3. August 2024
Nicht ganz bei mir

Mittlerweile ist Jannik ist mit Lille Bjørn angekommen und der Vorabend wurde genutzt, um nochmal den Wind und das Wetter, den Strom und die Dünung auf den verschiedenen Kursen zu besprechen, die als Möglichkeit für den morgigen Törn in Frage kommen. Gehen wir nach Norden? Oder wollen wir nach Osten rüber? Die Qual der Wahl. Was wird wohl das Richtige sein? Welche der uns unbekannten Häfen bieten auch am späten Nachmittag noch freie Plätze für zwei kleine Polaris Drabant 26? Unsicherheit und aufkeimende Bedenken schleichen sich ein. Wie immer im Sommer. Es heißt einfach jetzt oder nie. Hop oder top. Doch es heißt auch, wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

In der Südsee herrscht Flaute. Mal wieder. Nicht das kleinste Lüftchen weht, doch wenn wir jetzt nicht aufbrechen, dann stehen wir wahrscheinlich ewig hier. Doch so gern ich auch hier bin und Søby mir weit mehr Heimathafen ist, wie mein Platz in Flensburg, ich muss los und zwar jetzt.

Ich habe Hoffnungen, Wünsche und Träume und auch wenn vieles in meiner aktuellen Situation nicht unbedingt realisierbar erscheint, so möchte ich doch das bestmögliche versuchen rauszuholen.

Es hat nicht wirklich was mit Segeln zu tun und Entschleunigung ist das wahrhaftig auch nicht, was ich hier mache. Doch ich habe lediglich die Wahl zwischen: jetzt unter Maschine Strecke machen und dann entschleunigen, wenn ich dort bin, wo ich sein möchte oder jetzt dümpeln und immer auf der Stelle treten. Ist das undankbar? Ist es egoistisch seine Ziele umsetzen zu wollen? Kann das Hier und Jetzt immer zufriedenstellend sein? Sind es nur Befindlichkeiten, wenn man sich versucht seine Träumen zu erfüllen?

Nein, ich pfeif‘ auf das schlechte Gewissen. Ich habe schon immer auf zu vieles in meinem Leben verzichtet und mich viel zu oft nur hinten angestellt. Doch auch ich habe nur dieses eine kleine Leben und das möchte endlich gelebt werden. Mit allem was dazu gehört. Mit Freud und Leid, Liebe und Wut, Fröhlichkeit und Trauer. Still und leise und manchmal auch wild und laut. Genauso wie die See. Mal spiegelglatt und dann wieder rau. Mal tief und unergründlich und dann wieder flach und durchschaubar.

Der Motor röhrt und der Svendborgsund ist schnell erreicht. Ich mag es hier nicht sonderlich, doch es ist nunmal der direkte Weg Richtung Norden. Es ist eng hier und irgendwie chaotisch. Eine Fähre kommt von vorn, kurz darauf eine von achtern. Sie rauschen vorbei. Stur, irgendwie riesig und viel zu dicht. Sie werfen Wellen und verschwinden genauso schnell wie sie kommen. Was bleibt ist das Aussteuern der aufgewühlten See und das möchte ich ungern unter der Brücke tun, weshalb ich kurz aus dem Fahrwasser ausschehre und den Fähren ihren Vortritt lasse.

Motorboote und Segler. Angelboote und Fischer. Ausflugsdampfer und Berufsschiffe. Hier im Sund sind sie alle auf engem Raum vertreten und irgendwie herrschen hier andere Gesetze.

Überall stehen Tonnen, die das Fahrwasser anzeigen, doch kaum einer befährt diese Schifffahrtswege so, wie es eigentlich vorgesehen ist.

Ich habe dennoch Glück, denn immethin ist der Strom hier mit mir. Die Landschaft, schön und lieblich, zieht schnell an mir vorbei und ich lasse sie ziehen, denn mein Tagesziel liegt weiter draußen.

Ich kann es kaum erwarten, bis ich die Segel setzen kann und endlich Ruhe einkehrt. Doch der Wind kommt nun achterlich und die Welle wirft mein Schiff hin und her. So richtig entspannt und schön ist das irgendwie auch nicht. Ich entscheide mich deshalb dafür, vorm Wind zu kreuzen. So nimmt mein Boot wenigstens Fahrt auf und ganz nebenbei lasse ich das Land weiter weg von mir.

Das ist es, was ich so sehr liebe. Dieser Anblick ins Blau. Die See, der Himmel, die Weite. Viele Segler sind hier nicht unterwegs, doch vielleicht kommt mir das auch nur so vor. Die Distanzen hier sind größer und die Perspektive eine andere. Es ist wie mit der Briefmarke an der Wand, die klein und verloren erscheint, weil das Größenverhältnis sie unscheinbar aussehen lässt.

Hier und da kreuzt dann aber doch die eine oder andere Yacht meinen Weg. Sie kommen von vorn und rauschen vorüber oder sie kommen von hinten und ziehen an mir vorbei. Die meisten Segler sind größer und laufen einfach schneller wie mein kleiner Findus. Fremde Menschen grüßen freundlich und ziehen in windeseile wieder von dannen. Ich sehe ihnen nach und schaffe es heute irgendein nicht, mit meinen Gedanken bei mir zu bleiben. Immer wieder huschen längst vergessen geglaubte Bilder durch meinen Kopf, deren Erinnerung durch die fremden und mir unbekannten Menschen an Bord dieser Schiffe getriggert werden.

Wie meine Gedanken, so ergraut jetzt auch der Himmel über mir. Die Wellen rollen von achtern unter mir hindurch und formieren sich vor und neben mir erneut zur Dünung. So waren sie gar nicht angesagt. Fasziniert sehe ich ihnen zu, während sie mein Boot anheben und mit sich tragen und dann wieder zurücklassen. Ja, denke ich bei mir, so ist es auch im Leben. Weggefährten für den Moment. Sie kommen und begleiten einen eine unbestimmte Zeit lang. Sie wühlen das Leben auf, geben Richtungen vor, denen man folgt oder sich widersetzt und dann verschwinden sie wieder und hinterlassen nicht selten eine traurige Leere.

Heute ist einer dieser Tage, an denen ich es nicht schaffe mein Glück zu greifen. Es zieht an mir vorbei und so schön hier draußen auch alles ist, heute stellt sich kein Sein ein. Heute siegt die Traurigkeit der Einsamkeit über die Faszination des Seins und ich bin froh, als ich endlich in Nyborg anlege und mich nach dem Bezahlen erschöpft auf meine lege und nichts mehr tun muss.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Archiv