24. August 2024
Lillebælt

Ich wache auf von der Stille im Hafen. Kein pfeifender Wind mehr, kein Rucken an den Leinen und auch kein Schaukeln im Boot. Hat der Sturm endlich nachgelassen?

Plötzlich bin ich hellwach. Ich muss los. Jetzt. Ich muss dieses Zeitfenster nutzen und endlich hier wegkommen. Nicht dass mir Søby nicht gefällt. Nein, ich bin gern hier. Ich mag den Hafen und freue mich immer wieder darauf herzukommen und morgens mit Leo, dem urigen Hafenmeister, einen Kaffee auf der „Geschichtenbank“ vorm Havnekontor zu trinken. Doch nach fünf Tagen reicht es jetzt auch mal und ich will einfach weiter. Auch wenn dieses Weiter den Weg Richtung heimatlicher Gewässer bedeutet.

Ein Blick auf die Vorhersage Apps und mein früher Enthusiasmus wird prompt ausgebremst. Die Deutsche App sagt mal wieder was anderes wie der Däne. Was zum Henker stimmt denn nun? Angenehmer Segelwind? Oder doch ein paar Knoten über dem, was meine persönliche Grenze ist? Ein paar wenige machen sich zum Auslaufen bereit und für die frühe Uhrzeit herrscht nun doch ein geschäftiges Treiben im Hafen.

Ich will heute zurück in die Flensburger Außenförde und es soll über den Lillebælt gehen. Der einstige „kleine Atlantik“ ist heute nur noch ein Katzensprung und eigentlich keine Rede wert, doch irgendwas hemmt mich und hält mich zurück.

Durch meine Unsicherheit und das lange Überlegen habe ich jetzt wohl das erste Zeitfenster verpasst, denn der Wind soll gleich noch einmal etwas aufdrehen und die angesagte Welle behagt mir auch nicht unbedingt. Ich hätte schon seit zwei Stunden unterwegs sein müssen, doch dafür ist es nun zu spät.

Ich schlendere also durch den Hafen, hin-und hergerissen zwischen dem Wunsch hier loszukommen und der Angst vor dem, was mich auf dem Lillebælt erwarten könnte. Ich liege hier im Hafen geschützt in der Landabdeckung und die Boote, die bereits ausgelaufen sind, haben allesamt ihren Kurs innerhalb der dänischen Südsee gesetzt. Bislang ist noch keiner Richtung Nordspitze und somit mit Kurs Lillebælt unterwegs.

Vielleicht habe ich doch einfach nur zu viel Angst? Doch woher kommt die auf einmal? Ich weiß es ich nicht, doch irgendwie ist die letzten Tage alles komplett aus den Fugen geraten und ich habe jegliches Vertrauen in mich selbst verloren. Liegt das an der Einsamkeit der Hafentage? Es ist verrückt, was das Außen in der Lage ist, mit meinem Inneren zu machen und dass ich es nicht schaffe, bewusst dagegen zu steuern. Es hinterlässt ein Gefühl von Schwäche und ich frage mich, wie viel Schwäche ich mir überhaupt erlauben darf.

Immerzu habe ich das Gefühl, irgendwem irgendetwas beweisen zu müssen, auch mir selbst. Immer will ich mithalten, mit den anderen, zum Teil viel größeren Booten und mehrköpfigen Crews. Was für ein Irrsinn. Doch es fällt mir schwer, bei mir selbst zu bleiben und meine Entscheidungen auf mich und mein Können zu fokussieren. Vielleicht steckt da der Wunsch nach mehr dahinter. Mehr zu sehen, mehr zu erleben, mehr zu erreichen.

Ich muss wohl lernen loszulassen und nicht immer nach den Sternen greifen zu wollen. Doch ich gebe nicht gern klein bei und mag es einfach nicht aufzugeben. Wo bleiben meine Träume, meine Liebe, mein Sein, wenn ich nicht um sie kämpfe?

Unsicherheit und Bedenken sind auch vier Stunden später und nach zwei Tassen Kaffee bei Leo noch da und die widersprüchlichen Vorhersagen von DMI und Windfinder irritieren mich noch immer, doch ich muss jetzt los. Vielleicht geht es nur in der Südsee weiter und ich warte irgendwo anders auf das nächste Zeitfenster in den kommenden Tagen, doch für den Moment tut es erstmal gut, die Leinen losgemacht zu haben.

Findus‘ Großsegel habe ich mal wieder gerefft und irgendwie habe ich den Eindruck, dass mein Boot mit weniger Segelfläche viel besser segelt. Der Druck und damit verbundene Kraftaufwand ist viel geringer und doch ist Findus schnell. Das Segel steht am Wind wie ein Brett und mein Schiff liegt nicht so stark auf der Seite. Mir gefällt das und ich bin nicht die einzige, die mit gerefftem Groß unterwegs ist.

Es tut gut zu segeln. Den Wind zu spüren und dem Geräusch der vorbei rauschen See zu lauschen. Ganz langsam kommt es zurück, das Gefühl zu mir selbst. Die Selbstsicherheit und mein Mut. Das Leben in mir. Mein Sein.

Will ich wirklich in der Südsee bleiben? Eigentlich nicht. Ich setze meinen Kurs nun doch auf Skjoldnæs und folge denen, die bereits vor mir den Hafen verlassen haben.

Es war eine gute Entscheidung, denn hier draußen fühlt es sich richtig an. Tief durchatmend spüre ich wieder diese Dankbarkeit, während Findus vergnügt durch die Wellen meines „kleinen Atlantiks“ springt und die See mit seinen rund drei Tonnen teilt, sodass die Gischt durch die Sonne kleine Regenbogen auf der Wasseroberfläche tanzen lässt.

Ich stehe derweil im Cockpit, singe die Lieder meiner siebziger Playlist mit und genieße das Hier und Jetzt. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, nicht wer weiß wo zu segeln. Vielleicht muss ich nur wirklich daran arbeiten loszulassen und mit dem im Reinen zu sein, was mir vergönnt ist.

Zurück in der Außenförde frischt der Wind leicht auf und dunkle Wolken versuchen mich abzuschrecken. Doch heute schüchtern sie mich nicht mehr ein und mit über sieben Knoten auf Halbwindkurs rennt Findus los. Wir leben.

In Høruphav angekommen fühle ich mich leicht heimisch. Hier ist alles so vertraut und ich lege in „meiner“ Box an, in der ich hier fast immer liege. Hier spüre ich zum Teil mehr Urlaubsfeeling, wie in weit entfernten, jedoch lieblosen und tristen Häfen und ein bisschen bin ich froh, wieder hier zu sein.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Archiv