23. Dezember 2023
The one and only

Mein Boot ist mal wieder überzogen mit einer hauchdünnen Schicht aus Graupel und leicht gefrierender Feuchtigkeit. Kalt ist es und ungemütlich. An Deck ist es rutschig und wirklich einladend wirkt mein Boot auf den ersten Blick auch nicht. Das Teak im Cockpit ist mittlerweile grün geworden und das vergilbte Gelcoat ist an diversen Stellen gesprenkelt mit dunklen Flecken und witterungsbedingtem Dreck. Alles wirkt so ungepflegt und vernachlässigt. Doch es ist eben Winter und Wasser am Steg wird es erst wieder in drei Monaten geben. Findus wird also wartenden müssen, bis er wieder strahlt und glänzt. Dennoch bin ich gern Bord, denn mein Schiff ist mehr als nur ein optischer Eindruck.

Die dünne Schicht gefrierenden Wassers schiebe ich nach Betreten meines Bootes direkt zur Seite. Ich möchte heute endlich mal wieder segeln. Ich möchte es nicht nur, nein, ich muss einfach raus, denn ich brauche mein Boot gerade sehr, um mich selbst regulieren und mir über das eine oder andere klar werden zu können. Findus ist für mich dabei einfach die beste Entscheidungshilfe in schwierigen Fragen. Gerade weil ich von meinem Boot keine Meinung in jegliche Richtung bekomme und so nur auf mich selbst höre, statt mich von der Begeisterung oder auch Skepsis im Außen anstecken zu lassen. Ich empfinde es als ausgesprochen wichtig, schwierige Situationen durchsprechen zu können. Die diversen Wahrnehmungen von Freunden und Bekannten zu bekommen, ihr Urteil zu hören, ihre unterschiedlichen Meinungen zu überdenken und so auch die Chance auf Argumente jenseits meiner eigenen Impulse mit in meine Entscheidung mit einbeziehen zu können. Doch am Ende muss und will ich selbst entscheiden, was das Richtige für mich ist und dabei hilft mir mein freies und vorallem unverfälschtes Sein, wie auch die entspannte Stille an Bord meines Schiffes.

Seit Tagen zieht heute mal kein Sturm und auch kein Dauerregen über die Flensburger Innenförde. Der kräftige Wind pausiert jedoch nur für kurze Zeit. Er holt nur tief Luft für die kommenden Tage, an denen er erneut mit bis zu acht oder neun Beaufort über Land und Meer im Norden hinweg fegen wird. Auch der Himmel, wenngleich noch immer überzogen mit einem diesigen und grauen Schleier, lässt die Sonne wenigstens in Lichtgestalt durchscheinen. Es tut gut, zu sehen, dass sie da ist.

Beim Rausfahren habe ich noch vorm setzen der Segel das erste Reff ins Großsegel eingebunden. Später soll eine aus Nordwest herannahende dunkle Wolke kräftigen Regen mit sich bringen und bei den ohnehin angesagten Böen um die zwanzig Knoten ist es mir lieber, jetzt etwas gemütlicher unterwegs zu sein, statt später von Schauerböen unangenehm überrascht zu werden.

Die Wolke nähert sich zügig und es dauert nicht lange, bis erste Graupel vom Himmel fallen. Wo eben noch ein Hauch von Blau zu erahnen war, zieren jetzt unterschiedliche Grautöne das Firmament. Doch ich habe Glück, denn weder exorbitante Böen, noch Starkregen erreichen mich. Dennoch rauscht Findus auch gerefft mit über sechs Knoten Fahrt durchs Wasser.

Ich bin allein auf der Förde. Kein weiteres Boot ist unterwegs. Keine Menschenseele begibt sich bei diesem Wetter aufs Wasser. Warum eigentlich nicht? Warum bin ich so oft die einzige hier draußen? Warum fühle und denke ich so anders wie so viele andere Menschen?

Ich bin ein Herzensmensch und entscheide nur noch in seltenen Fällen mit dem Kopf und dem Verstand. Was ich fühle und mir gut tut, kann für mich nicht das Falsche sein und genauso ist es umgekehrt. Was sich nicht stimmig und rein anfühlt, kann niemals das Richtige sein. Hier draußen auf dem Wasser ist mein Verstand klar und mein Herz ist ungetrübt von Einflüssen, die mir suggerieren wollen, was ich gar nicht in mir trage. Hier draußen spüre ich mich so deutlich und intensiv wie ich es an Land nicht wirklich vermag. Das Land scheint der Verstand zu sein, hingegen die See das Herz mit all seinen wahren Emotionen ist.

Freiheit. Da ist sie wieder. Die Freiheit des Seins. Die Freiheit des Fühlens und des Denkens. Hier draußen sind meine Gefühle und Gedanken in all ihrer Intension erlaubt, weshalb auch meine Entscheidungen hier draußen eine andere Wahrheit sprechen, wie sie es an Land, beeinflusst von Vernunft und Konditionierungen, je könnten.

Ich wollte nur kurz raus, doch es ist so schön hier draußen, dass ich nicht umdrehen mag. Zumindest noch nicht. Ich möchte mich noch ein Stück weit tragen lassen von meinem Schiff und von meinem Gefühl. Ich möchte noch ein paar Meilen die friedvolle Stille genießen. Ich möchte diese Liebe in mir spüren, das Glück, die Harmonie. Ohne Einflüsse von außen sein. Ohne Vorschriften, ohne Fremdbestimmung und ohne Verpflichtungen. Das Pure, das Echte.

Ich bin mal hier oder dort auf unterschiedlichen Booten mitgesegelt, habe einige Schiffe unter Maschine ins Winterlager überführt und diverse Charterschiffe in unterschiedlichen Größen von innen gesehen. Ich saß abends mit Freunden und Bekannten zusammen in gemütlicher Runde auf fremden Yachten und habe hin und wieder bei unterschiedlichen Arbeiten rund ums Boot geholfen, doch keines dieser vielen Schiffe ist auch nur annähernd in der Lage mir dieses einzigartige und richtige Gefühl zu vermitteln, wie Findus es tut. Es mag befremdlich klingen, doch ich nenne genau dieses Gefühl Liebe. Liebe zu meinem Schiff, doch auch Liebe zu mir selbst. Denn dort, wo ich mich selbst wirklich liebe, da bin ich richtig. Das gilt für Menschen, bei denen ich mir selbst in meiner Version vom Sein gefalle und ebenso für Boote und meine Umgebung.

Ja, ich liebe mein Boot. Ich liebe die Möglichkeiten, die es mir bietet und das Gefühl, was es mir beschert. Ich liebe die Unbefangenheit an Bord und die Einfachheit seiner Ausstattung. Ich liebe die Ehrlichkeit und die direkten Reaktionen. Ich liebe Findus‘ Bewegungen und seine Geräusche. Ich liebe alles an diesem Boot und ich liebe es dafür, dass es mich mich selbst lieben und sein lässt.

Eine Entscheidung, die mich seit Tagen nachdenken und sogar schlecht schlafen lässt, ist jetzt hier draußen gefallen. Eine berufliche Möglichkeit, die sicherlich mit einem Groß an persönlicher Herausforderung, einem steilen Lernfortschritt und riesigem Wachstum verbunden sein könnte, ist einfach nicht das Richtige für mich. Für mich zählen einfach andere Prioritäten im Leben und ich möchte mich nach langen Jahren in einer mir unpassenden Rolle erneut verbiegen und mich selbst verleugnen müssen, indem ich ein Spiel beginne, dessen Überzeugung ich nicht teile und dessen Druck mich mit Sicherheit erneut innerlich krank machen wird. Nein. Ich favorisierte das Echte und deshalb wird mein beruflicher Werdegang nicht den Weg gehen, den viele für mich als den richtigen sehen.

Man kann das Segeln sicherlich von seiner wissenschaftlichen Seite aus betrachten. Die Lehren von Kraft und Gegendruck studieren, physikalische Gesetze und Materialkunde zur Grundlage machen und man kann auch in einheitlicher Sprache an Bord Kommandos im Team geben und empfangen. Man kann sich an traditionelle Regeln klammern und sämtliche Theorien verinnerlichen. Wer so „von der Pike auf“ das Segeln lernen möchte, der kann das selbstverständlich tun und ich verurteile dies in keinster Weise. Doch kommt mir eine für mich ganz entscheidende Sache dabei einfach zu kurz. Die Liebe.

Segeln ist für mich mehr wie das bloße beherrschen sämtlicher Theorien. Segeln ist für mich in erster Linie ein Gefühl. Ein gleichsames Schwingen mit dem Boot, ein Ankommen bei sich selbst, ein Entschleunigen in einer oft viel zu hektischen Zeit. Ich selbst befinde mich auch weit entfernt vom Ehrgeiz des Gewinnen wollens und auch der Mythos, zwei Boote seien bereits eine Regatta, ist mir eher fremd, als dass ich jeden kleinen Schub an Geschwindigkeit aus meinem Boot heraus trimmen müsste. Meine Prioritäten liegen einfach anders, weshalb ich erneut dem Gedanken widerspreche, dass alle aus ein und dem selben Grund segeln.

Ich kann jedoch immer nur für mich sprechen und möchte mit Sicherheit niemanden seine Art des Segelns absprechen. Es geht lediglich darum, dass ich meine eigenen Entscheidung für mich begründe und meine Liebe zur See und zu meinem Boot mir unendlich viel bedeutet.

Danke mein Kleiner, dass du mir wie kein anderer die Augen und das Herz offen hältst. Danke für deine Ehrlichkeit, die du mich durch Wind und Welle immer wieder spüren lässt und Danke für deine Geborgenheit, die du wie kein anderes Schiff zu geben in der Lage bist. Und Danke für die wunderbaren 1512 Seemeilen in diesem Jahr, während derer du mich sicher und voller Freude getragen hast. Findus, you are the one and only!!!! Ich liebe dich!

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