18. August 2024
Vejrø, die Insel im Småland

Der Sommer beginnt so langsam zu schwächeln. Neulich Morgen hatte ich bereits ein feuchtes Deck und heute sind die Fenster zum ersten Mal wieder leicht beschlagen. Die Nächte werden jetzt wieder länger und es wird langsam kühler. Zwar sind die Häfen jetzt nicht mehr so überfüllt, doch ist der Wind irgendwie unbeständig. Dieses Hin und Her zwischen zu viel und zu wenig nervt etwas. Unter Maschine bei Flaute geht natürlich immer was. Vorausgesetzt einer der folgenden Häfen bietet die Möglichkeit dort meine Kanister nachzufüllen. Doch so richtig bei mir selbst ankommen, kann ich bei diesem ewigen Geknatter meines Harrys nicht.

Heute ist der Himmel zum Glück wieder blau und es verspricht ein schöner Tag zu werden, dessen Stunden ich nicht ungenutzt verbringen möchte. Auch der angesagte Wind könnte heute, wenn er auch mal wieder aus einer ungünstigen Richtung kommt, gut werden.

Ich habe jedoch erstmal einiges an Strecke vor mir, die ich aufgrund von Flachwasser, Stellnetzen und erneuter Betonnung durch weitere Brücken nicht Segeln kann. Dieses Gebiet hier ist einfach nicht meins. Jakob meinte noch, nach der Osttonne südöstlich von Vordingborg könne ich abkürzen, doch so ganz geheuer ist mir das nicht. Da freunde ich mich zwar so langsam mit der geringen Tiefe hier an, doch stehen jetzt überall da, wo ich nun fahren würde, in aus meiner Sicht wirrer Anordnung bunte Fähnchen der hiesigen Fischer. Ich durchblicke dieses Konzept einfach nicht. Hier sind gelbe Fähnchen, dort schwarze, blaue oder grüne. Es gibt sie in sämtlichen Farben. Mal gehören zwei zusammen, mal drei, vier oder mehrere im Kreis. Und ob zwei Fähnchen übereinander nun wirklich Süd oder doch Nord bedeuten ist aus der Perspektive für mich auch nicht wirklich ersichtlich. Ich gebe es auf, durch das Flachwassergebiet abkürzen zu wollen und fahre doch bis zum Ende der Betonnung.

Die nächste Brücke liegt vor mir. Es ist die Storstrømsbro und Britta erzählte mir gestern, dass es hier nicht gern gesehen wird, wenn man sich nicht an das vorgegebene Fahrwasser hält. Da ich mich in unbekannten Gefilden aber ohnehin lieber an die Seekarte halte und mein kläglicher Versuch eben noch auf Jakobs Empfehlung hin abkürzen zu wollen, auch nicht von Erfolg gekrönt war, halte ich mich dran und bin froh, wie ich endlich durch bin.

Es folgt die letzte Brücke, die sich aktuell noch im Bau befindet und deren gut Betonnte Durchfahrt nicht mehr mit der aktuellen Angabe in meiner Karte übereinstimmt. Was für ein gigantischer Aufwand es doch ist, so eine Brücke zu bauen.

Hinter der letzte Brücke setze ich nun endlich die Segel. Der Wind kommt von Ost. Ich muss kreuzen. Doch das ist mir egal. Ich will Ruhe und hier ist sie endlich. Herrlich. Bestes Schönwettersegeln, wobei ich gute vier Knoten Fahrt errriche und das Geräusch des vorbei rauschenden Wassers genieße. Hin und wieder spüre ich, wie die Strömung versucht mein Schiff zu erfassen. Ein kurzer Rück geht vom Rumpf aus durch das Boot und ein kurzes Gegensteuern ist nötig. Es ist eine interessante Erfahrung, die ich in diesem Sommer auf dem gesamten Törn mache, denn soviel Erfahrung mit unterschiedlicher und querlaufender Strömungsrichtung habe ich noch nicht. Im Lillebælt geht’s da doch immer relativ konstant nach oben oder nach unten, aber nicht so kreuz und quer wie hier.

Der Hauch von Weite, den ich hier im Småland empfinde, bringt mich wieder ein Stückchen weiter zu mir selbst. Es fühlt sich gut an. Eine anhaltende Böe erwischt mich und sofort fühle ich, wie mein Boot abzuheben scheint. Findus will es genauso wie ich und die Bedingungen sind hier endlich mal wieder so entspannt, dass es Spaß macht unterwegs zu sein. Kein Kampf gegen Wind und Welle und auch kein Aushalten der trägen Flaute. Kurz schließe ich meine Augen, atme tief ein und aus und spüre in mich hinein. Ich fühle Dankbarkeit und schicke ein stilles „Danke“ hinaus in die Welt.

Heute soll es nach Vejrø gehen. Eine kleine, für mich schon fast unbezahlbare Insel im Smålandfarvandet. Ich habe mittlerweile jedoch drei Empfehlungen von guten Segelfreunden und -bekannten bekommen und möchte mir heute mein eigenes Bild vor Ort machen.

Oft habe ich das Gefühl, immer ankommen zu müssen. Bei mir selbst, im nächsten Hafen, im Leben. Das ist unheimlich anstrengend und es nervt. Ich möchte mich doch entspannen. Will das Segeln genießen und mein Sein spüren. Doch dieser innere Druck, zur rechten Zeit im Hafen sein zu müssen, da ich sonst keinen Platz mehr finde, der quält mich jeden Tag aufs Neue. Besonders heute.

Nach einiger Zeit der angenehmen Gedanken und des freudigen Segelns, merke ich, wie der Druck in Findus‘ Segeln mal wieder nach lässt und mein Boot Knoten für Knoten immer langsamer wird. Mein Druck hingegen wächst erneut ins fast unermessliche. Der nächste Atemzug einer weiteren Flaute erwischt mich und es dauert nicht lang, da liegt die See, bis hin zur Insel, einmal mehr vollkommen blank vor mir und ich muss den Motor anwerfen, um vorwärts zu kommen.

Der Hafen ist bereits aus der Ferne voll und ich sehe schon schwarz noch einen Platz zu bekommen, doch im südlichen Becken ist zum Glück noch etwas frei.

Eine Riesenbox allerdings! 12 Meter Boxen sind für meinen kleinen Findus immer eine Herausforderung und jetzt bin ich dann doch froh, dass wir gerade absolute Flaute haben. Den zweite Dalben versuche ich erst gar nicht zu erwischen. Viel zu weit stehen sie auseinander. Wie breit mag diese Box sein? Viereinhalb Meter? Bei einer Bootsbreite von 2,40m ist das entschieden zu viel, doch ich bin froh, überhaupt noch festmachen zu können. Mit einer extra langen Leine vom Steg aus ziehe ich mich nochmal zurück, um letztlich auch am zweiten Pfeiler ordentlich festzumachen. Mein Sohn steht derweil am Steg und zieht mein Schiff Richtung Land zurück. Er war vor mir im Hafen und hat die letzte kleinere Box auf der Nordseite nehmen können.

Es war wirklich einer der letzten Plätze, den ich bekommen habe. Nach mir bekamen nur noch drei große Motorboote eine Box für sich. der Rest musste bei noch größeren Yachten ins Päckchen gehen. Findus hätte im Päckchen eher wie ein Beiboot mit kleinem Mast gewirkt.

Es ist Wochenende und viele Dänen in bester Feierlaune nutzen nochmal das gute Wetter. Ich kann verstehen, dass es voll ist hier, was ich jedoch nicht so wirklich nachvollziehen kann ist, warum müssen große Schiffe in zu kurzen Boxen liegen und bis zu zwei Metern überstehen, während die kleinen Boote sich auf riesen Plätzen verlieren?

Es ist eine seltsame Mischung im Hafen hier und ich bin mir noch nicht sicher, was ich von alldem halten soll. Hier zahlt man nur nach Einheitsgröße und der Liegeplatz kostet für alle Boote bis 15 Meter 350 dänische Kronen. Umgerechnet sind das knapp 47 Euro. Eine Hausnummer. Ich versuche zwar mittlerweile nach dem Motto zu leben, mir etwas wert zu sein und mir gelegentlichauch mal was gutes zu tun, doch hier frage ich mich: wie kann ich es mir wert sein, wenn die Mittel dazu fehlen?

Vejrø liegt in Privatbesitz und unweit des Hafens liegt der Landeplatz des Inseleigenen Helikopters. Wie ich kurz vor der Hafeneinfahrt war, kam er gerade eingeflogen und wartet nun auf einen weiteren Start. Wenn ich so darüber nachdenke, dann wird das hier alles einiges kosten. Das Personal, die Instandhaltung, die Infrastruktur. Die Beschaffung von Lebensmitteln und die Entsorgung der Unmengen an Müll, den die Menschen auf den über 80 meist großen Yachten mit mehreren Personen an Bord verursachen. Luxus hat seinen Preis und über Umwelt und Klimaschutz denke ich in diesem Zusammenhang lieber nicht nach.

Der Hafen selbst bedrückt mich dann doch ein wenig und bevor alte Denkmuster mich versuchen heimzusuchen, mache ich mich auf, die Steganlagen zu verlassen und stattdessen lieber die Insel von ihrer ruhigen Seite zu entdecken. Denn Ruhe, das hat man mir bereits versprochen, gibt es hier abseits des Hafens zu genüge.

Der Strand ist zwar nicht aus feinstem Sand, doch er bietet genau das, was ich hier suche. Stille. Alleinsein. Ruhe. Fernab von Lärm und Trubel, von Reichtum und Luxus befinde ich mich nur wenige Meter weiter in dem Terrain, was mehr meinem Naturell entspricht. Weite und Natur, Wasser, grober Sand und mir namentlich unbekanntes Grünzeug, was mich in seiner Art und Weise eher an Gebiete der Nordsee erinnert. Es ist wirklich schön hier.

Auf Jakobs und Brittas Geheiß hin besuche ich die Orangerie der Insel. Zwei große Gewächshäuser, die u.a. der inseleigenen Versorgung dienen, und ein schön angelegten bunten Garten voller Blumen. Ich kenne mich in diesem Metier so absolut nicht aus, doch schön anzusehen ist es alle mal.

Die warme Luft in den hübsch gestalteten Gewächshäusern duftet nach Kräutern und Gemüse und die Tatsache, dass ich auch hier mal wieder die einzige bin, überrascht mich nicht. Ich nutze die Chance und belege eine der eigens für Gäste kostenlos aufgestellten Chaiselongues und lasse den Moment und die Düfte auf mich wirken. Ja, es gefällt mir.

Auch die extra gemähten Wege zwischen dem ansonsten hoch gewachsenen Dickicht bieten ihren Reiz. Fasane kreuzen meinen Weg, Hasen springen von Feld zu Feld und Rehe lassen sich blicken. Eines davon besonders dicht. Mein neuer kleiner Freund ist am Fressen, dicht neben dem gemähten Weg und lässt auch dann nicht stören, wie ich ihm langsam nahe komme. Ich bleibe stehen, er blickt auf. Wir sehen einander an, während uns vielleicht fünf Meter voneinander trennen. Er lässt sich nicht stören, frisst weiter und sieht immer mal wieder an. Was für ein wunderbares Erlebnis. Und was für ein schönes Tier.

Ja, die Insel gefällt mir sehr. Wobei ich es begrüßen würde, wenn der Hafen etwas weniger frequentiert wäre.

Ich blicke aus dem Salon nach draußen und sehe es wird Zeit. Zeit, für die schönste Zeit des Tages. Das Licht beginnt bereits in seine abendlichen Pasteltöne zu wechseln und ich möchte den Sonnenuntergang am Strand nicht verpassen.

Auf dem Weg gehe ich vorbei an diversen extra aufgestellen Grillplätzen, wo Mengen von Menschen sich beim Lagerfeuer zusammenfinden und lauthals ihre Geschichten, untermalt vom Gelächter ihrer Zuhörer, zum Besten geben. Hier und da fange ich Wortfetzen auf und wundere mich über die Inhalte dessen, was die Gesprächsthemen zu sein scheinen. Doch das geht mich nichts an und ich versuche direkt wieder zu verdrängen, was ich gehört habe.

Ich setze meinen Weg fort und bin schon bald allein. Hier am Strand, direkt neben dem Hafen, ist niemand mehr. Kann das sein? Will denn keine Menschenseele auf diesen über 80 Booten hier im Hafen dem allabendlichen Schauspiel der Natur seine Aufmerksamkeit schenken? Tatsächlich nein, denn ich bleibe allein.

Verdammt schön ist es. Die ruhige See, das sich spiegelnde Sonnenlicht und dazu diese greifbare Stille. Ich blicke mich um. Doch wirklich niemand ist hier. Wieso denn nicht? Wieso interessiert das keinen? Was ist den bloß los mit den Menschen? Oder bin ich es, die so anders ist?

Ich gehe ein paar Schritte weiter, blicke mich um und nehme das sich stetig verändernde und immer wieder neue Bild um mich herum in mich auf. Ich möchte es festhalten, denn das hier ist der Stoff, aus dem Träume sind.

Hinter mir, auf der anderen Seite, geht nun der Mond auf. Noch ist er nicht ganz voll, doch groß und prall ist er schon jetzt.  Ich bleibe erneut stehen. Blicke im Wechsel auf die goldorangene See und wieder zum rosa schimmernden Mond. Wie schön ist das nur?

Mittlerweile bin ich froh allein zu sein, denn jedes gesprochene Wort würde die magische Stille und die Stimmung dieser Atmosphäre jetzt zerstören. Hier bräuchte es Menschen, die ohne Worte verstehen und deren Herz dieselbe Sprache spricht, wie es das meine tut. Doch diese Menschen sind rar.

Auf dem Weg zurück zu meinem kleinen Schiff lodern noch immer überall die Feuer und die Geschichten an den Tischen sind noch lange nicht verstummt. Ich rieche den Rauch der schwelenden Flammen noch an Bord und bekomme den Geruch nicht wirklich überein mit meinem Gefühl, was ich normal auf meiner Koje liegend spüre.

Doch die Nacht hält dann nochmal eine besondere Überraschung für mich parat, denn kurz vor Mitternacht erwische ich heute erneut Polarlichter. Sie sind nicht ganz so stark, wie ich sie in Gilleleje sehen konnte, doch sie runden den heuten Tag noch mal vollends ab.

Auch hier bin ich wieder der einzige Mensch, der im Dunkel auf die Mole klettert und sich still und leise auf die Lauer legt. Doch so alleine, wie ich anfangs denke, bin ich gar nicht, denn ein Kormoran flattert aufgeregt mit seinen Flügeln und lässt mich kurz inne halten. Auch wenn ich im Dunkeln nicht so gut sehen kann, bin ich mir sicher, er blickt mich an. Auch ich sehe zu ihm hinüber. In stillem Einvernehmen bleibt er auf seinem Stein und ich auf meinem. Wir respektieren uns gegenseitig und ich bewege mich so langsam und lautlos wie es geht. Was für eine gigantisch schöne Nacht. Und was für eine wirklich schöne Insel.

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