31. Juli 2024
It’s my life

Nun habe ich für alles gesorgt. Ich war noch für die Kinder einkaufen, habe die Wohnung geputzt und nochmal alles an Wäsche gewaschen was rum lag. Ich habe diverse Vorbereitungen getroffen, einen Notfallplan erstellt und meiner Tochter die Option gelassen in zwei Tagen mit ihrem Bruder auf Lille Bjørn nachzukommen oder bei ihrem anderen Bruder zu Hause zu bleiben. Wir werden sehen, wie sich entscheiden wird.

Gestern beim Motorcheck stelle ich zum ersten Mal fest, dass die Motorfüße meines Harrys in ungleicher Höhe stehen. Ob das so gehört weiß ich nicht und wieder einmal merke ich, dass ich nachlässig geworden bin und mich wieder mehr mit den Feinheiten an Bord beschäftigen muss. Eine leichte Unsicherheit überkommt mich. Wäre mir das nicht aufgefallen wenn etwas unrund läuft? Die Motorgeräusche und die Welle klingen wie immer und an Land vor ein paar Wochen sah am Wellenbock auch alles gut aus. Eigentlich kann da nichts sein und die ungleiche Höhe der Füße muss so gehören. Doch wie der Zufall es so will, ist mein Motormonteur der Firma Thiesen kurz vor Abfahrt auf dem Nachbarsteg zu Gange und hat zwei Minuten Zeit für mich. Er hat Findus‘ Motor seinerzeit eingebaut und niemand kennt ihn besser wie er. Er bestätigt im Handumdrehen, dass mit Harry und seiner Ausrichtung alles in Ordnung ist, sodass auch diesbezüglich meiner Auszeit nichts mehr im Wege steht.

Ich bereite nun alles vor, starte die Maschine und stehe auf dem Steg um die Leinen loszumachen, wie mein direkter Nachbar gerade kommt und mich lächelnd mit den Worten „Da kann ich dir ja schon wieder nicht helfen“ begrüßt. Er kennt meine Geschichte ein wenig und wünscht mir für meinen Törn alles Gute. „Versuch den Kopf frei zu bekommen und tu‘ was für dich“, rät er mir zum Abschied und es tut gut, diese Worte eines über 80-jährigen zu hören. „Ich beneide dich Marion“, ruft er mir noch nach wie ich aus der Reihe fahre und ich merke, dass ich die Gespräche mit ihm in den nächsten Wochen vermissen werde.

Beim Verlassen des Hafens werde ich sentimental, denn ich weiß, dass ich geweinte und ungeweinte Tränen hinterlasse. Es ist nicht leicht einfach aufzubrechen und ich bin mir dessen bewusst, dass ich als Mutter eine Entscheidung treffe, die zumindest im Augenblick nicht für alle Seiten die richtige zu sein scheint.

Auch mir kommen die Tränen und für einen kurzen Moment zweifle ich an mir als Mutter und als Mensch. Doch ich denke auch an meinen Vater und seine Entscheidungen, die weitreichende Folgen nicht nur für ihn, sondern auch für mein gesamtes bisheriges Leben hatten. Nein, ich möchte nicht in seinen Fußstapfen enden und muss deshalb mein eigenes Leben leben. Ich muss auf meine Gesundheit achten und meinem Sein endlich die Möglichkeit geben sich zu entfalten und sich zu festigen. Ich muss raus aus ungesunden Mustern und hoffe mein Umfeld, meine Kinder und Freunde werden das eines Tages verstehen.

Draußen ist Flaute und die ersten Meilen lege ich unter Maschine zurück, während meine Gedanken noch hin und her gerissen sind. Nur langsam schaffe ich es heute abzuschalten und meinen Kopf einigermaßen frei zu bekommen.

Wohin es heute geht weiß ich noch nicht. Ich bin etwas unschlüssig. Einerseits würde ich gern mal in Sønderborg unterm Alsik anlegen und mir ein Ticket für die Aussichtsplattform holen, um mein Boot von oben zu betrachten, doch beim passieren der Kong Christians X Bro sehe ich, dass die Kaimauer dort bereits komplett ist und auf Päckchen liegen habe ich einfach keine Lust. Das vermeide ich solange es irgendwie geht.

Ich fahre also mit Wind direkt von vorn nach Norden den Alssund hoch, wie mir auf einmal der Gedanke kommt, ich könne ja einer der Bojen der Dansk Sejlunion anlegen. Durch mein Fernglas sehe ich, dass die Boje am nördlichen Ende von Arnkil sogar noch ist und freue mich bereits auf einen ruhigen Abend. Doch ich habe die Rechnung ohne die X Yacht vor mir gemacht, die mir kurzerhand die kleine gelbe Tonne wegschnappt.

So setze ich also zum wiederholten Mal an diesem Tag die Segel und jetzt endlich ist sogar perfekter Wind zum Segeln. Kreuzend segle ich den Alsfjord hoch und spüre, wie die Ruhe und Gelassenheit in mir aufgeht. Das altbekannte Glücksgefühl macht sich breit und ich beginne mich und mein Sein zu spüren. Jegliche Last schrumpft zusammen und ich fühle mich frei. Frei im Hier und Jetzt.

Nach ein paar gelungenen Schlägen und einem herrlichen Am Wind Kurs mal auf steuerbord und mal auf backbord kommt nun das „Dinomaul“ in Sicht und so langsam werde ich nervös. Es ist bereits kurz vor 19 Uhr und in der Dyvig ist es immer voll. Heute gibt es keinen Plan B mehr. Irgendwie und irgendwie muss Findus einen Platz finden.

Vor mir fahren noch vier weitere Boote durch die Engstelle, während ich in Ruhe die Segel berge, die Fender und Leinen vorbereite und in aller Stille hoffe, dass sie mir nicht den letzten Platz wegschnappen. Hinter mir kommt vorerst keiner mehr, weshalb ich mir hier und jetzt alle Zeit der Welt lassen kann.

Der Hafen kommt in Sicht und eine 51 Fuß große Bavaria kommt mir entgegen. Ok, dieses Schiff ist riesig, aber Findus ist halb so groß. Für meine kleine PD wird sich doch sicher was finden, oder? Doch mein Blick durchs Fernglas ist nicht sehr vielversprechend. Ich erkenne Thunder, ein 30 Fuß Charterschiff aus Sonwik, mit dem ich selbst auch schon unterwegs war. Wenn Thunder nichts findet, wird es wirklich schwierig.

Ich fahre durch bis zur letzten Reihe. Hier stehen die kleineren Boote mit wenig Tiefgang. Doch auch hier ist nichts mehr frei. Keine eigenständige Box zumindest. Ich drehe um und weiß noch nicht so genau, was ich als nächstes tun soll. Da steht ein winkender Däne am Stegende und weist auf den Platz, der irgendwie kein richtiger Platz ist. Das Angebot nehme ich direkt an und will mit Findus eine Pirouette drehen, als ich einen plötzlichen sanften Ruck verspüre. Findus hat Grundberührung. Zum Glück jedoch nur leicht und auf Sand und ohne steckenbleiben. Eigentlich sollte ich hier noch zwischen 0,60m bis 1,10m unterm Kiel haben.

„This is the best place in harbour“, sagt der Däne lächelnt und ich bin froh darüber, dass es helfende Hände im Hafen gibt

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