27. Juli 2022
Hafentage

Wieder sitze ich fest. Der zu dolle Wind, viel zu überlaufene Häfen und die Tatsache, dass ich einfach zu faul und kraftlos bin, um die dänische Südsee zu durchkreuzen binden mich erneut an Søby.

Ich bin lange wach, genieße die Stille im Hafen, bestaune den Nachthimmel und schlafe lange. Ich mache mir übwr alkes Möglichkeite Gedanken, sinniere über das Leben und lasse langsam weitere Heilung walten. Am späten Morgen werde ich bereits beim Hafenmeister erwartet und hole ich mir dort einen Kaffee beim ab. Der Rest des Tages zieht einfach dahin. Die Tage vergehen frei nach Motto: Die Zeit heilt alle Wunden und lasse ich die Zeit einfach gewähren und beobachte dabei das Treiben im Hafen.

Segelurlaub, der ist im Hafen allen gemein, doch gestaltet wohl jeder ihn ganz individuell und unterschiedlich. Je nach Größe des Bootes, Zusammensetzung der Crew und zeitlichem Umfang werden Ziele und Erwartungen sicherlich sehr diffenziert betrachtet. Segle ich alleine, mit dem Partner oder der ganzen Familie? Sind kleine Kinder dabei, die nicht lange durchhalten und Bewegung brauchen oder Jugendliche, die endweder den Tag verschlafen, weil sie keine Lust aufs Segeln haben oder jene, die wie selbstvertständlich sämtliche Aufgaben an Bord verantwortungsvoll mit übernehmen? Habe ich eine/n unerfahrene/n oder gar ängstlichen Partner/in dabei, der/die nur mir zu liebe mit kommt, mit der Segelei aber so rein gar nichts am Hut hat oder eine/n, der/die mich vielleicht aus purer Eifersucht nicht allein segeln lassen möchte und nur deshalb mit seiner/ihrer Anwesenheit glänzt? Habe ich ein eigenes Boot, was auf meine ganz persönlichen Bedürfnisse eingerichtet ist oder habe ich teuer gechartert? Eine Woche Urlaub auf einem Boot ist sicherlich auch nicht zu vergleichen mit einem halben Jahr Auszeit ohne Zeitdruck. Ziele, Wegstrecken und Unternehmungen an Land variieren in Abhängigkeit der möglichen und investierbaren Zeit, sowie sämtlicher Gegebenheiten. Nicht jeder segelt schließlich aus dem selben Grund.

Im Hafen sehe ich große Crews auf, im Vergleich zu Findus, riesigen Yachten mit weit über 40 Fuß länge im Päckchen liegen und überlege kurz, ob ich die Menschen dort an Bord beneide. Doch schnell komme ich zu dem Ergebnis, dass ich nicht auch nur im geringsten kompatibel mit solch einer Mannschaft wäre. Sicherlich könnte ich mich auf Zeit irgendwie anpassen, mich einfügen oder unterordnen. Ich könnte dann große Reisen unternehmen, an Orte gelangen, die ich allein wahrscheinlich nie werde sehen können und ich hätte Unterhaltung, Gespräche und ein gewisses Miteinander. All das also, was ich allein zuweilen sehr vermisse. Doch es entspricht nicht wirklich meinem Naturell. Es würde ein erneutes Verbiegen und entfernen meiner Person von meinem Selbst bedeuten. Das genaue Gegenteil dessen also, was ich bei mir an Bord und auf See so sehr liebe.

Oft kommen auch Familien auf eigenem Kiel vorbei. Kleine Kinder in orangen Rettungswesten sitzen dabei, je nach Größe des Schiffes, im Cockpit oder seitlich auf den Aufbauten und warten geduldig, bis die Eltern das Boot in die Box geführt haben. Erst dann, nach dem Törn, wenn alles fertig ist, geht es an Land den Spielplatz besuchen, wo die Kleinen ihrem Bewegungsdrang bachgehen können. Die Klischees von damals sind oft, wohlgemerkt nicht immer, noch vorhanden. Während er sich um das Schiff kümmert, Leinen festzurrt, Segel einpackt, Tauwerk verstaut, sich um den Strom kümmert, ist sie mit Aufräumen beschäftigt. Wäsche wird an die Reling gehängt, Essen gekocht, der Tisch im Cockpit gedeckt und die Kinder versorgt. Familienleben eben.

Schön anzusehen sind die Großeltern, die mit ihren etwas älteren Enkeln unterwegs sind. Hier wird erklärt und gezeigt und im Gegenzug geholfen und untersützt. Beide Generationen arbeiten Hand in Hand. Ein respektvoller Umgang und ein Miteinander trotz des großen Altersunterschiedes sind oftmals zu beobachten.

Auch registriere ich immer wieder Pärchen, die das Familienleben mit Kind und Kegel bereits hinter sich gelassen haben und nun ausschließlich zu zweit unterwegs sind. Mit einigen von ihnen möchte ich im Leben nicht tauschen. Während hin und wieder die maskuline Alleinherrschaft an Bord am Ruder Befehle über zehn, zwölf oder vierzehn Meter Schiff faucht und die aus welchem Grund auch immer unerfahrene Frau ahnungslos und unsicher versucht zu tun, was ihr lautstark und vorwurfsvoll verbal entgegen schallt, um am Ende in seinen Augen doch nicht richtig, effektiv und schnell genug reagiert zu haben, geht es auf den allermeisten Booten doch beneidenswert ruhig und harmonisch vonstatten. Ich sehe Pärchen, die ein perfektes Team abgeben, in dem jeder seine Aufgabe beinahe Blind und ohne Worte ausführt. Die auch die gegenseitigen Rollen beherrschen und einander das gemeinsame Ziel, das eigene Boot gut und sicher in den Hafen in eine Box zu manövrieren, vor Augen haben, um im Anschluss entspannte und schöne Stunden an Bord zu verbringen. Ich gebe zu, genau das würde ich mir wünschen.

Doch was bedeutet das Segeln eigentlich  für mich? Für mich ist es so vieles zugleich. Es ist Selbstfindung, wahres und ehrliches Ich-sein, zurück zum inneren Kern finden. Es ist Therapie, Entspannung und Freiheit. Es ist Verantwortung und Selbsteinschätzung. Es ist ein stetiges Lernen und das meistern immer neuer Herausforderungen. Und es ist Liebe. Die Liebe zur See, zur Natur, zu Wind und Wetter. Es ist die Liebe zu sich selbst und zu dem eigenen Boot. Es ist das imaginäre flüstern zwischen Schiff und Eigner, es sind die Geräusche an Bord, wenn das Schiff ächst und stöhnt und es ist die Behaglichkeit unter Deck. Die Gemütlichkeit, die Geborgenheit. Es ist auch die Achtung und der Respekt vor anderen Seglern, es ist Vorsicht und Umsichtigkeit. Es ist die Weite, die spitzende Gischt und das glatte Wasser. Und am Ende ist Segeln einfach ein Gefühl. Ein Gefühl des Glücks. Ja, segeln ist das pure Glück.

Früh am morgen wache ich auf. Ich weiß nicht, welches Datum wir haben, welchen Wochentag. Das ist aber auch egal. Das Steckschott ist offen und von draußen dringt das helle Licht des anbrechenden Tages in den Salon. Ein kurzer Blick aus dem Fenster lässt mich hochfahren. Bei diesem Licht kann ich nicht in der Koje bleiben. Ich muss raus und diesen grandiosen Sonnenaufgang einfangen.

Auch das ist segeln. Neue Häfen, neue Städte, neue Landschaften. Kleine abenteuerliche Entdeckungen. Vielleicht ein bisschen wie Kolumbus oder Magelan. Kein neuer Kontinent, kein unbekanntes Land, doch ein fremder Hafen, ein einzelner Steg oder eine moderne Marina. Es ist die Spannung, was es dort zu finden gibt. Das Adrenalin, ob ein Platz frei ist und die durchgespielten Manöver klappen. Die Überraschung, was mich erwartet.

Und es sind die Häfen, zu denen ich gern zurückkehre. Die vertraut sind, in denen ich mich willkommen fühle. Segeln, die See und das Leben an Bord, ist auch ein Stück Heimat. Ein Ort zum wohlfühlen.

Und auch hier Søby fühle ich mich wohl. Den schönsten Sternenhimmel bislang habe ich hier gesehen. Die Sonnenauf- und untergänge spiegeln sich hier traumhaft im Wasser. Der Hafen ist selten überlaufen und wenn dann findet sich im Fischerhafen noch ein Plätzchen. Der Ort ist alt und der Charme der alten Gemäuer sorgt für Ruhe. Einzig die Fähre nervt am Morgen etwas und hin und wieder hört man die Werft. Doch heute morgen ist es noch zu früh für beides. Der Tag erwacht gerade erst in absoluter Stille.

Die Sonne ist da, der Wind wird auch gleich wieder loslegen und auf überfrühtes Hafenhopping habe ich einfach keine Lust. Wenn ich bedenke, dass die ersten Boote bereits um kurz nach acht Uhr in den Hafen einlaufen, und das hier, wo es nie wirklich so voll ist, dass es an Plätzen mangelt, dann kann ich erahnen, wie es in den begehrten Häfen mit geringem Platzangebot aussehen mag. Nein. Ich bleibe weiterhin hier und lege mich vorerst wieder in die Koje, drehe mich und träume noch ein wenig vor mich hin.

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