21. Juli 2022
Sommerabend

Was für ein unbeständiger Sommer. Was für ein ewiges Auf und Ab im Wechsel des Windes, sowie auch in meinen Emotionen. Jetzt haben wir erneut nur ein ganz kurzes Zeitfenster, bevor der Wind wieder auffrischen wird und das muss ich nutzen. Große Ziele gibt es auch heute keine. Wir bleiben in der Südsee. Vielleicht geht’s nach Avernakø oder eventuell nach Fjellebroen. Oder auch zurück nach Faaborg oder wieder nach Søby. Ich bin etwas planlos, denn hier in der Südsee finde ich nicht wirklich das, was ich eigentlich brauche. Dennoch versuche ich zufrieden zu sein. Versuche mich nicht unterkriegen zu lassen und Dinge so zu nehmen, wie sie gerade kommen. Dass das nicht immer zum erhofften und gewünschten Erfolg führt und meine eigentliche Sehnsucht nicht wirklich stillen kann, ist dabei unvermeidbar.

Gegen neun Uhr mache ich mein Boot klar, starte den Motor und direkt hinter der Hafenausfahrt der Marina setze ich die Segel. Ich höre den Wind bereits und weiß, sobald ich weiter draußen bin, wird es mir wieder zu viel sein und ich würde es nicht mal mehr versuchen. Ich kann nicht von null auf hundert gehen, habe aber weniger Probleme damit, bei moderatem Wind zu starten und weiter zu segeln, während er stetig zunimmt.

Überall gibt es hier Fachstellen, Stellnetze und Tonnen. Zwar muss ich mich nicht hundertenprozentig an die Betonnung, die im wesentlichen für die hier fahrenden Fähren vorgesehen ist, halten, doch irgendwann wird es auch für meinen Tiefgang von 1,40 Meter zu flach und auf Grundberührung möchte ich gut und gerne verzichten. Ich merke schnell, das hier ist mir nicht vertraut und einfach nicht mein Terrain und lieber gucke ich einmal mehr auf meine Position in der digitalen Seekarte, bevor ich zu weit vom eigentlichen Kurs abkomme.

Weitere Segler verlassen nun auch den Stadthafen von Faaborg und setzen ebenso direkt ihre Segel. Fahrwasser, weiße Segel zu allen Seiten und der Wind ist doch mehr wie eigentlich angesagt war. Zwischen den Flachstellen muss ich kreuzen. Immer darauf achtend, was die anderen Segler tun und wie ihre Segelstellung ist. Ich bin nicht unbedingt überfordert, doch bedarf es schon einiges mehr an Aufmerksamkeit, hier zwischen all den anderen Booten, Tonnen und Spieren zu segeln, als irgendwo im Offenen, wo meilenweit kein anderes Boot  unterwegs ist. Lille Bjørn ist jetzt vor mir und eigentlich würde ich jetzt gern in seinem Kielwasser bleiben, um mich auf die Boote um mich herum konzentrieren zu können und nicht zeitgleich die Karte mit meiner Position im Auge behalten zu müssen, doch Findus segelt schneller wie sein jüngeres Schwesterschiff. Ob es am glatten und mit anderem Antifouling gestrichenen Unterschiff oder den neueren Segeln liegt, weiß ich nicht, doch ich überhole ihn in Lee und muss nun doch wieder alles allein und auf ein mal im Auge behalten.

So geil es sich auch anfühlt so fix unterwegs zu sein und Findus in seinem vollen Element zu spüren, so anstrengend empfinde ich auch die damit einhergehende Verantwortung. Gischt peitscht zu beiden Seiten des Bugs auf und verteilt sich auf dem Weg nach achtern auf meinem Schiff. Eine herrliche Erfrischung in anbetracht des heißen Tages, doch wirklich genießen ich kann diese spritzende Abkühlung nicht. Seit geraumer Zeit trage ich eine Brille, um in der Ferne klar und deutlich sehen zu können, doch ein weißer Salzschleier liegt nun auf den Gläsern und beeinträchtigt meine Sicht. Um die Seekarte auf meinem Tablet erkennen zu können, muss ich die Brille abnehmen und aufpassen, wo ich sie hinlege. Eine Hand an der Pinne, mit der anderen zoome ich in die Karte hinein, um genauer erkennen zu können, wann das nächste Flach beginnt. Entspannt ist das nicht wirklich.

Plötzlich steht meine Tochter im Salon. Normalerweise schläft sie um diese Zeit noch, doch durchgeschüttelt vom Auf und Ab der Wellen wurde sie unsanft aus dem Schlaf gerissen und faucht mich nun an, ich solle mal nicht so doll machen und nicht so übertreiben. Dabei segle ich doch nur und versuche ohnehin mein Boot nicht zu hart ran zu nehmen um möglichst konstant im Wasser zu liegen. Nur noch ein kurzes Stück möchte ich so weiter machen. Es ist so schön. Doch auch ich merke, dass es grenzwertig für mich wird. Der Hafen von Avernakø ist nicht weit und bevor ich mir den Platz vor der Einfahrt mit allen anderen teilen muss, nehme ich rechtzeitig die Segel runter und warte unter Maschine auf Lille Bjørn, der den Hafen zuerst auskundschaften soll, bevor wir dort evtl festmachen wollen. Hafenmanöver gehören noch immer nicht zu meinen favorisierten Aktionen an Bord und wenn ich unnötige Manöver, besonders bei zwanzig Knoten Wind, vermeiden kann, so mache ich das auch. Immerhin sind sie auf Lille Bjørn zu zweit und können ganz anders agieren wie ich, wo ich komplett auf mich allein gestellt bin. Meine Tochter ist ohnehin, trotz des Geschauckels, wieder eingeschlafen und keine wirkliche Hilfe bei Wind und Welle an Bord.

Wie vermutet ist der Hafen bereits um zehn Uhr vormittags voll und längsseits im Päckchen oder mit zwei Booten und fremden Menschen in einer großen Box möchte ich einfach nicht stehen. Das ist nun mal das große Übel in der ansich wunderschönen dänischen Südsee, dem Sydfynske Øhav, wie die Dänen diese Inselwelt nennen. Hier muss man bereits vorm Aufstehen den Hafen verlassen haben, um im nächsten einen einigermaßen anständigen Platz zu ergattern. Alternativ bleibt da nur das Ankern oder ein ausgeprägtes Maß an Kontakfreude, was mir persönlich in meiner aktuellen Situation nicht unbedingt gegeben ist. Mir ist zur Zeit nicht so sehr nach Außen, obwohl mein Innen genau das vermisst.

Ich möchte nicht zurück nach Faaborg und ein unbekannter Hafen, wie Fjellebroen einer wäre, reizt mich heute einfach nicht. Es ist heiß und ich möchte wieder nach Søby. Der Hafen ist mir vertraut und ich weiß wie und wo ich auch alleine mit zu viel Wind anlegen kann. Ich möchte mein Boot einfach nur in eine Box legen und mich unter Deck verziehen. Mit nur dem Vorsegel läuft Findus jetzt mit fünf Knoten und springt erneut durch die Wellen. Nach etwa einer halben Stunden nimmt der Wind jedoch leicht ab und die auf mich zurollende Welle stoppt mich zunehmend. Statt des Großsegels zur Unterstützung nehme ich allerdings lieber den Motor zur Hilfe, um so schneller voran zu kommen. Vielleicht ist das nicht unbedingt seemännisch, doch bei Welle das Segel am Mast stehend wieder zu bergen, während Heinrich, mein Autopilot, beim hin und her geworfen werden Kurs halten soll, ist derart unangenehm, dass ich darauf lieber verzichte.

Es ist verdammt heiß und den Tag über verkrieche ich mich unter Deck. Alle Luken auf Durchzug, das Sonnensegel im Cockpit gespannt, liege ich einfach nur auf meiner Koje. Bin ich zufrieden? Bin ich traurig? Was will ich? Was kann ich realisieren? Mal wieder rasen tausend Gedanken in Achterbahnfahrt durch mein Hirn. Heute ist Sommer. Das SUP ist aufgeblasen und Emma und Lennart sind damit unterwegs. Ich habe den Nachmittag für mich und versuche mir klar darüber zu werden, wie es die nächsten Tage weitergehen soll. Ich tendiere zum bleiben. Meine Ziele für diesen Sommer konnte ich nicht verwirklichen und das Gefühl des Versagens ist noch immer präsent. Ich möchte mir selbst weitere Enttäuschungen ersparen und entscheide mich dafür, mir keinen stress mehr zu machen und vorerst zu bleiben.

Aus der Ferne höre ich jetzt das Spiel des Windes. Sommerlich warm pfeift er über die See und erreicht mich in der Plicht meines kleines Bootes. Endlich ein bisschen Abkühlung. Der Tag war wirklich unerträglich heiß. Wasser plätschert jetzt sanft und leise gegen die Rümpfe der im Hafen liegenden Boote und das geschäftigen Treiben der Segler an den Stegen ist mittlerweile verstummt. Ruhe ist eingekehrt und eine herrliche Stille liegt jetzt über der Marina. Die Nacht ist klar und ich sitze hier draußen auf meinem Boot. Es ist nicht Schweden, es sind nicht die Schären, doch die ersten Sterne am Himmel beginnen zu funkeln, während der letzte orangene Hauch der untergehenden Sonne erlischt und ich muss zugeben, auch hier ist es einfach unsagbar schön.

Nur diesen Moment nicht mit dem oder den richtigen Menschen teilen zu können macht mich im einsamen Dunkel der Nacht doch ein klein wenig traurig….

1 Kommentar

  1. Hallo Marion,
    du schreibst: “ Meine Ziele für diesen Sommer konnte ich nicht verwirklichen und das Gefühl des Versagens ist noch immer präsent. Ich möchte mir selbst weitere Enttäuschungen ersparen und entscheide mich dafür, mir keinen stress mehr zu machen und vorerst zu bleiben.“

    Also ich finde, dass du wirklich stolz auf dich sein kannst. Du bist mit deinem Boot unterwegs und schon allein das ist etwas besonderes. Und ganz ehrlich…wenn ein Manöver missglück, dann wird es nochmal neu gestartet und andere Segler können auch nicht alles und machen Fehler. Ich habe schon große SY beobachtet mit viel Leinenpersonal an Bord und die haben auch mehrere Anläufe gebraucht. So what? Nur das Gaffen von anderen Skippern und nicht helfen, finde ich ziemlich daneben.

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