11. August 2024
Schweden

Der Wind kommt heute aus Nordwest, das bedeutet Halbwindkurs, denn ich möchte heute nach Schweden übersetzen. Es sind nur knappe zehn Meilen, was wiederum bedeutet, das ich in ungefähr zwei Stunden drüben sein kann. Klingt irgendwie verrückt. Schweden. Doch anderseits; warum nicht?

Ich kann nicht sagen, dass ich heute frei von Angst bin, doch die Bedingungen scheinen zu passen. Ich fasse also Mut und mache gegen 9 Uhr mein Schiff fertig zum Ablegen und reihe mich ein in den Fluss derer, die Gilleleje ebenfalls verlassen.

Noch im kleinen Vorhafen drehe ich schnell in den Wind und setze mein gerefftes Großsegel. Draußen vorm Hafen steht noch immer eine ziemliche Welle und da möchte ich mich nicht in den Wind stellen. Bei dem Gestampfe gegenan ist es immer blöd das Segel hochzuziehen. Mein kleines und verhältnismäßig leichtes Schiff wird da nur zu viel hin und her geworfen.

Wellen rauschen aus dem Kattegat auf mich zu. Sie hatten lange Zeit sich aufzubauen und rollen nun gemächlich in den Øresund hinein. Der Wind kommt derweil etwas zu weit achterlich, sodass ich nicht wie angenommen einen Halbwindkurs segeln kann, sondern eher in raumschots drehe, was bedeutet, dass die Segel bei jeder ungünstig genommenen Welle ins Schlackern kommen, da mir beim Absurfen der Dünung der Wind aus den Segeln entwischt.

Es ist nervtötend. Mein Ziel liegt weiter südlich und der Kurs dorthin würde mit dem Wind passen, wenn da nicht ein Verkehrstrennungsgebiet läge. Wie war das noch? Im 90 Grad Winkel durchfahren oder am Anfang oder Ende passieren? Ich blicke mich um, kaum einer fährt Richtung Osten und die Boote, die ich noch sehen kann, deren Perspektive und Kurs kann ich nicht mehr richtig erkennen. Ich sehe aufs AIS. Da kommt die nächsten Meilen nichts Großes angefahren. Ich pfeife also aufs Verkehrstrennungsgebiet und passe meinen Kurs wenigstens um ein paar Grad an, damit die Segel nicht immer den Wind verlieren.

Mitten auf dem Øresund, um mich herum ist niemand, kommt auf einmal eine fürchterliche Welle auf mich zu. Wie hoch soll die denn bitte sein? Blitzschnell ziehe ich mein Großsegel dicht und drehe Findus leicht nach Backbord in Richtung Welle. Dennoch wirft sie mich ziemlich auf die Seite. Mein Boot rollt hin und her, während ich sehe, dass dort vom Kattegat aus noch weitere Wellen diesen Kalibriers anrollen.

Ich bekomme tatsächlich etwas Angst. In der Ferne sieht dabei alles so ruhig aus. Doch das täuscht. Die Größe des Raumes der mich umgibt, lässt die Bewegung auf dem Wasser in der Weite nichtig erscheinen. Doch aus der Nähe betrachtet türmt sich das Wasser unheimlich auf. Gefühlt muss dieser Wasserberg vielleicht knapp seine zwei Meter haben. Angesagt ist hier aktuell eine signifikante Wellenhöhe von bis zu einem Meter, was allerdings bedeutet, das ungefähr 13% der Wellen um die 30 cm Höher daher kommen wie der Durchschnitt. Ich merke, ich habe mich in der Vergangenheit zu wenig mit dem Thema beschäftigt und jetzt will ich hier nur noch weg. Das Thema „Wissenswertes zu Welle und Dünung“ gehe ich dann später im Hafen mal an.

Ich starte den Motor und ändere den Kurs Richtung Höganäs. Ich will nur noch ankommen. Das Vorsegel schlackert und ich rolle es lieber ein. Das Groß bleibt stehen. Ich weiß noch nicht, wie ich das bei der Welle je wieder runter bekommen soll.

Vielleicht bin ich aber auch nur zu feige. Oder ich kann es einfach nicht. Ich bin bei weitem nicht die Seglerin, die hin und wieder von außen in mich hinein projiziert wird. Lille Bjørn, der vor mir den Hafen von Gilleleje verlassen hat, wird nun achteraus immer kleiner. Doch er segelt weiter. Der kleine Bär ist zwar trotz des voll gesetzem Großsegel langsamer wie Findus im ersten Reff, doch der Druck im Segel gibt ihm natürlich mehr Stabilität. Ich blicke immer wieder nach hinten zu meinem Sohn und sehe, wie sein Schiff immer kleiner wird.

Je weiter in meinem Ziel komme, desto ruhiger wird die See. Jetzt kann ich das Großsegel runter holen. Der spärliche Wind kommt nun direkt von hinten und Findus ist unter Maschine schneller, sodass ich nicht in den Wind drehe und das Fall einfach so löse. Das Segel rauscht runter und die Wellen im Blick, gehe ich an Deck und binde es nur schnell und ziemlich lieblos fest.

Die Hafeneinfahrt von Höganäs liegt endlich vor mir. Ich habe es fast geschafft. Ob ich eine frei Box finde ist mir heute egal. Notfalls lehne ich mich einfach nur irgendwo an. Doch durch die schmale Einfahrt erstmal durch, sehe ich schnell, dass noch diverse Boxen auf grün stehen. Ein kurzes Manöver und Findus steht fest und sicher in einer zwar viel langen Box, doch er steht.

Ich kann es kaum glauben. Ich bin echt in Schweden. Einhand. Vollkommen auf mich gestellt. Und ja, ich spüre sowas wie Stolz, denn ich habe eines meiner Ziele erreicht. Auch wenn ich hin und wieder emotional gern den richtigen Menschen dabei hätte, so bin ich doch unabhängig. Und was ich mit Findus erreichen möchte, dass schaffe ich auch allein und das ist in meinen Augen ein riesiger Vertrauensbeweis in mich selbst.

Jetzt im Hafen nehme ich den dänischen Dannebrog runter und hisse stattdessen die schwedische Gastlandflagge unter der Saling an der Steuerbordseite. Ein gutes Gefühl. Deutschland und Schweden.

Mich persönlich verbindet noch eine weitere Geschichte mit diesem Land, denn mein Urgroßvater, den ich nicht kannte, stammt von hier. Er war ein Seefahrer aus Malmö und den Erzählungen zu folge, soll er die Mutter meiner Oma bei einem Besuch in Hamburg kennengelernt haben. Leider weiß ich nicht viel über Carl Vilhelm Carlson, der am 22.10.1883 in Schweden geboren wurde.

Der Hafen ist mir vertraut. Vor fünf Jahren war ich schon einmal hier und verändert hat sich kaum etwas. Ich mag es, wenn etwas eigentlich alt bekanntes erneut entdeckt werden kann und ich hier und da meine Erinnerungen auffrischen und mit einem stillen Lächeln belegen kann.

Der Hafen selbst ist nicht wirklich spektakulär, doch was mich sehr überrascht ist die Tatsache, dass das Liegegeld hier extrem günstig ist. Nur 200 SEK, umgerechnet rund 17,50 Euro, wollen sie hier haben. Das sind ungefähr zehn Euro weniger, wie ich in dänischen Häfen für eine Übernachtung zahle. Und hier habe ich sogar Strom und Dusche inklusive.

Auf dem Weg zum Bezahlautomaten fallen mir die roten Flaggen mit dem gelben Kreuz auf. Was sind das für Flaggen? Ich habe sie noch nie gesehen. Sie sind eine Mischung aus dänischer und schwedischer Flagge. Das Kreuz ist schwedisch und der Hintergrund dänisch und sie weist damit auf die dänische Tradition und Geschichte des Landesteils und gleichzeitig auf die Zugehörigkeit Schwedens hin.

Der Tag ist noch lang und im Hafen gibt es nicht viel zu sehen. Die nächsten Tage werden ungemütlich werden und wohl eher Tage zum unter Deck einkuscheln und nichts tun. Doch heute scheint die Sonne und einer spontanen Eingebung folgend leihe ich mir ein Fahrrad im Hafen und mache mich auf, rund 14 Kilometer nach Norden zu radeln.

Der Kattegattleden führt entlang der Küste, vorbei an kleinen Siedlungen, einem alten stillgelegten Bahndamm und zwischen Wiesen und Feldern hindurch. Schön ist es. So ruhig und grün.

Das kleine Fischerdorf Mölle liegt am Hang des Kullaberg und ein süßer kleiner Hafen liegt ihm ebenfalls zu Füßen. Für einen kurzen Moment denke ich, dass es doch viel schöner gewesen wäre hier her mit meinem Boot zu fahren. Doch mein Verstand mischt sich sofort dazwischen. Die nächsten drei Tage werden hier aus Nordwest bis zu 30 Knoten Wind erwartet. Hier so ungeschützt mit Findus zu stehen wäre absolut dämlich.

Mein Ziel ist es, auf den Berg zu kommen. Wanderwege, Leuchtfeuer, Leuchtturm und diverse Aussichtsplattformen locken mich, doch es dauert nicht lange und ich merke, was für eine fixe und dabei auch unüberlegte Idee das ist.

Wie sich relativ schnell heraus stellt ist der Weg einfach zu steil. 12% Steigung mit dem Rad sind nichts für Ungeübte und so gebe ich nach kurzer Zeit klein bei und kehre um.

Immerhin die erste Aussichtsplattform erreiche ich und bin bereits hier überwältigt vom Anblick des riesigen Kattegats, der traumhaften Weite und des kleinen Hafens Mölle. Landschaftlich ein absoluter Traum.

Ich versuche am Hang des Berges mein Glück und in der Tat finde ich hier, wonach ich heute gar nicht gesucht hatte.

Hier unten liegt der Eintritt in das Naturreservat Kullaberg und was mich hier erwartet, verschlägt mir fast den Atem, so schön empfinde ich es.

Wie entführt in eine andere Welt folge ich dem schmalen Weg und befinde mich nur wenig später inmitten von Felsen und Steinen, in einer Landschaft so karg und schön, dass ich gar nicht weiß, wohin ich zuerst blicken soll.

Steine üben eine unglaubliche Faszination auf mich aus und ich liebe das Gefühl sie zu berühren. Von der Sonne aufgeheizt speichern sie die Wärme und das von ihnen reflektierte Licht der Sonne wirkt so friedlich. Es mag total bescheuert klingen, aber wie ein kleines Kind, das alles anfassen muss um es zu begreifen, so spüre ich den Drang, jeden Fels zu berühren, um seine Energie in mich aufzunehmen. Und es scheint zu funktionieren, denn ich spüre so unheimlich viel Leben in mir.

Immer weiter folge ich den angelegten, wenngleich auch schief und krummen Wegen, die nicht selten mit einiger Kletterei und Vorsicht zu genießen sind. Es wundert mich nicht, dass die Schweden ein zufriedenes Volk sind. Sie tragen Eigenverantwortung und werden nicht reglementiert. In Deutschland wären Wege wahrscheinlich nicht so zugelassen und überall gäbe es Verbotsschilder. Doch hier ist alles anders.

Hier liegt auch weder Müll rum, noch stehen hier an jeder Ecke Mülleimer. Jeder nimmt einfach wieder mit, was er mitgebracht hat und am „Eingang“ kann dann jeder seinen Müll sortiert entsorgen. Einfach so. Ohne Anleitung.

Ich suche mir eine Felsniesche und bleibe da. Die warmen Steine, die mich umarmende Sonne, das Blau des Kattegats und die Stille hier auf dem Stein sind ein absoluter Traum. Wie gern möchte ich mal mit meinem Boot auf einer Schäre festmachen. Vielleicht mit dem richtigen Menschen. Ich schließe die Augen, genieße den Moment schließe dieses Hier und Jetzt ganz fest in mein Herz ein.

Auf dem Rückweg erwartet mich noch eine besondere Überraschung. Ein Pool direkt am Meer. Wo gibt es denn sowas? Die Sonne geht bereits leicht unter und ich habe den flachen Pool mit seinem glasklaren und herrlich erfrischenden Wasser ganz für mich allein. Ein Traum.

Ich überlege nicht lange und ziehe Schuhe und Jeans aus und wate hindurch und spritze das Wasser mit den Händen empor. Es ist herrlich. Bin ich hier wirklich in Schweden? Wahnsinn.

Der Weg zurück nach Höganäs kommt mir kaum noch so lang vor wie auf dem Hinweg. Erfrischt, froh und glücklich trete ich in die Pedale und bin dankbar für diesen wunderbaren Tag.

Die nächsten Tage werden stürmisch und so widme ich mich den Dingen, die nunmal auch getan werden müssen. Wäsche waschen, einkaufen, tanken und aufräumen. Dazwischen faulenzen, meinen Gedanken nachhängen und träumen.

Ich versuche zu entspannen, doch der Wind pfeift mit bis zu 32 Knoten durch die Masten. Findus ruckt und zerrt an den Leinen und von nebenan knallen Fallen an die Masten der anderen Boote. An Schlaf ist kaum zu denken und ewig bin ich wach. Erst am nächsten ist das Ausmaß des Windes in der Marina sichtbar. Gerissene Festmacherleinen, ein verbogener Bugkorb, eine fliegende und wild flatternde Vorsegelpersenning, Abschabungen an hölzernen Steg durch die Trittbretter am Bug einiger Schiffe. Es ist schon krass, was in einer Sommernacht alles zu Bruch gehen kann.

Bevor ich am darauffolgenden Tag Schweden wieder verlassen werde, fahre noch einmal mit dem Rad in Richtung Kullaberg und genieße die Aussicht, die Steine und den Wald.

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