Nun wo ich, trotz des vielen Windes in den letzten Tagen und Wochen, doch endlich hier hoch gekommen bin, möchte ich nicht den selben Weg auch wieder runter segeln. Middelfart, Kolding, Assens. Da war ich nun schon oft genug in diesem Sommer und die kleinen, eigentlich sehr viel reizvolleren Häfen sind mir zu dieser Jahreszeit einfach zu voll. Ich möchte nicht jede Reihe durchsuchen müssen oder am Ende Päckchen liegen, nur weil ich zuvor einen ausgiebigen und langen Segeltag genossen habe. Im Hafen möchte ich einen einigermaßen anständigen Platz haben. Nach Möglichkeit mit entsprechender Größe. Nichts ist nerviger, wie eine viel zu lange oder zu breite Box, in der Findus nicht nur vollkommen verloren wirkt, sondern ich auch viel schlechter An- und Ablegen kann. In der Hochsaison bevorzuge ich deshalb die größeren Marinas, da es dort oft ein üppigeres Platzangebot gibt.
Heute möchte ich einen langen Schlag schaffen, weshalb ich bereits um fünf Uhr am Morgen den Hafen von Bogense verlasse. Draußen ist es trist und für einen kurzen Moment denke ich im Stillen, ob diese Idee wirklich so gut ist. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und graue Wolken verdecken ihre Ankündigung. Draußen ist nichts los. Kein Schiff ist zu sehen. Kein Segler, kein Fischerboot und auf dem AIS ist keiner zu empfangen.
Hinter mir scheint der Mond nur noch klein und schwach durch die Wolken und nach etwa sechs Meilen Richtung Osten, querab von Æbelø, einer kleinen Insel im Norden Fyns, beginnt die bereits am Himmel stehende Sonne, sich ihren Weg durch das wolkenverhangene Grau zu bahnen. Es ist wunderschön zu sehen, wie der erste zarte Lichtstrahl sich langsam, aber beständig durchs trübe Dickicht kämpft und somit Platz für mehr und mehr Licht schafft. Golden erstrahlt die See nun vor mir und ich bin froh, so früh losgefahren zu sein.
Wind ist anfangs noch keiner und wird heute auch nur spärlich kommen. Hier draußen stört es mich sktuell gerade nicht langsam zu sein. Kann ich so doch länger bestaunen und genießen, was mich innerlich frei und glücklich macht.
Es ist immer ein besonderes Gefühl zu Zeiten auf dem Wasser unterwegs zu sein, wo sonst keiner draußen ist. Diese absolute Stille, das Dämmerlicht und diese einzigartige Atmosphäre sind es bereits wert, noch vor dem eigentlichen Aufstehen die Leinen los zu machen. Während im Hafen noch alles schläft, wirkt es draußen besonders friedlich und so unberührt, dass ich ehrfürchtig und dankbar bin, in diesem Augenblick ein Teil dessen sein zu dürfen.
Der Anblick der scheinbar offenen See faszinierte mich nicht nur, er berührt mich einfach. Sicherlich ist mir bewusst, dass sich an backbord in der Ferne Endelave aus dem Meer erhebt, doch seine Küste ist nur derart schemenhaft zu erkennen, dass ich mich nur allzu gerne der Illusion der endlosen Weite hingebe.
Genau so mag ich es. Offene See, das nächste Land Meilen weit entfernt und keine Boote in der Nähe. Einfach in die Ferne blicken und alles vergessen. Alles abschütteln, was auf einem lastet. Alle Gedanken, Sorgen und Zweifel über Bord werfen und einfach im Hier und Jetzt sein. Als der Mensch, der ich bin. Ohne auferlegte Muster, ohne Rolle und ohne die Oberfläche, die in dem Großteil der Gesellschaft praktiziert und erwartet wird. Hier draußen gehen meine Gedanken tiefer. Hier habe ich Zeit und vorallem keinerlei Ablenkung. Meine Augen müssen nichts erfassen und verarbeiten, meine Ohren lauschen nur der Melodie des Windes und mein Sein darf einfach stattfinden.
Die Tiefe meiner Gedanken erlaubt es, Antworten auf zuvor nicht gestellte Fragen zu finden. Immer wieder ist es die Bestätigung des Seins, das Verstehen meiner Selbst, was ich in dieser Form nur hier draußen spüre. Ich bin dankbar hier sein zu dürfen und die Chance zu haben, mein Leben neu zu betrachten.
Die See ist ruhig und Findus gleitet durchs Wasser. Zu hören ist nur ein leichtes Schwappen, wenn leichte Wellen gegen den Rumpf platschen. Gemächlich bahnt sich mein Schiff seinen Weg und während der Autopilot steuert Blicke ich mich wieder und wieder um. Wieso berührt mich dieser Anblick so? Mit Worten kann ich nicht erklären, was ich fühle, denn mein Herz fühlt und spricht in einer anderen Frequenz. Die Sprache der Gefühle kann man nicht sprechen. Man spürt sie. Man fühlt und versteht sie. Doch diese emotionale Sprache mit jemanden zu teilen ist schwer, denn Gefühle werden viel zu oft missverstanden, unterschiedlich interpretiert oder gar gar nicht erst zugelassen.
Menschen die meine schweigenden Worte verstehen sind rar und umso dankbarer bin ich für jene, die ohne Worte fühlen, was auch ich fühle.
Hier draußen gibt es keinen Fahrplan. Kein Muss, keinen Zwang. Ich lebe in den Tag hinein und passe mich meinen individuellen Bedürfnissen an.
Stundenlang kann ich dabei aufs Wasser starren ohne das es auch nur im Entferntesten langweilig wird. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass wenn man sich langweilt, dann tut man das Falsche. Im Umkehrschluss bedeutet dies also, ich mache genau das Richtige, denn in die Ferne und auf die vorbeirauschende See zu blicken, ist für mich alles andere als langweilig. Im Gegenteil, es beglückt mich und wirkt so berauschend.
Längst habe ich den Norden Fyns hinter mir gelassen und segle nun den Storebælt gen Süden. Der Strom ist gegen mich, doch ich bleibe dicht unter Land, wo er mir nicht so stark entgegen strömt und ich dennoch meine drei bis vier Knoten an Geschwindigkeit behalte. Hier sehe ich jetzt auch jene Berufsschiffe, die mir per AIS schon seit einigen Meilen angezeigt werden. Es war eine gute Idee, Findus entsprechend auszustatten. Das Einschätzen der Geschwindigkeit anderer Segler geht zwar gut, aber ein Berufsschiff, was mit fünfzehn oder zwanzig Knoten unterwegs ist, ist plötzlich, wie aus dem Nichts, einfach da. Mit der Anzeige auf meiner digitalen Seekarte sehe ich sie so bis zu zwanzig Meilen im Voraus und kann mich, insbesondere in offenen Gewässern, entsprechend drauf einstellen.
Jetzt muss ich mich gleich entscheiden. Biege ich steuerbord ab und laufe den Hafen von Kerteminde an oder schaffe ich noch weitere gut drei Stunden bis nach Nyborg. Erst genannter Hafen sagt mir nicht ganz so zu. Das Wetter ist herrlich und die See ist ruhig. Zwar ist der spärliche Wind wieder eingeschlafen und ich fahre jetzt unter Maschine, doch es ist zu schön, um jetzt schon in eine Marina zu fahren. Noch dazu in eine, die mir nicht unbedingt zusagt.
Ich blicke mich noch einmal um und entscheide mich weiter zu fahren. Was ich jetzt an Strecke schaffe, kann mich in den nächsten Tagen der Wind nicht mehr erwischen. Und wie der Wind wird, steht in den Sternen. Die Vorhersagen stimmen selten und mittlerweile bin ich mutiger und segle gerefft bei Winden, denen ich zuvor noch ablehnend gegenüber stand.
Vor mir liegt die Storebæltsbroen. Unheimlich imposant erhebt sich der östliche Teil mit über 250 Meter hohen Pylonen aus der See und ist schon Meilen im Voraus zu sehen. Hier passiert die Berufsschifffahrt die Brücke und auch Sportboote mit hohen Masten fahren durch den östlichen Teil. Eigentlich soll man sich hier zur Durchfahrt anmelden, was vom Hörensagen wohl aber kaum ein Skipper macht. Mir ist das Prozedere zu kompliziert, weshalb ich nicht mal auf die Idee komme, mit Findus da drunter durch fahren zu wollen.
Ich liebe den Storebælt bei Flaute. Ewig könnte ich hier auf das glatte Wasser sehen und die Spiegelung der Wolken in der See beobachten. Und vorallem könnte ich ewig auf den Horizont sehen. Mein Boot ist klein und meine Augenhöhe beträgt selbst im Stand an Bord nur rund zwei Meter über der Wasseroberfläche. Durch die Erdkrümmung und dadurch das Sjællands Küste im Westen nicht hoch ist, beträgt die Sichtweite hier nicht viel und selbst die Storebæltsbroen scheint im Nichts zu enden.
Immer wieder blicke ich mich um. Schaue nach achtern, da wo zwischen der Insel Samsø und Sjællands Odde das Kattegat beginnt. Einmal bin ich mit Findus dort gewesen. Einmal habe ich es bereits geschafft und irgendwann werde ich wieder dort sein. Ich muss einfach. Doch bis dahin versuche ich jede Stunde, jede Minute und Sekunde auf dem Wasser zu genießen und so ich selbst zu sein.
Die Brücke liegt nun vor mir und ich fahre in das Fahrwasser. Die Vestboen erstreckt sich auf einer Länge von etwas über sechseinhalb Kilometern vor mir. Langsam erhebt sie sich horizontal aus der See, während ich gerade auf sie zufahre. Es ist schon spannend zu sehen, wie sie erst gar nicht zu existieren scheint und sich dann immer höher aus dem Wasser aufbäumt.
Die Masthöhe meines Schiffes beträgt rund elf Meter von Wasserlinie aus gerechnet. Dazu kommt die VHF Antenne mit etwas über einen Meter. Wenn ich also großzügig von dreizehn Metern ausgehe, dann wäge ich mich auf der sicheren Seite und kann unkompliziert die Vestboen durch das entsprechende Fahrwasser, welches von Nord nach Süd durch Pille 37 und 38 führt, passieren.
Die Durchfahrtshöhe zur Vestbroen ist hier für die einzelnen Abschnitte beschrieben.
Das Wetter wird schlechter. Auf dem Regenradar des DMI nähert sich eine dicke Regenwolke, deren schweres Nass sich jenseits der Vestboen über mir zu entlehren droht. Es ist nur eine Frage der Zeit und bevor es soweit ist, mache ich schnell noch mein Schiff klar zum Anlegen. Nyborg liegt jetzt nur noch knappe drei Meilen entfernt.
In rund 30 Minuten stehe ich im Hafen, doch sehe ich bereits jetzt, wie sich ein schwerer Schauer über der Stadt entleert. Immer dichter komme ich dem Hafen und somit auch der düsteren Regenwolke, bis ich schließlich die ersten Tropfen abbekomme. Aus der Ferne höre ich ein erstes Donnergrollen und bin froh, dass es in Nyborg genügend frei Plätze für meine Bootsgröße gibt.
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