Und wieder beschert der September einen traumhaften Spätsommertag. Laue Temperaturen und ein mäßiger Wind sind wie gemacht für einen perfekten Segeltag.
Der Nachmittag ist noch jung. Ich habe genug Zeit. Und ich muss raus. Muss für mich sein. Muss alles andere, was der Alltag in mich hineinpackt und was nicht zu mir gehört, wieder loswerden und das geht am Besten auf dem Wasser. Allein auf meinem Schiff. Nur da empfinde ich die vollkommene Freiheit meiner selbst. Ein unvergleichbares Sein. Einfach nur Ich.
Neulich habe ich etwas gelesen, was mich in meinem Denken und Fühlen bestätigt. Einen Satz, der genau das aussagt, was in mir ist.
„Traurigkeit hat eine besondere Schönheit“.
Es stimmt tatsächlich, dieses tiefe und melancholische Gefühl ist so wunderschön und mit nichts zu vergleichen. Es ist verbunden mit so starken positiven Empfindungen, wenngleich diese auch aus meiner ganz persönlichen Traurigkeit entstehen.
Es klingt paradox, doch die tiefe Traurigkeit, die ich in mir trage, macht mich auf See stets glücklich. Ob das jemand verstehen kann weiß ich nicht. Das spielt aber auch keine Rolle. Denn entscheidend ist einzig, wie es mir dabei geht. Und mir geht es gut damit.
Der Wind kommt aus Ost. Ich kreuze mit ein paar Schlägen und gemütlichen zwanzig Grad Krängung die Innenförde hoch. Ich stehe dabei innerlich vollkommen zufrieden und grinsend in meinem kleinen Cockpit. Die rechte Hand am Griff der Sprayhood, mit der linken halte ich leicht die Pinne. Findus will nach Steuerbord. Wie immer. Irgendetwas an meinem Schiff ist schief. War es schon immer. Wahrscheinlich stehen Skeg und Ruderblatt nicht zu 100% in einer Linie. Was soll’s. Ich kenne mein Boot. Weiß wie es reagiert und kenne seine Macken. Es muss nicht perfekt sein. Nur echt. Denn so liebe ich es.
Ich erreiche die Schwiegermutter, die fest in den Meeresboden verankerte rote Tonne 6. Sie markiert nicht nur Holnisriff, sondern kündigt gleichzeitig den Beginn der Außenförde an. Soll ich umdrehen? Der Rückweg wird auf jedem langsamer werden.
Nein. Ich nutze die Chance und segel einfach weiter. Nur ein winziges Stück auf die Außenförde. Noch ein bisschen mein eigenes Leben spüren. Viel Zeit wird mir hier nicht bleiben, denn die Verantwortung an Land sitzt mir wie ein gehässiges Männlein im Nacken.
Ich erreiche Tonne 5. Verdammt ist das schön. Der Himmel, das Wasser, die Landschaft. Dieses Blau. Diese Aussicht. Doch am schönsten ist dieses Gefühl. Hier und jetzt. Leben.
Meine tiefe Traurigkeit ist umgeschlagen in ein entspanntes Wohlempfinden. Ich bin glücklich. Glücklich hier sein zu dürfen und glücklich an diesem Tag mein Leben so leben zu können, wie es mir gut tut.
Ich erreiche Tonne 3. Ein winziges Stück nur noch. Ich zögere. Kämpfte innerlich mit mir. Doch ich weiß, jetzt ist es soweit. Ich muss wenden.
Die nächsten Stunden fahre ich der Sonne ein Stück weit entgegen und solange ich nicht das Ziel, sondern den Weg vor Augen habe, genieße ich jede Sekunde.
Nach ein paar Meilen Rückweg schläft mir der Wind ein. Natürlich. Abendflaute. Ich hole die Segel runter und schlage mein Leichwindtuch an. Doch so richtig schnell komme ich dennoch nicht voran. Wie so oft habe ich das Talent, von einem Windloch ins nächste zu gelangen.
Ich stehe mehr, als dass ich voran komme. Doch das stört mich gerade nicht. Die Sonne sinkt währenddessen immer tiefer und färbt Himmel und Wasser in ein freundliches Orange, bevor sie langsam hinterm Land untergeht. Es ist noch immer warm.
Was für ein wunderbarer Nachmittag und gelungener Abend, der sich jetzt dem Ende neigt. Fast dreißig Meilen und knapp sieben Stunden reinstes Sein liegen hinter mir. Heute ist endlich wieder einer jener Tage, an dem das Leben wirklich leben ist.
Liebe Marion,
was für ein wundervoller Bericht!
Und die wichtigste Erkenntnis für diesen Tag, das bewusste Genießen des Augenblicks.
Die Fotos dazu sind der Wahnsinn!