5. August 2024
Von Grau zu Blau

Wirklich schön finde ich die Marina von Nyborg nicht und das Grau von oben und dementsprechend auch um mich herum trägt nicht wirklich dazu bei, dass ich mich hier wohl fühle. Außerdem liegt nur wenige Meter westlich von mir liegt riesiges Firmengelände dessen Lüftung oder Gebläse oder was auch immer, permanent rauscht und mich einfach nicht zur Ruhe kommen lässt.

Wenn des Nachts kurzzeitig die Lüftung meines Ladegerätes in der Backskiste oder der Kompressor meiner Kühlbox anspringt, dann kenne ich dieses Geräusch und weiß, nach wenigen Sekunden kehrt wieder die altvertraute und absolute Stille ein. Doch dieses permanente und monotone Pusten hier macht mich einfach wahnsinnig. Vielleicht bin ich aber auch nur noch etwas zu sensibel und dünnhäutig, sodass ich es nicht schaffe diesen Ton einfach zu filtern und nicht an mich heran zu lassen. In jedem Fall habe ich jedoch das starke Bedürfnis hier weg zu kommen.

Für heute ist erstmal Regen angesagt und etwas nördlich sogar Gewitter. Ab mittags soll der Wind dann wieder zu nehmen, was für mich bedeutet, entweder ich wähle 20 Knoten Wind und mehr von vorn oder aber weniger Wind, dafür aber mit der Option eventuellem Regens. Ich entscheide mich für den Regen und stehe dafür sogar lieber etwas zeitiger auf. Morgen wird es wohl ohnehin einen Hafentag geben und dann kann ich ganz nach belieben den ganzen Tag in der Koje bleiben, wenn mir danach sein sollte.

Ich warte den letzten großen Schauer mit Gewitterpotenzial auf dem Storebælt noch ab und werfe dann schnell die Leinen los. Ich will hier einfach nur weg und verrückter Weise mag es mich sogar, wenn mein Schiff, nass von Regen, in das Grau der See und des Himmels hinaus fährt.

Es fühlt sich irgendwie so an, als könnte ich meine trüben Gedanken hier draußen wieder abgeben und sie mit dem übrigen Dunkel, was das Bild der Landschaft um mich herum prägt, von Dannen ziehen lassen. Es tut gut losgefahren zu sein, denn hier draußen spüre ich das Wesentliche wieder. Hier draußen liegt der Grund, warum ich so gern segle. Es ist das Gefühl des Seins. Ein Gefühl, welches auf See zwar stark in mir ist, was sich im Außen jedoch auch gern mal von Konditionierungen und traditionellem Denken ablenken lässt und mir versucht ein Bild zu vermitteln, welches nicht mit meinen persönlichen Vorstellungen und Werten über ein passt.

Noch ist wenig los auf dem Storebælt. Nur zwei, drei weitere Segler nehmen den Weg nach Norden und passieren die Vestbroen westlich des Fahrwassers. Die Durchfahrtshöhe beträgt hier zwische Pille 41 und 42 sechzehn Meter und somit mehr wie genug für Findus‘ Masthöhe von lediglich zwölf Meter ab Wasserlinie. Ein spannendes Unterfangen ist es dennoch jedes Mal und die Perspektive von unten lässt mich jedes Mal aufs Neue schaudern.

Nördlich der Brücke kommt der Wind nun doch mehr wie angesagt und zudem auch direkt von vorn. Ein wenig mulmig ist mir zumute und mein Sein und meine damit einhergehende Selbstsicherheit sind auch noch nicht wieder das, was sie auf See normalerweise sind, doch ich will mir nicht von alten Mustern vorschreiben lassen, was richtig oder falsch ist. Ich möchte nicht meiner Angst und meinen Bedenken unterliegen und mich klein fühlen. Nein. Ich bin endlich hier. Die Zeit ist wie so oft im Leben begrenzt und auch wenn die Tatsachen hier draußen leicht von der Vorstellung dessen, wie ich es gern hätte, abweichen, so will ich dennoch versuchen, mich dem zu stellen, was mich aktuell umgibt. Kurzum, ich möchte nicht klein beigeben und mich fügen, sondern möchte mich im Hier und Jetzt spüren und segeln.

Ich lasse die Maschine noch einen Moment weiterlaufen, bevor ich nun die Segel komplett setze und beginne stattdessen das 1. Reff im Großsegel einzubinden. Mittlerweile ist das zwar nicht mehr ganz so kompliziert, dennoch nimmt es ein wenig Zeit, Konzentration und Kraft in Anspruch, bevor das Segel oben ist und auch einigermaßen anständig steht.

Und dann, endlich Ruhe. Findus rauscht und springt und ist endlich zufrieden. Mein Schiff ist in seinem Element und ich spüre, wie so vieles an Last und unnötigem Ballast nun auch Stück für Stück wieder von mir abfällt. Segeln als Therapie. Nur langsam gewinnt die Entspannung Überhand, doch der Weg ist geebnet und der kurze Abstecher von mir selbst entfernt, gerät wieder auf den richtig Pfad zu meinem eigentlichen Sein.

Der Storebælt war immer so was wie die große See für mich und noch immer fasziniert mich dieses Gewässer. Doch es ist nicht mehr so wie am Anfang, wie alles noch neu und unbekannt war. Ich will nicht sagen, dass der Zauber verfliegt, doch bin ich auch nicht mehr derart überwältigt.

Ich würde eher sagen, ich kann jetzt in stiller Gelassenheit genießen, was mich zuvor noch völlig aus dem Häuschen brachte. Die Qualität ist einfach eine andere geworden und ich muss sagen, sie gefällt mir.

Kurz vorm Hafen spüre ich dann doch wieder eine leichte Aufregung. Ich weiß nicht, ob ich es je schaffen werde, mir keine Gedanken darüber zu machen, ob ich eine freie Box finden werde, ob mein Anlegemöver gelingt und ich mein Schiff in engen Gassen oder bei widrigen Bedingen im Griff habe. Heute sollte alle dem nichts im Wege stehen, denn Kerteminde ist groß und freie Plätze gibt es hier reichlich. Doch auf diese Sicherheit muss ich neon Gefühl noch ein wenig mehr trimmen, damit es mir kurz vorm Hafen endlich aufhört seine Streiche zu spielen.

Der Hafen ist schön geworden und es war heute definitiv die richtige Entscheidung, die 23 Seemeilen von Nyborg aus hier hoch zu kreuzen. Der Platz im Hafenbecken, wo früher die alte Mole war, ist jetzt riesig und die südlichen Steganlagen sind neu. Die neue Außenmole lädt mit Sitzbänken zum Verweilen ein und am Ende steht eine Aussichtsplattform in Form der Brücke eines U-Bootes. Auch wenn die Sonne schon zeitig westlich hinterm Land verschwindet, kann man ihr noch etwas nachsehen und träumen. Und genau das tue ich. Träumen und hoffen. Und neue Kraft und Mut schöpfen für all das, was noch vor mir liegt.

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