Ein Lichtblick im ewigen Grau des tristen Winters. Immerzu prägten Regen und Schnee, eisiger oder gar stürmischer Wind die vergangenen Wochen. Kaum boten sich in letzter Zeit auch nur winzige Zeitfenster, in denen ich die Leinen auch nur für kurze Zeit hätte loswerfen können. Doch heute passt es endlich und es ist auch wirklich dringend notwendig. Seit Tagen quält mich mal wieder dieses sehnsüchtige Bedürfnis bei meinem Boot zu sein und raus zu kommen, doch gefrorene und glatte Stege und eisbedecktes Wasser im Hafenbecken und auf der Förde zwangen mich auch die letzten Tage an Land zu bleiben.
Noch ist es leicht milchig am Himmel, doch der zarte Grauschleicher ist dabei sich mehr und mehr aufzulösen, während er immer mehr Sicht auf das Blau des Himmels freigibt. Fast könnte man bei diesem Farbton meinen es sei bereits Sommer und dieser Törn könnte der Anfang einer längeren Reise fernab vom Festland sein.
Doch die Temperaturen holen mich zurück in die Realität. Es ist kalt hier draußen, wenngleich die Sonne eine immense Kraft ihr eigen nennt, mit deren Wärme sie mein Gesicht im Windschatten des Cockpits verwöhnt.
Wie vermutet ist die Flensburger Förde absolut menschenleer und außer mir ist mal wieder keine Seele auf dem Wasser unterwegs. Findus hat vollkommen freie Fahrt und dümpelt bei nur wenig Wind gemächlich vor sich hin. Ich überlasse es derweil Heinrich, meinem Autopiloten, der schon seit langem zu einem unverzichtbaren und zuverlässigen Freund an Bord geworden ist, den Kurs zu halten und lehne mich entspannt zurück. Ich atme tief ein und aus und spüre, wie das Leben in mir zurück kehrt. Der blaue Himmel, die wärmende Sonne, das zarte Plätschern am Rumpf meines Schiffes und die sanften Bewegungen mit denen mein Boot mich trägt, verleihen mir genau die Energie, die ich, wenn es auch nur drei Wochen ohne waren, so extrem stark vermisst habe.
Hier draußen liegt meine Kraftquelle, ein energetischer Raum, der mich erfüllt mit meinem Selbst. Keine äußeren Erwartungen, keine Vorgaben und nichts, was mir ungewollt auferlegt wird. Nur das pure Selbst, das reine Sein und das damit einhergehende Gefühl von Glückseligkeit. Und genau dieses Gefühl ist es, was mir die Kraft und die Motivation für alles schenkt, egal wie unbequem und unwegsam es auch scheinen mag, was auf meinem persönlichen Weg liegt. Und je mehr ich die Möglichkeit habe, diese lebensnotwendige Energie in mich aufzunehmen, desto eher spüre ich ein tiefes und wahres Leben in mir.
Der spärliche Wind verabschiedet sich nun völlig und das Wasser liegt einmal mehr spiegelglatt vor mir. Die Segel schlankern nun nur noch äußerst lustlos vor sich hin und selbst ein ambitionierter Segler würde jetzt wohl den Motor anschmeißen um irgendwie mit mehr wie 0,2 Knoten Fahrt voran zu kommen. Doch mir ist das gerade egal. Es ist einfach so schön hier sein zu können und ich genieße das Alleinsein hier draußen und lasse mich treiben.
Es ist so still. So herrlich still. Keine menschliche Stimme ist zu hören, kein Hundegebell schallt vom Ufer herüber und auch kein Autolärm durchbricht die Ruhe. Es gibt hier draußen keinen Streit, kein Gezanke und keine Anfeindungen. Hier draußen herrscht Frieden in seiner reinsten Form.
An meinem Boot ziehen jetzt in der vollkommen stillliegenden See in unregelmäßigen Abständen wunderschön anzusehende und rot leuchtende Feuerquallen vorbei. Langsam gleiten sie neben mir entlang und bewegen ihre Körper in einem leicht pulsierendem Rhythmus, der sie stetig voran bringt. Sie plüstern ihre runden Körper dabei auf und die Langsamkeit ihrer Bewegungen sieht nicht nur unheimlich ästhetisch aus, sondern sie zeigt auch eindrücklich, wie schwungvoll und kräftig ihre stillen Bewegungen sie voran bringen. Ihre fädrigen Tentakel schweben ihnen dabei fast unsichtbar hinterher. Kleine im allgemeinen gesehen unliebsame Tiere, doch ich mag sie und könnte ihnen ewig zusehen, wie sie schwerelos, still und doch voller Kraft an mir vorbei ziehen.
Die Sonne neigt sich bereits, doch ich will noch nicht umkehren. Ich brauche noch ein wenig Zeit hier draußen, um meine Tanks entsprechend zu füllen. Ich blicke mich immer wieder um und wohin ich auch sehe, komme ich aus dem Staunen nicht wirklich heraus. Mich überkommt ein Lächeln, denn ein neulich gelesener Text in einem alten Kehrwieder Magazin mit der Überschrift „Der Seemann denkt gern“ kommt mir in den Sinn.
„…der Seemann sieht sich Tag und Nacht der Natur gegenüber und zwar dort, wo sie am unverbildetsten ist… vom Bombardement künstlicher Mache auf Auge und Ohr keine Spur….“. Der Text ist bereits 60 Jahre alt, doch er hat mich tief berührt. Er spricht mir aus der Seele und drück aus, was auch ich denke und empfinde. Hier draußen gibt es keine permanente visuelle Werbung, keine dauerhafte Beschallung und auch kein Meer an künstlichen Informationen. Hier draußen spüre ich den Einklang mit dem, was mich umgibt. Mit den ursprünglichen Kräften, die in der Stille mein Herz durchdringen. Hier draußen trifft Amor mit seinem Pfeil stets ins Schwarze und erfüllt mein Herz mit unendlich viel Liebe.
Diese Liebe ist es, die so vielen Menschen fehlt. Manipuliert und von außen in die Irre geführt, fern ab ihrer Selbst, hassen sie einander und vergessen dabei, worauf es eigentlich ankommen sollte. Es ist einzig die Liebe, auf die es ankommt. Die Liebe zu sich selbst, die Liebe zu Mutter Erde, zur Natur und ihrem Reichtum an selbstheilenden Kräften und somit auch zu seinen Mitmenschen. Es ist kein Wunder, dass ich lieber allein hier draußen bin, denn die positiven Schwingungen, die mich hier in der Stille erreichen, haben nichts gemein mit dem, was mich an Land umgibt.
Ich sei ein Kind des Meeres, schrieb mir eine liebe Stegnachbarin neulich als Antwort darauf, dass ich so wenig über meine eigenen Wurzeln weiß. Jene Wurzeln, die mich vor knapp 50 Jahren auf meinen eigenen Weg brachten und mit ihrem Sein das meine lange Zeit von außen mit Konditionierungen und nicht immer schönen Erinnerungen prägten. Und doch sind es eben genau diese Wurzeln, welche tief in mir verankert sind, die mich genau hier her gebracht haben. Ich weiß nicht viel über meinen Vater, der als junger Mann zur See fuhr, denn unser Verhältnis war aus unterschiedlichen Gründen stets angespannt, doch eines weiß ich heute mit Sicherheit: Meine Liebe zur See und all die damit verbundenen Erlebnisse und deren Auswirkungen verdanke ich ihm.
Ja, meine Liebe gilt der See. Und sie gilt ebenso meinem Vater, der mir diese tiefe Sehnsucht und Verbundenheit vererbt hat. Und sie gilt auch dem Menschen, der es unbewusst geschafft hat, mir Mut zu machen, die Kiste der Vergangenheit zu öffnen und so die Reise zu mir selbst erst antreten zu können. Danke dafür.
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