15. August 2024
Øresund

Wenn nicht jetzt, wann dann? Heute ist das erhoffte Zeitfenster zum weiter südlich kommen. Es gibt wenig Strom, keine Welle und vorerst auch kaum Wind. Es wird wohl ein Motortörn werden und mit Segeln wird das heute nicht viel zu tun haben. Doch ich möchte runter, Richtung Süden. Ich möchte den Øresund hinter mir lassen. Mir hängt noch immer die Nummer mit dieser Welle nach und ich glaube, es wird noch einige Tage der guten Erfahrungen brauchen, bevor ich beim Augenschließen nicht mehr diese Bilder vor mir sehe.

Um sechs Uhr am Morgen starte ich deshalb den Motor. Der Schwede neben mir wird dabei wahrscheinlich etwas unsanft geweckt, doch das kann ich nunmal nicht ändern. Ich muss los. Jetzt.

Die Sonne ist gerade aufgegangen und versucht ihr Licht durch die Wolken hindurch in den Tag zu schicken. Ich liebe dieses Licht. Die Spiegelung im stillen Wasser und dann das immer mehr werdende Glitzern auf der Oberfläche. Erst ist es orange, dann wird es golden und schließlich, kurz bevor es verschwindet, weil die Sonne zu hoch steht, weiß.

Eigentlich finde ich es gar nicht so schlimm, dass ich unter Maschine unterwegs bin. Die Gegend hier ist absolut neu für mich und ich muss gestehen, es gibt so viel zu sehen, dass ich aus dem Staunen kaum noch raus komme. Jetzt noch auf die Segelstellung zu achten würde mich zwar nicht unbedingt überfordern, jedoch könnte ich mein Augenmerk nicht so auf all das Drumherum legen, wie ich es unter Motor kann. Heinrich unterstützt mich dabei und hält zuverlässig den eingegeben Kurs.

Fähren kreuzen meinen Weg, Fahrwasser und Berufsschifffahrt, Tonnen und ein immer wieder neues Bild der Küste lassen die Zeit wie im Fluge vergehen. Hier gibt es überall Häfen an der Ostküste Sjællands. Immer wieder greife ich zum Fernglas, um das Bild, welches ich in weiter Ferne nicht so wirklich erkennen kann, dichter zu holen. Wenn man möchte, könnte man hier sicherlich einige Wochen allein nur im Øresund verbringen und diverse Häfen kennenlernen.

Mir war ja bewusst, das wenig Wind angesagt ist, doch dass das Wasser nicht mal das geringste Kräuseln auf seiner Oberfläche zeigt, ist jetzt schon etwas schade. Eigentlich möchte ich so gern segeln. Doch entweder es knallt der Wind mit über 30 Knoten rein und es steht eine Welle, mit der ich noch nicht richtig umgehen kann oder es weht kein Lüftchen und die See um mich herum ist der reinste Ententeich.

Ich mache mir erstmal einen Kaffee. Die Nacht war mal wieder kurz und um der mit Sicherheit irgendwann anrollenden Müdigkeit ein wenig vorzubeugen tut etwas Koffein vielleicht ganz gut. Ich habe mir angewöhnt, dass wenn der Törn früh startet, ich entweder bereits im Hafen den Kaffee fertig brühe oder mir, so wie heute, wenigstens heißes Wasser mitnehme, um unterwegs frischen Kaffee machen zu können.

Es dauert gar nicht lange, da liegt Kopenhagen vor mir. Gespannt blicke ich auf das Gewirr aus Tonnen auf der Seekarte. Rote, grüne, gelbe. Ein Farbenmeer auf weißem Hintergrund. Doch ich stelle fest, dass es in Wirklichkeit gar nicht so wirr ist, wie es auf der Papierkarte erscheint. Alles ist weitläufig und da wenig Verkehr auf dem Wasser ist, macht es sogar Spaß, die Küste, die Fahrwasser und auftauchenden Marinas mit dem Fernglas zu orten und ihnen mit den Augen zu folgen.

Doch Kopenhagen ist heute keine Option. Mich reizt die Großstadt einfach nicht und ich gebe zu, ich habe keine Lust einer dieser Betonnungen zu folgen, um am nächsten Tag da wieder raus zu müssen. Sicherlich wäre das etwas anderes, wenn ich einige Tage Zeit hätte und mich dann auch emotional auf den Trubel und das Stadtgeschehen einlassen kann. Doch heute ist dem nicht so und ich möchte weiter.

Ich lasse Dänemarks Hauptstadt an mir vorbei ziehen, während ich durchs Fernglas die riesigen Bauten und die am Wasser liegende Industrie betrachte. Nein, ich bin kein Stadtmensch, wenngleich ich in einer Großstadt aufgewachsen bin. Mich zieht es ins Ländliche. Dorthin wo weniger Menschen sind und Ruhe einen höheren Stellenwert hat, wie all das Stadtgeschehen. Ein kurzer Gedanke über das Richtigsein meines Selbst flackert auf, doch ich schiebe ihn direkt wieder zur Seite. Ich bin. Das ist das einzig entscheidende. Ohne Rechtfertigung, ohne Zwang, ohne von außen auferlegtes. Einfach sein.

Flugzeuge, große Passagiermaschinen, fliegen hier gefühlt fast im Sekundentakt aus Richtung Nordost den Flughafen von Kopenhagen an. Wahnsinn, was hier los ist. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Menschen aus all diesen Fliegern allesamt zur ähnlichen Zeit auf dem Flughafen ankommen und wie in einem Ameisenhaufen umher wimmeln. Da lobe ich mir doch meinen kleinen Findus und bin durchaus dankbar dafür, hier allein zu können.

Ich bin gern allein hier draußen und immer erst im Nachgang fehlt mir die zweite Person, mit der ich Gesehenes und Erlebtes teilen kann. Ich kann mich allein über das, was ich im Hier und Jetzt erlebe, unheimlich freuen und finde es irre schön, einfach sein zu können. Doch ich kann keinen Rückblick des Tages teilen, denn es sind stets nur meine eigenen Erinnerungen.

Der erste Hafens, der für heute als Möglichkeit für mich in Betracht kommt, ist Dragør. Doch ich entscheide mich im Einvernehmen mit Lille Bjørn dagegen. Noch sind wir in Flottille unterwegs und unser beider Ziel ist es nun mal, zeitnah dichter gen vertrauter Regionen zu gelangen.

Noch ist kein nennenswerter Wind und ich möchte die Gegend hier lieber schnell hinter mir lassen. Es klingt etwas komisch, denn sonst möchte ich immer weg und nun möchte ich auf einmal zurück. Doch der Druck, den mir die Zeit in den Nacken setzt, lässt mich nicht wirklich entspannen. Auch wenn jetzt und heute noch genügend Zeit ist, so braucht es nur einige weitere Starkwindtage und ich bekomme ein Problem. Nein, es ist sinnvoller in bekannten Gewässern noch etwas in Ruhe unterwegs zu sein, statt hier jeden Tag das Risiko eines erneuten Kampfes gegen Wind und Welle einzugehen.

Weiter unten wird zwar der Strom zunehmen und mit bis zu 1,5 Knoten gegen mich sein, doch das kann die kommenden Tage auch so sein und sogar noch zunehmen. Nein, heute möchte ich einfach Meilen machen. So nach dem Motto: Was man hat, das hat man.

In der Mitte der Køge Bugt frischt der Wind nun tatsächlich auf und die Strömung ist jetzt merklich gegen mich. Wie aus den Nichts wird die See unruhig und Findus kommt nicht mehr richtig voran. Mein Boot will gerade beginnen sich in den Wellen festzustampfen, wie mir der Gedanke kommt, dass die Stärke des Stroms dichter an der Küste abnehmen müsste. Auch hier sind Ecken und Buchten, an denen der Sog sich nährt und wo ich die Chance habe, entgegen der hiesigen Strömungsrichtung etwas schneller voran zu kommen. Der Plan geht auf. Mit Motorkraft und der Hilfe des Vorsegels gelingt es mir, Findus wieder etwas auf Speed zu bringen. Zwar geht es jetzt nicht mehr mit direktem Kurs Richtung Rødvig, doch immerhin bin ich nun schneller und obendrein macht es sogar Spaß.

Respekt habe ich dennoch. Noch traue ich mich nicht richtig zu segeln und die Maschinenkraft komplett wegzunehmen. So segle ich eben dänisch ein paar Meilen, mache mich aufs Neue mit dem mich umgebenden Element vertraut und genieße die kühle Gischt, die hin und wieder mein Cockpit erreicht und eine sanfte Abkühlung auf meiner sonnenerwärmten Haut bringt.

Wo die Sicht eben noch trüb war und ich kein Land richtig erkennen konnte, kommt nun die Küste der Faxe Bugt deutlich in Sicht. Auch hier, rund 20 Seemeilen nordwestlich von Mønsklint gibt es Kreidefelsen. Sie erheben sich steil aus dem Meer und anhand ihrer Struktur lässt sich erahnen, welche Widerstandskraft und Stärke dieses Gestein haben muss, wenn es Wind und Welle über Jahrtausende hier derart trotzen kann.

Nach 55 Meilen bin ich nun doch froh, endlich im Hafen von Rødvig anzukommen und mache direkt hinter der Hafeneinfahrt fest. Die vielen Eindrücke heute, der wenige Schlaf und die Zeit fordern ihren Tribut. Doch bevor ich mich am Abend auf meine Koje lege, wandere ich noch zu den Klippen, um sie unmittelbar vor mir zu sehen. Schön ist ist es hier und eigentlich würde ich gern bleiben, doch morgen wird es zeitig weitergehen und zum Verweilen bleibt nur wenig Zeit.

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