind es doch auch diese immer wieder kehrenden Momente auf See, die mein Herz öffnen und mir neuen Mut verleihen. Mut, ein ganz klein wenig größer zu träumen, gepaart mit der Hoffnung, diese Träume eines Tages Realität werden zu lassen. Eine geträumte Wirklichkeit, die noch nicht die meine ist, deren Ansätze ich jedoch bereits kennenlernen durfte und die mir für den Moment wieder und wieder Kraft und Energie im Heute für jeden neuen Tag gibt. Ich werde nicht müde an meinem Ziel festzuhalten. Und sollte es aller Bemühungen zum Trotz am Ende doch nur ein Traum bleiben, so ist es eben mein Weg, der ohnehin allzu oft das wahre Ziel ist.

Am Abend gehe ich meine Runde durch den Hafen. Hier sitzen ganze Crews beim abendlichen Grillen. Sie unterhalten sich angeregt, lachen, essen, trinken. Die Stimmung ist ausgelassen und man sieht ihnen eine fröhliche Heiterkeit förmlich an. Dort turteln Pärchen in vertrauter Zweisamkeit und genießen das Licht der untergehenden Sonne eng aneinander gekuschelt oder in innigen Umarmungen. Weiter abseits tummeln sich Scharen von tobenden Kindern unterschiedlichen Alters auf dem Spielplatz. So gern ich auch allein bin und meine gewollte Einsamkeit in vollen Zügen genieße, genauso versetzt es mir in Momenten wie diesen für einen kurzen Augenblick auch immer mal wieder einen kleinen Stich.

Zurück an Bord bin ich wieder für mich. Die Boote um mich herum sind weitesgehend verwaist, sodass um mich herum Stille herrscht und die Stimmen mit ihrem Lachen nur noch dumpf zu mir herüber hallen. Ich denke nach, über Beziehungen und Freundschaft, über Geselligkeit und Unterhaltung. Denn wenngleich ich gelegentlich auch gern Gleichgesinnte um mich herum habe und mir hin und wieder sogar diesen einen und ganz speziellen Menschen herbeiwünsche, so zeigt mir der abendliche Gang durch den Hafen auch heute mal wieder, dass nicht immer alles was glänzt gleich Gold sein muss. Denn was ich viel zu oft beobachte, entspricht einfach nicht wirklich meiner ganz persönlichen Vorstellung von Beziehung und einige dieser Bilder, die sich mir an diesem Abend zum wiederholten Male zeigen, passen einfach nicht in mein Leben. Unwillkürlich tauchen aus den verdeckten Winkeln meines Gedächtnis‘ indoktrierte und konditionierte Sätze auf und ich realisiere erneut: Viel zu lange habe ich mich in der Vergangenheit vom Außen leiten lassen und mein Inneres verleugnet. Viel zu lange wollte ich alles richtig machen im Leben und habe dabei nicht bemerkt, was ich auf lange Sicht an Unrecht getan habe. Bereits mit vierzehn wusste ich was ich will, doch damals war ich zu schwach, um mich gegen das zu stellen, was die Gesellschaft von mir erwartete. Anpassung war die Folge und von innerer Freiheit fehlte jede Spur. Heute weiß ich, meine verstorbene Großmutter war die einzige, deren Beziehung zu meinem Ersatzopa einem gesunden Weg folgte. Nicht gemeinsam einsam, in gegenseitiger Abhängigkeit, sondern mit Liebe und Vertrauen und der damit einhergehenden Möglichkeit auf ein gesundes Alleinsein, ein freies Selbst, in einer liebevollen Beziehung ist der Schlüssel zum wahren Glück.

Nun sitze ich in meinem Cockpit, fasziniert vom Spiel der Farben der sich neigenden Sonne und genieße die zunehmende Ruhe um mich herum. Die Stimmen an den Grills sind verstummt und das Lachen in den Plichten der entfernten Boote gleicht nur noch einem Flüstern. Nachtruhe kehrt ein und ich bin eins mit mir. Wie schön das ist. Ich nehme auf, was mich umgibt und in meiner Brust schlagen in diesem Moment zwei Herzen. Eines, was tiefenentspannt, glücklich und zufrieden ist, im Reinen mit sich und seiner Umwelt. Was frei und unabhängig und sein eigener Herr ist. Was im Hier und Jetzt seinen Frieden findet und nicht versucht nach unerreichbaren Sternen zu greifen. Und dann ist da sein Zwilling, jener Part in dem die Sehnsucht ein Maß an Traurigkeit aufrecht erhält und eine triefend traurige und doch so glückliche Melancholie bereit hält. Ein Herz, was sich einfach nicht abfinden möchte mit Realitäten, die unabdingbar sind. Und doch, ich bin hier und ich bin glücklich.

Ich schweige und lasse wirken, was mich umgibt. Lasse Gefühle zu und dabei huscht ein zufriedenes Lächeln über meine Lippen. Ja, ich bin wirklich glücklich.

Auch den kommenden Tag bleibe ich im Hafen. Ich nehme auf, was mich umgibt. Ich reflektiere. Ich denke. Ich schreibe. Und ich versuche nach all den Gedanken ganz nah bei mir zu bleiben, bevor ich mich erst am darauffolgenden Tag auf den Weg zurück in den Heimathafen mache.

2 Kommentare

  1. Was für ein wundervoller Blick in eine weibliche Seele. Dieser wiederkehrende Wechsel der Gefühle. Alleine und doch nicht alleine. Gute Gefühle und Zweifel. Danke dafür. Und dazu diese schönen Bilder.

    Antworten
Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Abonniere meinen Blog

Gib deine E-Mail-Adresse ein, um diesem Blog zu folgen und per E-Mail Benachrichtigungen über neue Beiträge zu erhalten.

Wir halten deine Daten privat und teilen sie nur mit Dritten, die diesen Dienst ermöglichen.

Archiv