Noch ist alles feucht an Deck. Doch die Sonne ist fleißig und ihre Kraft fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Warm ist sie und verleiht diesem Februarsonntag einen Hauch von Sommerstimmung. Nur im Hafen ist es wie üblich noch still und das wird sich die kommenden Wochen wohl auch noch nicht wirklich ändern. Die Wintersaison dauert noch an und bis die ersten Begegnungen am Steg im April mit altbekannten Gesichtern, mit einem scherzhaften „Frohes neues Jahr“ das Eis des Winters brechen, werden noch einige menschenleere Wochenenden im Hafen vergehen.
Bevor ich die Leinen für heute losmache, mache ich es mir bei warmen Sonnenschein mit einem heißen Cappuccino und einem Marmeladenbrötchen im Cockpit bequem und lasse die letzten drei Stunden Revue passieren. Heute war ich schon früh hoch und musste mich entscheiden: Ein Landspaziergang mit Sonnenaufgang an den Steilklippen Kragesands oder in den Morgen segeln und auf der Innenförde das frühe Licht der Sonne durch Landabdeckung verpassen. Heute Morgen hat das Land gewonnen.
Doch jetzt geht’s raus. Schnell ist Findus startklar. Es ist die Routine, in der ich alles wie im Schlaf erledige. Das Großsegel auspacken und das Fall anschlagen. Die Fender ab und unter Deck verstauen. Navigationsinstrumente einschalten. Seeventil öffnen. Landstrom ab, meine Rettungsweste bereitlegen und den für mich persönlich nötigen Kleinkram vorbereiten. Ich bin mein eigenes eingespieltes Team und kann mich kaum noch an die Zeit erinnern, in der mir das alleinige Ablegen Kopfzerbrechen bereitete und mein Wunsch nach Hilfe und Begleitung mich oft gehemmt und im Hafen gefangen gehalten hat. Heute ist es umgekehrt und es fällt mir schwer, mir vorzustellen, einen meiner Handgriffe in fremde Hände abzugeben. Alleinsegeln macht halt was mit einem.
Es ist nicht nur das Ankommen bei mir selbst, das ich als das tiefe und innere Sein meines wirklichen Ichs empfinde. Es ist für mich vorallem das Aushalten und das damit einhergehende Annehmen und genießen eben dieses Selbsts. Es ist das mit der Eigenständigkeit einhergehende Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die damit wachsende Selbstliebe, die mich an diesen Punkt gebracht hat, das alleinige Segeln derart zu lieben, dass ein aktives Teilen kaum noch Part meiner Gedanken ist. Meine Träume und Wünsche haben sich in den letzten Jahren durch mein neues, doch eigentlich altes und wiedergefundes Ich stark verändert und im Austausch mit anderen stoße ich nun hin und wieder auf Unverständnis. Vielleicht ist es das, was Einhandsegler nach außen hin gelegentlich zu Eigenbrötlern macht.
Nach wie vor teile ich meine Erlebnisse, Gedanken und Gefühle auf See gern mit Gleichgesinnten. Es bereitet mir eine große Freude zu sehen und zu hören, dass andere Segler und sogar „Landratten“ meine Erlebnisse, Erfolge und Empfindungen zu schätzen wissen und ich manchem sogar hin und wieder mit meinem Sein Mut zuspreche.
An dieser Stelle deshalb auch einfach mal ein ganz liebes Dankeschön an alle da draußen, die mich privat, persönlich oder virtuell kennen und an meinem Leben, insbesondere auf See, teilhaben. Eure Feedbacks geben auch mir immer wieder neuen Mut und besonders an trüben Tagen auch immer mal wieder einen Vorschuss an nötiger Energie, die ich im Anschluss immer gern wieder zurück gebe. Ein schöner Kreislauf und ein erfreuliches Miteinander unter Menschen denen gegenseitiges Wachstum etwas bedeutet.
Doch Einhandsegeln birgt in der Tat die Gefahr ein aktives Miteinander zu verlernen. Auf sich allein gestellt wird das Boot entsprechend hergerichtet und jeder Handgriff geübt und perfektioniert. Auf See darf schließlich nichts schief gehen. Die anfänglichen Makel im Selbstvertrauen und ebenso die fehlenden Hilfsmittel an Bord werden ausgebaut und optimiert und dabei stetig angepasst und verbessert. Bewegungsabläufe gehen über in Fleisch und Blut und ich spreche wohl für viele Einhandsegler, wenn ich sage, dass man als Skipper mit seinem Boot zusammen wächst und man einander spürt. Ja, ich fühle, was mein Schiff mir sagen möchte. Ich spüre, wenn etwas anders ist wie gewohnt. Wenn die Segel mein Boot bremsen, weil ich, in meine Gedanken und Träumen vertieft, mal wieder nicht die sich geänderte Windrichtung mitbekommen habe oder ein Klacken irgendwo verrät, dass etwas ungünstig im Schiffsbauch gelagert wurde. Ich höre am Rauschen des am Rumpf entlangströmenden Wassers, wie schnell Findus durchs Wasser gleitet und nehme jede Veränderung wahr, die mir sagt, ich muss etwas tun, um letztlich meinem Schiff die Liebe und Fürsorge zukommen zu lassen, die es braucht, um so mich wiederum glücklich und zufrieden zu stellen. So sind es aktuell die Pocken am Ruder und am Skeg, die bei Fahrt durchs Wasser die Pinne erzittern lassen und mich jedes Mal daran erinnern vor Saisonbeginn das Unterschiff neu streichen zu müssen. Wir sind eben ein perfektes Team, mein Boot und ich.
Allein segeln ist etwas komplett anderes, wie mit einer Crew unterwegs zu sein. Und dabei spielt es keine Rolle, ob diese Crew fremd zusammengewürfelt ist oder die Mitglieder sich familiär oder freundschaftlich kennen. In jedem Fall braucht es Teambildung, gegenseitiges Verständnis und Rücksicht. Es braucht ein Minimum an allgemeinen Kenntnissen an Bord und ein gewisses Maß an Wissen über den oder die anderen. Es braucht Einfühlungsvermögen, Verantwortung und das Übertragen und Annehmen von Kompetenzen. Letztlich braucht es auch Platz für Bewegungsabläufe und im Idealfall auch Rückzugsmöglichkeiten. Doch allein schon der Gedanke daran lässt mich schaudern. Was manch einem ein Gefühl von Sicherheit verleiht, setzt in mir zwar keine Panik frei, doch es hat etwas Befremdliches für mich und wirft Fragen in mir auf.
Wieder hallt das Echo eines von einem Bekannten oft gehörten Satzes in meinem Kopf wieder. „Alle segeln aus dem selben Grund.“ Und wieder schüttel ich kaum merklich den Kopf und sage still und leise in Gedanken: Nein. Nein, es segeln nicht alle aus dem selben Grund. Die einen sind sportlich unterwegs und geben auf Regatten ohne Rücksicht aufs Material alles. Die anderen sind gemütliche Fahrtensegler und nutzen ihr Boot ausschließlich für ein paar Urlaubswochen. Die einen gehen über Monate auf Langfahrt und meiden es Land und Leute zu treffen, während andere sich am Daysailing erfreuen. Die einen benutzen ihr Boot, die anderen lieben es. Moderne Yachten mit neuester Technik, alte Klassiker im Original, große Traditionsschiffe, kleine Jollen. Holz-Junkies, Stahl-Kenner und GFK-Überzeugte. Schönwetter- und Hardcoresegler. Sommer und Winter. Chartern im warmen Wasser des Südens oder zwischen kalten Felsen im Norden. Mit Geld und sämtlichen Möglichkeiten oder sich das alles gerade so leisten können. Die einen machen alles selbst, die anderen lassen machen. Manch einer hasst es und tut es nur dem Partner zu liebe und andere verzehren sich daran. Der eine möchte die Verantwortung nicht abgeben, während ein anderer lieber auf dem Sonnendeck chillt. Es gibt dabei kein richtig oder falsch. Jeder hat seine eigenen Gründe zu segeln und diese können mannigfaltig sein.
Mit einigen Seglern gibt es Schittstellen und ich bin dankbar diese Menschen zu kennen und mich mit ihnen austauschen zu können. Jedes Bejahen gleicht einer Bestätigung und gibt auch mir als überzeugten Einhandsegler ein Gefühl von Wir. Und genau dieses Gefühl entsteht auch, wenn ich mit Seglern spreche, die zwar eine andere Sichtweise ihre Überzeugung nennen, doch meine ebenso respektieren. Vielleicht ist es die Seemannschaft, die einen Segler ausmacht und dann sind die individuellen Gründe ohnehin egal. Dann segeln wir vielleicht doch (fast) alle aus dem selben Grund.
Das Miteinander auf dem Wasser ist es in meinen Augen, was den Segler ausmacht. Rücksicht und Respekt. Ein Achtgeben und einander Helfen. Ein unausgespochener Ehrenkodex, der die Grundzüge der Menschlichkeit innehat. Empathie für die Neuen, Verständnis für die Ambitionierten. Alleine oder mit Crew. Ein leben und leben lassen in gegenseitigem Einvernehmen und das Anerkennen unterschiedlicher Herangehensweisen.
Mittlerweile kann ich wohl von mir behaupten, dass ich überzeugter Einhandsegler bin. Ich liebe diese Zeit für mich allein auf dem Wasser. Umgeben von nichts. Das Alleinsein mit mir selbst. Das tiefe in mich Gehen und die Erkenntnis über das, was sich für mich der Sinn des Lebens nennt. Ich mag den therapeutischen Aspekt, das mir selbst zuhören, wenn Gedanken laut werden und die Möglichkeit der inneren Freiheit. Ich mag das Schweigen, das mir selbst nahe sein und die Unabhängigkeit.
Nur hin und wieder gibt es da wen, den ich gern an Bord dabei hätte….
So allein mit dem Wind und den Wellen, das hat etwas sehr Meditatives.
Vielleicht spielt das Segeln die eigene Lebenseinstellung wieder 😉