Seit drei vollen Tagen sitze ich jetzt in Søby fest und komme nicht weiter. Der Wind pfeift ordentlich von Landseite über mein Boot hinweg und bei angesagten Böen von über dreißig, bis hin zu knapp vierzig Knoten Wind, bleibe ich irgendwie doch lieber im Hafen stehen. Es ist ja auch nicht so, dass es mir hier nicht gefällt. Nein, ich bin sogar ganz gerne hier. Søby war einer der ersten Häfen, die ich vor sechs Jahren kennengelernt habe. Damals erschien mir der Weg über den Lillebælt noch gigantisch, doch heute kommt er mir eher wie ein Katzensprung vor. Viel ist seit dieser Zeit passiert, doch irgendwie bin ich dennoch noch immer kein Stück weiter gekommen. Noch immer wandle ich zwischen meinen Rollen hin und her und bin einfach nicht wirklich frei. Noch immer kämpfe ich täglich um das Recht auf mein eigenes Sein. Und noch immer bin ich Meilen entfernt von meinem eigentlichen Ziel. Manchmal raubt dieser Kampf mir jegliche Energie. Hier in Søby habe ich allerdings zum Glück jemanden zum Reden und Morgen für Morgen hole ich mir meinen Kaffee im Hafenmeisterbüro ab.
Doch irgendwann ist es nunmal Zeit zu gehen und weiter zu fahren und deshalb will ich am Vormittag los. Der Wind hat sich etwas gelegt und es pfeift nicht mehr ganz so schrill von draußen über die Mole ins Hafenbecken. Ich muss heute nicht weit kommen. Weite Strecken, Meilen machen, das Kattegat in seiner unendlichen Schönheit sehen, vielleicht sogar in Schweden anlegen, das alles hatte ich eigentlich schon abgeschrieben, bevor ich überhaupt losgefahren bin. In diesem Jahr ist aölein schon wetterbedingt nicht viel drin und manches muss ich mir vielleicht einfach in meinen Träumen bewahren. Ich versuche also kleinere Brötchen zu backen und mich mit weniger zufrieden zu stellen, auch wenn mein Inneres das irgendwie ganz anders sieht. Wieder und wieder muss ich mir deshalb ins Bewusstsein rufen, dass ich auch ohne meinen Herzenswunsch ein wahnsinniges Glück habe. Ich bin unterwegs, raus aus den Heimathafen. Ich segle auf eigenem Kiel. Bin unabhängig von jeglicher Crew unterwegs und bin schon so viel weiter, wie ich es noch vor Jahren war. Ja, ich habe wirklich Glück, es gelingt mir nur leider nicht immer, es auch wirklich zu sehen.
Zwei Stunden sollen es heute werden, ein kurzer Ritt durch die Wellen. Ich möchte einen vom Wind geschützten Hafen, damit das spätere Anlegen nicht zur Katastrophe wird. Das Anlegen ist für mich nämlich noch immer der an meist beängstigende Part beim Segeln, weshalb ich mir Zielhäfen gern nach entsprechenden Bedingungen aussuche. Das klappt nicht immer, aber heute passt es. Die dänische Südsee bietet einiges an Häfen und ich kenne auch noch nicht jeden Hafen hier. Doch sind die kleinen und gemütlichen Häfen leider zur Ferienzeit verdammt voll und auf Päckchen liegen, wohlmöglich an großen und teuren Yachten mit X-köpfiger Crew, habe ich einfach keine Lust. Das ist nicht meine Welt und dessen möchte ich mich tunlichst nicht freiwillig aussetzen.
Draußen pustet es noch immer ordentlich und ich bin froh, im Hafen noch mein 1. Reff gesetzt zu haben. Findus hat keine moderne Reffführung und alles muss passgenau am Mast eingestellt und vertäut werden. Auf welliger See, wenn mein kleines Boot durch die Wellen springt und der Wind am Segel zerrt, möchte ich das nicht machen müssen. Ausreffen geht da um einiges einfacher, weshalb ich mir die Mühe im Hafen lieber einmal mehr mache, als dass ich später einmal zu viel alleine am Mast rumturne. Immer vermeiden lässt sich das natürlich nicht.
Draußen sieht man den Wind bereits, bevor er wirklich da ist. Vor jeder dunklen Wolke frischt er auf. Er schickt sein Pfeifen voraus, wie eine Ankündigung, eine Warnung. Und ich reagieren darauf. Ich nehme meinen Heinrich (Autopilot) von der Pinne und übernehme selbst das Ruder. Der Wind schleicht sich an, das Pfeifen ist bereits weitergezogen, und drückt sich kräftig in meine Segel. Findus legt sich dabei gemächlich auf die Seite und sein hoher Ballastanteil von 58% ermöglicht es meinem Schiff, trotz des Drucks in den Tüchern stabil zu segeln. Findus rennt und springt durch die See und lässt sich dabei kaum beeindrucken von den anrollenden Wassermassen. Der scharfe Bug teilt die schäumende See und wirft sich in sie hinein, um die Gischt von dannen zu treiben. Wir sind ein gutes Team, mein Schiff und ich.
Es gefällt mir hier draußen zu sein. Es vermittelt mir das Gefühl des Lebendigseins. Ja, ich lebe. Was für ein schönes Gefühl. Hier draußen fällt einfach mal wieder alles von mir ab. Hier draußen habe ich gar keine Zeit, an verlorenes, nie gefundenes oder erhofftes zu denken. Hier draußen bin ich im Hier und Jetzt. Glücklich. Zufrieden. Eins mit mir.
Ich fasse erneut Vertrauen in mein Schiff. Was für ein genial kleines Boot es doch ist. So fantastisch durchdacht, so stabil, so schön. Immer wieder danke ich in unterschiedlichen Situationen dem Mann, der sich vor über 50 Jahren an einem Samstagnachmittag hinsetze und mal eben und ganz nebenbei die PD entwarf. Was für ein kluger Kopf dieser Gert Gerlach doch ist und seine Vision dieses Schiffes lebt noch heute und erfreut nicht nur mich.
Zwischen Lyø und Avernakø lassen die Wellen etwas nach. Auch der Wind wird weniger, da die dunklen Wolken vorerst durchgezogen sind. Die nächsten Meilen sind entspannt. So könnte es meiner Meinung nach den Rest des Sommers bleiben. Blauer Himmel, eine mäßige Brise und die Temperaturen so, dass ich nicht in den selben Klamotten segeln muss, die ich auch während meiner paar Stunden im Winter auf dem Wasser trage.
Die letzten paar Meilen nach Faaborg verfliegen viel zu schnell und im Nu lege ich auch schon an und spaziere für den Rest des Tages zwischen der Marina und der beschaulichen Altstadt hin und her.
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