9. Oktober 2022
So schön

Bin ich undankbar, wenn ich behaupte, auf der Innenförde zu segeln erfüllt mich nicht? Weiß ich nicht zu schätzen, was ich habe, wenn ich mehr Meer will? Wie kann ich begreiflich machen, was es mir bedeutet, was es mit mir macht, wie es sich anfühlt?

Die Antwort ist klar. Gar nicht. Niemals wird ein anderer Mensch wirklich wissen und verstehen, wie es in mir aussieht. Niemals kann ein anderer Mensch fühlen, was ich hier draußen fühle. Was mir begegnet, was mich erfüllt. Denn jeder ist individuell. Jeder bringt seine ganz eigene und persönliche Geschichte mit. Jeder schöpft aus der eigenen Erfahrung, aus der eigenen Vergangenheit und wird zu dem, der er ist. Nur individuell fühlt jeder das, was sich auf dem Weg ins Hier und Jetzt, mit all seinen Höhen und Tiefen, mit strahlender Freude und dunkler Traurigkeit in sein Herz verschlagen hat.

Hier draußen bin ich frei. Frei von Erwartungen, frei von Klischees, frei von Rollen. Hier draußen bin ich. Die See nimmt mich an als den Menschen, der ich bin. Die See hinterfragt nicht, die See erwartet nicht. Sie See ist einfach da. Immer.

In der Weite, mit dem Blick zum Horizont, wird mein Blick nach Innen, ins eigene Ich, klar und deutlich. Die Weite beruhigt und fokussiert. Sie zieht mich an. Ich will raus. Will da hin, wo es sich gut und richtig anfühlt. Doch ich muss zurück. Immer wieder muss ich zurück und immer wieder krampft sich alles in mir zusamnen. Es tut weh umkehren zu müssen. Mich selbst erneut verlassen zu müssen. Auf das wahre Ich-sein zu verzichten und mich zurück in die Rollen meiner Verantwortung zu begeben.

Manchmal möchte ich aufgeben. Alles hinwerfen. Nicht mehr segeln. Nicht mehr die Nase in den Wind halten und nicht mehr den Hauch des Horizontes erblicken. Nicht mehr auf meinem kleinem Schiff sitzen und den winzigen Funken Glück spüren, bei dem ich gleichzeitig, wie vom Donner gerührt, die mahnende Stimme meines Außen vernehme, die mir all das untersagt, was ich so dringend brauche.

Doch noch ist es nicht so weit. Vielleicht wird es das nie sein. Ich weiß es nicht. Ich habe Angst davor mein Leben am Ende verpasst zu haben. Doch ich muss geduldig sein und abwarten. Warten auf das, was kommen wird. Ich drehe um. Wie jedes Mal. Und mit jedem Mal erlischt meine Hoffnung ein Stück mehr. Verlieren sich meine Träume auf das, was mich erfüllt?

Ich segele zurück, der Sonne entgegen und es fühlt sich an, wie ein innerer Widerspruch. Fern von der erfüllenden Weite, hin zum untergehenden Licht der Sonne. Vielleicht ein kleiner, ganz persönlicher Trost für das, was noch nicht geht.

Denn ich liebe dieses Licht. Liebe die Farben, die Stimmung des Abends, die Atmosphäre dieser Stille. Ich träume mich weg zu dem Leben, was sich ausschließlich in meinem Kopf, in meinen Träumen und Hoffnungen, in der grenzenlosen Phantasie und den undurchsichtigen Windungen meiner Gedanken abspielt. Hier ist der Ort, den mir keiner nehmen kann. Hier ist die Welt in Ordnung. Hier ist sie mein.

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