„Ich glaub‘ es geht schon wieder los. Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Oder etwa doch? „Wochenend‘ und Sonnenschein….“ Innerlich aufgekratzt singe und summe ich diverse Texte und Melodien, die mir spontan durch den Kopf schießen. Aufgeregt wie ein kleines Kind vor seinem Geburtstag freue ich mich an diesem Nachmittag erneut ganz spontan loskommen zu können ohne am Abend wieder umkehren zu müssen. Die Temperaturen klettern heute erstmals so richtig in den zweistelligen Bereich und auch wenn der vorhergesagte Wind kein wirkliches Vorankommen verspricht, so packe ich doch kurzer Hand zwei, drei Sachen zusammen und mache mich auf den Weg zum Hafen.
Es wird auch dieses Mal kein großer Sprung werden und auch kein neuer Hafen. Mal wieder wird das nur rund zehn Meilen entfernte Marina Minde mein Ziel dieses freien Abends werden. Es bleibt also bei alt bekanntem Terrain. Die Quintessenz meines Aufenthaltes jedoch basiert auf einer gänzlich anderen Ebene wie die sonst von mir so geschätzten Entdeckungen neuer und unbekannter Häfen.
Der Wind weht schwach aus Ost und nur mäßig komme ich kreuzend voran. Genieße ich oft die pure Entschleunigung auf dem Wasser, so ist es heute eine leicht quälende Ungeduld, die mich hier und da an den Segeln spielen lässt. Ich bin alles andere als ein Experte in Sachen Segeltrimm. Von Feintrimm mal ganz zu schweigen. Ich habe diesbezüglich einfach keine großen Ansprüche. Weder an mich selbst, noch an mein Schiff. Wohlgleich mir durchaus bewusst ist, dass aus Findus aufgrund seiner seglerischen Eigenschaften noch einiges mehr an Geschwindigkeit herauszuholen wäre. Doch es ist mir schlichtweg einfach herzlich egal, ob ich auf diese oder jene Weise noch den einen oder anderen Knoten im unteren Kommabereich schneller vorran komme. Doch heute probiere ich das vor einigen Jahren Gelesene und für mich in der Praxis einfach zu spezielle Trimmen dann doch mal wieder aus.
Ich öffne die Segel minimal, hole sie wieder dicht. Ich spiele mit dem Holepunkt auf der Genuaschiene und schiebe den Traveller von Luv nach Lee und umgekehrt und anschließend dann doch wieder in die Mitte. Meine Ungeduld wächst und steht nicht wirklich im Verhältnis mit dem Minimum an Geschwindigkeit, welches sich nur spärlich zeigt. Was für eine unnötige innere Hektik, die sich da in mir breitmacht. Nein, ich bin und bleibe ein überzeugter Fahrtensegler, dessen sportlicher Ehrgeiz sich doch in Sachen Segeltrimm und Feinjustierung stark in Grenzen hält. Ich setze meinem Fokus aufs Sein und überlasse das regattataugliche Segeln dann doch lieber den sportlich Ambitionierten.
Mir ist ohnehin gerade eher nach Gemütlichkeit und für den Moment fehlt mir genau jetzt diese eine vertraute Person, der ich mit gutem Gewissen das Ruder meines Schiffes überlassen kann, um mich nach unten in den Salon zu verziehen. Ich habe das Bedürfnis, mich einfach auf die Koje zu legen und faul zu sein. Die Augen für ein paar Minuten zu schließen und dem zarten Geräusch des von außen am Rumpf entlanggleitenden Wassers zu lauschen. Ich möchte träumen, denn das Sonnenlicht, der blaue Himmel und die wohlige Wärme an Deck wecken das Phantasiezentrum in mir. Doch hier auf der Innenförde ich kann mich meinen Träumen ohnehin nicht wirklich hingeben. Das geht nur „da draußen“. Dort wo das unendliche Firmament die ebenso unendliche See berührt. Da draußen, wo ich meilenweit kein Land erblicke und die anderen Segler nur schemenhaft zu erahnen sind. Hier auf der Förde ist es bei solch angenehmen Bedingungen wie heute zu voll und meine Aufmerksamkeit ist auf das gelenkt, was mich umgibt. Die aufkeimenden Träume schiebe ich also schnell beiseite und bereite mich nun stattdessen auf das kommende Anlegemanöver vor.
Kaum bin ich mit meinem Schiff fest, wechsle ich wenige Minuten später auch schon das Boot und kurz darauf geht es nochmal raus. Wieder mit der kleinen Jeannau von vor zwei Wochen. Wieder auf die Außenförde. Hier ist es jetzt windiger und ein winzig kleines bisschen spüre ich einen ärgerlichen Stich in meinem Herzen. Dies hier wären jetzt ideale Bedingungen für mich und Findus. Doch ich segle fremd und mein Boot steht allein im Hafen. Schnell schiebe ich auch diesen irrsinnigen Gedanken wieder beiseite und erinnere mich daran, dass das was ich hier gerade tue, nämlich das Segeln mit anderen segelaffinen Menschen auf ihren Booten und ohne entsprechende Verantwortlichkeit für mich als Skipper und dafür aber mit der Möglichkeit, einfach „nur mal mit“ zu sein, genau zu den Dingen gehört, die ich mir vor Jahren gewünscht habe und was nun durch Eigeninitiative und Engagement endlich zur Realität geworden ist.
Ich genieße es, die nächsten drei Stunden ohne Verantwortung unterwegs zu sein, doch ist mir das Agieren an Bord so derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich mich auch hier auf einem anderen als dem meinen Schiff permanent dabei ertappe, wie ich auf dem in der Plicht liegenden Handy nach dem Kurs sehe oder auf die Segelstellung bei Kursänderung blicke. Ich achte aus dem Augenwinkel auf Tonnen und querende Boote und im Hafen gehe ich im Geiste das Ablege- und Anlegemanöver durch. So wirklich schaffe ich es nicht „nur mit“ zu sein, doch das empfinde ich auch als vollkommen richtig so. Der Austausch am Bord, das Besprechen der Manöver und die gegenseitigen Erfahrungen, sowie auch die unterschiedlichen Herangehensweisen bringen mir neue Erkenntnisse oder bestätigen mir gar meine gewohnten Abläufe. Nicht nur Jeannie nimmt heute erneut einiges für sich mit. Auch ich schätze diese immer neuen Einblicke, sowohl über mein eigenes Wissen, als auch über die Bewegungen und Reaktionen eines anderen Bootstyps.
Und doch ist es Findus, auf dem ich mich am Ende des Tages am wohlsten fühle. Es ist ja nicht ausschließlich das Segeln, was mir Freude bereitet. Nein. Auf meinem Schiff ist es etwas viel tieferes. Vielleicht bin ich da zu emotional, doch so interessant und einladend es auf anderen Booten auch sein mag, fehlt mir auf ihnen doch das persönliche und innerliche Ankommen. Dieses tiefe Ankommen bei mir selbst und das damit verbundene Gefühl von Zuhause sein. Dieses sich voll und ganz fallen und einlassen können und das völlige Einssein. Eins mit mir und meinem Kern. Ohne jegliche Rolle, die ich im Alltag tagtäglich zu bewältigen habe. Ohne aufgetragene Pflichten und stattdessen nur bestimmt durch eine pure Freiwillgkeit, die einzig von meinem Selbst geleitet wird. Es ist einfach dieses schlichte Sein, frei von Erwartungen und frei von ungeliebten Aufgaben, was mich so unendlich zufrieden stellt und was mir als Ort und auch seglerisch nur Findus in der Lage ist zu bieten. Für mich ist dies aktuell das höchste Gefühl von echter Freiheit.
Ich freue mich neue Freunde und Bekannte in Marina Minde gefunden zu haben und genieße an diesem Abend die Gastfreundschaft meiner neuen Segelgefährten auf einem ihrer Boote. Ein einfaches „Hast du Lust rüber zu kommen“ reicht schon aus und plötzlich sitzen erst zwei, dann drei und am Ende fünf bekannte oder auch unbekannte Menschen zusammen und tauschen sich lachend und fröhlich über alles Mögliche aus. Weder Fachsimpeln, noch Prahlen und auch kein Besserwissen ertönt aus den Worten des heutigen Abends. Stattdessen ist es die Geselligkeit und gute Laune, die die letzten Stunden dieses Tages in meiner Erinnerung halten wird.
Bevor die Sonne an diesem lauwarmen Frühlingsabend völlig hinter der Küste Dänemarks verschwindet, zieht es mich dann aber doch noch einmal hinauf auf den Steg. Bei aller noch so gemütlichen Gesellschaft überkommt mich auch heute eine innere Unruhe sobald das abendliche Licht seine Farbtöne verändert und die Sonne einen orangenen Streifen quer am Himmel über Land und Wasser zieht. Der Romantiker in mir kann auf dieses Bild einfach nicht verzichten und ich brauche diese kurzen Momente für mich.
Ein wenig Wehmut überkommt mich dann aber doch und ich muss sagen, ich liebe diese leicht melancholische Atmosphäre. Auf der einen Seite bin ich glücklich über das Hier und Jetzt. Über diesen schönen Segeltag, den amüsanten Abend und dieses Licht der untergehenden Sonne. Ich bin glücklich und froh über das, was ich erreicht habe. Über meine Möglichkeiten und Chancen und für die Menschen, die mich mit meinem Sein mögen und schätzen und die auch meine andere, nämlich die Stille und in sich gekehrte Art an mir respektieren. Auf der anderen Seite nämlich überkommt mich eine ungestillte Sehnsucht. Meine Hoffnung, mein Traum, mein inigster Wunsch.
Vielleicht brauche ich auch deshalb diese winzige Auszeit zum Sonnenuntergang für mich, um meiner immer wieder an mir nagenden Sehnsucht einen Raum geben zu können. Und um kurz in solch einem stillen Augenblick um das trauern zu können, was mir zumindest für den Moment verwehrt bleibt.
Sich selbst etwas Gutes zu tun ist so unsagbar kostbar und vorallem aber auch so wichtig. Viel zu selten nimmt sich doch jeder Einzelne in der Hektik des oftmals oberflächlichen Lebens wirklich richtig wahr. Und viel zu selten horchen so viele Menschen auch wirklich ganz tief in sich selbst hinein und beschenken sich mit dem, was so wichtig ist für die Gesundheit von Körper und Geist. Auch ich habe viel zu lange nach Heilung und Bestätigung für mich und meine Gedanken im Außen gesucht und mich am Ende jedes Mal aufs Neue gewundert, warum sich diese unerträgliche Leere in mir einfach nicht füllt. Warum ich nicht ankomme, obwohl ich es doch allen recht zu machen versuche. Ein fataler Fehler, der mich um Jahre des Selbst brachte.
Jetzt sitze ich im Cockpit meines kleinen Bootes, das Frühstück auf dem Tisch zwischen den Bänken, und lausche der zarten Brandung mit ihren leise anrollenden Wellen, die sich hinterm letzten Steg im Hafen den Weg an den steinigen kleinen Strand bahnen. Mit ihrer Ruhe und Beständigkeit vermitteln sie eine immer wiederkehrende Kraft, die so beruhigend und schön klingt. Ich schließe die Augen und atme tief und langsam und nehme eben diese Kraft, diese Energie in mich auf. Hier und da höre ich auch das dumpfe Rufen einer Krähe und vom Wasser her schallt das Schnaken vereinzelter Enten, ein Haubentaucher schwimmt vorbei und guckt neugierig zu mir hinauf und von der mit Gestrüpp bewachsenen Klippe an Land dringen leise Lieder vom Gezwitscher unzähliger Vögel.
Ein unterschwelliger Vorwurf von purem Egoismus hallt in meinem Kopf wieder. Es sind die Stimmen aus der Vergangenheit, aber auch jene, die nicht verstehen warum genau diese Momente so kostbar für mich sind. Nach all den Jahren der unterschwelligen Manipulation und auch der Fremdbestimmung, brauche ich jetzt diese Zeit für mich. Und auch wenn es immer wieder eine Gratwanderung und auch einer Gewissensfrage zwischen meiner Verantwortung als Mitglied einer sozialen Gesellschaft und meiner ganz persönlichen Gesundheit ist, so weiß ich doch, es gibt Menschen da draußen, die mich mit meinen Gedanken und Gefühlen verstehen. Ihr macht mir Mut, denn ich weiß, ich bin nicht allein mit meiner Zerrissenheit. DANKE.
Erst am Abend, nach langen Gesprächen und neuen Eindrücken, geht es die rund zehn Meilen zurück nach Flensburg.
Wieder mal wunderschön geschrieben liebe Marion