24. April 2023
Licht und Schatten

Südwestwind. Und dazu auch noch weniger wie ursprünglich angesagt. Ich hatte mich auf um die 15 Knoten Wind aus Ost eingestellt und weiß gerade nicht, ob ich einfach nur falsch in der Windfinder App geguckt habe oder der Wind über Nacht doch gedreht und dabei an Stärke abgenommen hat. Eigentlich ist das aber auch egal. Weniger Wind geht schließlich immer. Zuviel wäre heute ungünstig für mich, da es meinen Wunsch heute aufs Wasser zu kommen durchkreuzen würde. Aber heute MUSS ich raus. Muss Durchatmen. Will bewusst bleiben. Möchte sein.

Die Förde liegt an diesem Vormittag noch trüb und in ein milchiges Grau gehüllt vor mir, sodass ich die zunehmenden weißen Segel, die nun aus den unterschiedlichen Häfen aus ihrem Winterschlaf erwachen, noch nicht richtig wahrnehme. Es ist wie in jedem Frühjahr. Besegelte ich die Förde in den kalten Monaten in weiten Teilen oft ganz allein und musste auf kaum wen Rücksicht nehmen, so beginnt nun erneut das Teilen und Achtgeben auf der Wasserfläche. Immer mehr Boote tummeln sich nun vor und hinter mir auf der Förde und in mir drin erwacht aufs Neue dieses tiefe Verlangen und das Bedürfnis des Alleinseins. Diese Sehnsucht nach der Weite, wo meilenweit weder Land noch andere Boote den Blick zum puren Horizont vereiteln. Ich mag es, auf See komplett auf mich gestellt zu sein. Die Stille aufzunehmen und mich ausschließlich um mein Boot und mich kümmern zu können. Ich liebe diese zwanglosen Gedankengespräche mit mir selbst und die daraus resultierenden Erkenntnisse, die so in dieser Form nur in absoluter Ruhe und Stille zu finden sind. Doch ebenso freue ich mich anschließend auch über Gesellschaft und anregende Gespräche, die nach einem belebenden Törn im Gasthafen oder am eigenen Liegeplatz mit netten Menschen zu finden sind.

Die Sonne über mir hat Kraft und bahnt sich unermüdlich und in kraftvoller Kontinuität ihren Weg durch den wolkenverschleierten Himmel. Ihre durchdringende Wärme kitzelt dabei mein Herz und das wohlige Gefühl in meiner Brustgegend erinnert mich aktuell an die unzähligen Schmetterlinge, die während einer frühen Verliebtheitsphase sämtliche Glückshormone in einem freisetzen und jeden Menschen so zum Blühen bringen. Das jetzt blaue und strahlende Firmament über mir rundet diese Empfindung in mir zusätzlich und formvollendet ab und ich spüre wieder diese innere Zufriedenheit. Ja, ich bin Glücklich.

Segeln. Das ist für mich wie Atmen. Wie ein tiefes und langsames Ein- und Ausatmen. Wie das Bewusstwerden meiner Selbst. Ein Abschütteln unnützer und kontraproduktiver Gedanken. Das Wahrnehmen meines eigenen Kerns oder manchmal auch ein erneutes Ankommen bei mir als der Mensch, der ich bin und der ich auch sein möchte. Segeln ist einfach Leben. Mal still und mal wild. Einfach lebendig sein und mit jeder Faser meines Selbst wissen, es ist das Richtige, was ich da mache.

Mit zwei bis höchstens drei Knoten Geschwindigkeit kreuze ich gemütlich vor dem Wind und noch habe ich dabei sogar Glück. Denn die rund vierzig weiteren großen und kleinen Yachten auf der Flensburger Innenförde sind weit genug entfernt, sodass sie bei ebenso ruhiger Geschwindigkeit mir heute noch nicht zu dicht kommen und keinerlei Manöver nötig werden. Ich kann mich so heute nochmal im Cockpit voll und ganz, mit gelegentlichem Rundumblick, nach der Sonnenseite ausrichten und mich meinen Gedanken hingeben. Herrlich, dabei diese sanfte Umarmung dieses warmen und kraftspendenden Sternes zu spüren.

Ich lasse die Ochseninseln an Steuerbord liegen und segle nun noch langsamer mit Schmetterlingssegel an den nördlichen Untiefen der Insel vorbei. Der Wind ist jetzt deutlich weniger und in der Abdeckung der „Ochsen“ sackt das weiße Segeltuch, was sich leuchtend vom blauen Himmel abgrenzt, immer öfter in sich zusammen. Ich komme nur noch spärlich voran.

Das Segeln ist manchmal tatsächlich wie ein Spiegelbild des Lebens. Dort, wo der Wind in angemessenem Maße weht, wo die Wellen auf mich zurollen und die Gischt zu beiden Seiten empor spritzt, dort bringt mich mein Schiff voran. Da lacht mein Herz vor Aufregung und voller Freude, manchmal vielleicht sogar vor etwas Übermut. Nervenkitzel, aber auch Respekt, Neugier und Abenteuerlust erzeugen pure Energie und Willenskraft in mir. Es ist wie ein Leuchten. Wie ein starkes Licht, was aus meinem Inneren empor steigt. Ein Licht, das so hell strahlt und nicht nur mir den eigenen Weg zu weisen vermag. Doch manchmal herrscht auch einfach nur Flaute. Da geht es nicht voran. Da steht mein Boot auf der Stelle und ein rechtweisender Kurs ist ohne voranbringende Winde nur schwer zu halten.

Findus treibt jetzt mit nur noch unter einem Knoten Fahrt durchs Wasser und wieder und wieder rudere ich mit der Pinne um den Weg zum nächsten Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Der Himmel hat sich derweil zugezogen und wo eben noch ein strahlendes Blau mich verwöhnte, blicken nun graue Wolken auf mich herab. Wollen sie mir etwas sagen?

Ja, auch mein Schiff des Lebens hat sich gelegentlich ohne frischen Wind und ohne Antrieb im Chaos meiner dunklen Gedanken verirrt und so mein persönliches Sein von meinem eigentlichen Pfad verdrängt. Mein Leben lief Gefahr sich zu verlieren und ohne Achtsamkeit und ohne Wachheit vom Kurs abzukommen. Doch heute, mit bewusster Klarheit, weiß ich, nach jeder Flaute folgt wieder Wind und nach jedem Dunkel wird es erneut hell.

Den Blick nach vorn gerichtet segle ich nun langsam und zufrieden zurück in Richtung Heimathafen. Wind wird heute keiner mehr aufkommen. Auch keine Wellen und keine Gischt. Doch das macht nichts, denn mein Tagesziel habe ich für heute auch so erreicht.

Ich blicke mich um. Die See ist ruhig und die Förde jetzt beinahe so leer wie im Winter. Wieder einmal bin ich dankbar. Dankbar für die Menschen in meinem Leben, die mich inspirieren, die mir zuhören und die mich mit ihren Worten auf den Teppich der Tatsachen zurückholen, wenn ich selbst versucht bin in irreale Gedanken abzudriften. Auch bin ich dankbar Findus als zuverlässigen und konstanten „Partner“ auf See mein Eigen nennen zu dürfen. Denn ohne mein Schiff gäbe es all diese kostbaren Momente nicht. Und ich bin dankbar für das Licht in meinem Leben, was mich gelehrt hat, die Schatten zu akzeptieren.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Abonniere meinen Blog

Gib deine E-Mail-Adresse ein, um diesem Blog zu folgen und per E-Mail Benachrichtigungen über neue Beiträge zu erhalten.

Wir halten deine Daten privat und teilen sie nur mit Dritten, die diesen Dienst ermöglichen.

Archiv