10. September 2022
Neustart

Der Morgen beginnt ruhig, jedoch in graue Wolken gehüllt. Noch überlege ich, wohin es mich heute ziehen könnte. Ob ich auf die Ostsee raus möchte oder doch dem Als nach Norden folge? Die Wetterlage lässt mich überlegen, denn von Südosten her schiebt sich eine fette Regenwolke empor und auf Regen habe ich heute absolut keine Lust. Meine Regenjacke ist noch immer feucht vom gestrigen Wolkensturz und die zweite möchte ich nicht ebenso triefend nass im Boot liegen haben.

Schleimünde, südöstlich gelegen, fällt also schon mal weg. Schade eigentlich, denn jetzt zur Nachsaison hin ist es dort bestimmt ruhig und nicht so überlaufen wie es im Sommer ist. Ich erinnere mich gern an einen traumhaften Sonnenaufgang vor zwei Jahren zurück und gucke trotz der Regenvorhersage für den heutigen Tag nochmal auf die Aussichten für Sonntag früh. Bewölkt. Mit Sonnenaufgang wird das wohl auch nichts und so verpasse ich in Schleimünde auf diesem kleinen Wochenendtörn nicht wirklich etwas.

Kurz spiele ich auch mit dem Gedanken nach Mommark zu fahren, doch dort war ich vor zwei Wochen erst auf dem Landweg mit einer Freundin essen und so reizt mich der Hafen gerade auch nicht allzu sehr. Alles andere auf der Ostsee und jenseits des kleinen Belts erscheint mir zu weit weg, sodass ich mich dann doch für den Als entscheide und nach Dyvig möchte.

Die Sonne lässt sich jetzt schemenhaft hinter den Wolken erkennen und hier und da taucht ein kleines Stück blauer Himmel auf. Der Tag wird, da bin ich sicher. Seit einiger Zeit bin ich guter Dinge, denn nicht nur, dass ich die letzten Wochen bereits vieles was mich bedrückte, in meinen Wesen einengte und was mir als solches nicht gut tat, loslassen konnte, nein, ich habe mich hier und da auch für neue Wege entschieden, von denen ich bereits jetzt merke, wie gut sie mir tun und wie sie mir helfen, meine eigene Energie auf mich selbst zu fokussieren und somit entspannter mit negativen Einflüssen und Erlebnissen umgehen lassen.

Zwischen zehn und elf Uhr will ich heute los, doch noch ist etwas Zeit und ich habe Glück, denn vorher gibt es einen Kaffee an Bord eines Bekannten. Es ist immer wieder schön, hier und da und hin und wieder ein vertrautes Gesicht im Gasthafen zu treffen und sich kurz austauschen zu können. Das jeweilige Schiff, die aktuellen Ziele, eine kurze Gemeinsamkeit, bevor jeder wieder für sich seine Reise fortsetzt. So auch heute.

Ich starte ins Dunkel und bin für einen kurzen Moment unsicher. Doch wieder Regen? Ich schiebe den Gedanken schnell beiseite, denn der Wind ist perfekt, nicht zu viel, aber auch nicht zu lasch, und es macht gerade unheimlich Spaß. Findus genießt es ebenso wie ich und ich lasse mein Schiff einfach laufen. Es gibt keine Kursvorgabe und es gibt keinen Zeitdruck. Es gibt nur mich und mein Boot und das koste ich heute vollkommen aus.

Es ist nicht viel los auf der Außenförde und absolut kein Vergleich mit den Sommern, wo es von weißen Segeln hier nur so wimmelt. Wenn ich könnte, würde ich meinen gesamten Jahresurlaub in die Nachsaison legen und so dem Getummel auf See und im Hafen entgehen, doch noch bin ich auf die Ferienzeiten angewiesen. Zumindest solange noch, wie meine Mutterrolle das verlangt. Immerhin ist diesbezüglich ein Hoffnungsschimmer am Horizont erkennbar und heute, und an diesem Wochenende, bekomme ich schon mal einen kleinen Vorgeschmack dessen, was mich dann erwarten könnte.

Vorerst aber bin ich so froh und glücklich überhaupt wieder hier an diesem Punkt angekommen zu sein. An einem Punkt, an dem ich ein klares JA zum Leben sage und dieses in Unabhängigkeit angehen kann. Ein Punkt, wo alles, was sich die Jahre seit meines eigentlich gedachten Neubeginns zusammengebraut und verdichtet hat, was ich negatives an mich heran gelassen habe und was nun glücklicherweise wieder bröckelt und einen weiteren Start in mein eigenes Leben ermöglicht. Das spüre ich auch beim Segeln. Was noch im Sommer, aufgrund hausgemachter Sorgen und Probleme, nicht möglich war und mich an der Verwirklichung meiner Träume gehindert hat, scheint jetzt wie verflogen und es fühlt sich wahnsinnig gut an, wieder bewusst das Leben zu leben, was ich im Begriff bin, mir aufzubauen. Und nicht nur das, es macht mich auch verdammt glücklich.

Vor mir verzieht sich das dunkle Grau am Himmel, doch von Osten her holt mich nun eine kurze Schauerwolke ein und die zweite und noch trocke Regenmontur kommt jetzt doch noch zum Einsatz. Es sind heute zum Glück allerdings nur wenige dicke Tropfen, die genauso schnell wieder trocken, wie sie herabgefallen sind und ich kann mich dem Ölzeug nach wenigen Minuten wieder entledigen.

Das Grau bleibt vorerst hinter mir und verflüchtigt sich auch über mir und meinem Boot mehr und mehr, sodass der Himmel sein strahlendes Blau preisgeben kann. Sobald die Sonne zum Vorschein kommt, zeigt der September sich noch ein Mal von seiner sommerlichen Seite und die strahlende Wärme, die mich nun umgibt, legt sanft ihren Umhang wie eine liebevolle Umarmung um mich.

Ich genieße diesen Törn mit jeder Faser meines Seins und spüre zunehmend eine innere und tiefe Zufriedenheit. Aktuell ist mir, als könne ich Bäume ausreißen. Ein Gefühl, wie man es kennt, wenn man frisch verliebt ist und auf rosa Wolken dahinschwebt. Leicht und schwerelos und mit einem ständigen Grinsen im Gesicht. Das muss wohl sowas wie Liebe sein. Nicht im Außen. Sondern in mir drin. Selbstliebe nennt man das wohl. Von mir. Und nur für mich.

Die Meilen ziehen dahin und mit ihr das Land. Ich segle die Sønderborger Bucht nach Norden und werfe derweil einen sehnsüchtigen Blick nach steuerbord. Dorthin wo die offene Ostsee liegt. Ein wenig beneide ich die Menschen auf ihren Booten, deren weiße Segel ich in der Ferne ausmachen kann. Doch ich habe gelernt, dass auch mein Weg seinen Reiz hat und blicke so meiner weiteren Route positiv und gespannt entgegen.

Ich bin früh dran. Die Kong Christian X’s Brücke öffnet erst in vierzig Minuten und bevor ich vorm Sønderborger Stadthafen mit allen anderen Wartenden meine unkoordinierten Runden drehe, segle ich lieber noch ein paar Minuten in entgegengesetzter Richtung, bevor ich die Segel berge, um mich dann vor der Brücke unter Maschine in Warteposition zu bringen.

Wie durch ein Nadelöhr durchqueren nun die großen und kleinen Segelyachten auf beiden Seiten die enge Passage durch die Brücke. Es ist immer wieder spannend. Die Signale zur Durchfahrt blinken, doch ich bin fast überzeugt, kaum ein Skipper kennt ihre Bedeutung und alle, aus Nord oder Süd kommend, fahren einfach drauf los. Auch Findus befindet sich nun mittendrin. Eine kleine Restangst bleibt immer. Was, wenn die Brücke zu schließen beginnt, bevor mein Boot ganz durch ist? Oder wenn die gegenüber fahrenden Boote sich zu breit machen, weil die Boote vor mir, wie auch ich, die Brückensignale falsch deuten und es zur Kollision kommt? Oder wenn es plötzlich ganz schnell gehen muss, weil ein Krankenwagen mit Sirene dringend die Klappbrücke passieren muss? Von Land aus, habe ich das mal bei der Brückenöffnung in Egernsund beobachtet und dabei mitbekommen, wie die Boote per Lautsprecherdurchsage in dänisch und englisch zur zügigen Durchfahrt aufgefordert wurden.

Doch alles geht gut und nun motoren diverse Masten in unterschiedlichen Größen den Alssund hinauf. Unter der Alssundbroen durch, geht es weiter nach Norden. Vor mir liegt erneut ein dunkles, von der Sonne in wunderschönes Graublau gehülltes Wolkenband, was sich beim Näherkommen jedoch Stück für Stück von selbst auflöst.

Noch bevor ich in den Alsfjord nach Westen hin einfahre, setze ich erneut die Segel und gebe mich der Ruhe und Stille auf See und an Bord meines Schiffes hin. Wieder bemerke ich das unbändige Grinsen in meinem Gesicht und fühle mich einfach wohl in meiner Haut und mit meiner Situation.

Ich lasse die Bilder, den Anblick dessen, was mich umgibt, ziehen und vergesse alles andere um mich herum. Auch Findus läuft jetzt zu Höchstformen auf und rauscht mit sechs Knoten schwerelos durchs Wasser. Es scheint fast, als freue sich mein Schiff ebenso wie ich, ein anderes Gewässer, wie sonst oft nur die Flensburger Innenförde, besegeln zu können. Manchmal Vergleiche ich mein Schiff im solchen Momenten mit einem Delphin, welcher fröhlich grinsend mit seinem langen Körper wellenförmig Schwung holt, um mit rasender Geschwindigkeit durchs Wasser schnellen.

Ich werfe einen letzten Blick nach draußen, bevor ich dann doch etwas wehmütig nach fast sieben Stunden die Segel berge und mich für die Einfahrt in den Hafen vorbereite. Aus der Vogelperspektive erscheint dieses Fleckchen Erde mit etwas Phantasie wie das offen stehende Maul eines Tyrannosaurus, weshalb wir intern die Einfahrt in die Dyvig auch das „Dino Maul“ getauft haben. Kam ich mir im Sommer noch oft in den Häfen wie verschlungen vor, so freue ich mich heute darauf, gleich fest zu machen und den Abend alleine und in aller Ruhe gestalten zu können.

Das Fahrwasser hier ist eng und misst an der schmalsten Stelle lediglich rund fünfzehn Meter. Beim ersten passieren, vor gut fünf Jahren, ist mir hier eine badende Person schwimmd, jedoch mit ausreichend Abstand, vor der Bug gekreuzt und jedes Mal wieder an dieser Stelle, muss ich an diese verrückte Szene zurück denken. Es ist schon interessant, was einem in ländlichen Gegenden alles begegnet und vorallem erweitert es das Bewusstsein für die einfachen Dinge im Leben, die ohne Richtlinien, Regeln und Gesetze auskommen und einfach ein gesundes und rücksichtsvolles Miteinander zur Grundlage haben.

Schon von weitem erkenne ich vereinzelt die grünen Schilder der freien Boxen im Hafen und denke erneut daran, welche Vorteile ein später Törn außerhalb der Saision mit sich bringt. Ich bin alleine unterwegs. Das erste Mal wirklich alleine und ich fühle mich frei dabei. Da ist niemand unter Deck, der mir alles madig redet und mit einer ausgeprägten Verweigerungshaltung den Moment des Anlegens erschwert. Ich kann reinen Gewissens die Hilfe der Stegnachbarn annehmen ohne muss mich nicht schlecht fühlen, weil unter Deck jemand verbissen versucht mein Anlegen zu boykottieren. Im Gegenteil, ich bin gelassen und entspannt und alles klappt perfekt.

Der Abend gehört nun mir und ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich und zufrieden ich gerade bin. Ich bin einfach ich selbst. Mit mir, mit meinen Gedanken und mit meinen Gefühlen. Ich bin richtig so wie ich bin. Und ich bin frei.

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